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Tuesday, February 27, 2018

Xenija Sobtschak - Wahl in Russland: Gegenkandidatin hat keine Chance - doch sie zielt auf etwas anderes

FOCUS Magazin | Nr. 7 (2018)
Xenija Sobtschak: Wahl in Russland: Gegenkandidatin hat keine Chance - doch sie zielt auf etwas anderes
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Eben noch Partys, jetzt Politik. Die TV-Moderatorin und High-Society-Größe Xenija Sobtschak bewirbt sich bei der Präsidentschaftswahl am 18. März. Gegen Wladimir Putin gewinnen kann sie nicht – jedenfalls jetzt noch nicht

Walerija Popichina ist eine etwas füllige Kaliningraderin – und sehr glücklich. „Ein Rekord“, flüstert sie. Unter der gewölbten Decke im großen Saal des Kinotheaters Sarja (Morgenröte) drängeln sich rund 400 Besucher – mehr, als der Saal Sitze hat. Diverse Kamerateams versperren die Aufgänge.

Die 31-Jährige ist Chefin des Wahlkampfstabes von Xenija Sobtschak in Kaliningrad. Deren Auftritt im einstigen deutschen Scala-Filmhaus, das für seine Akustik berühmt war, hat Popichina organisiert. Im Publikum sitzen überwiegend junge Menschen, auffallend viele Frauen. Vor der Bühne bringen sich die ersten Frager in Positur, noch bevor Sobtschak erscheint.

„In diesem System kann keiner gewinnen – außer Putin“

Als Popichina die Oppositionspolitikerin aus Moskau „als nächste Präsidentin Russlands“ ankündigt, brandet Beifall auf. Und Lachen. Ein Scherz, natürlich. Kein Mensch glaubt, dass es so kommt. Nicht einmal die Kandidatin selbst. „Ich lüge euch nicht an“, sagt Sobtschak, als sie auf die Bühne tritt, „in diesem System kann keiner gewinnen – außer Putin“. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, lediglich die Buchstaben auf ihrem Sweatshirt leuchten rot. Die Aufschrift lautet: „Veränderungen kann man nur mit ganzem Herzen bewirken.“

Seit Wochen tourt die 36-Jährige durch Russland, um Unterstützung und Unterschriften für ihre Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen am 18. März zu sammeln. Kaliningrad ist dabei eine der leichteren Übungen. Die Enklave gilt als westlich orientiert, als geradezu widerständig, weil die Ergebnisse für die Kreml-Partei Einiges Russland regelmäßig schlechter ausfallen als im übrigen Land. Anders als in Tschetschenien, wo Sobtschak kürzlich für die Freilassung eines Menschenrechtlers eintrat.

Die islamische Provinz ist fast hundertprozentig Putin-Land. „Pferdegebiss“ und wesentlich unfeinere Beleidigungen riefen ihr ein paar dunkle Gestalten mit Gesichtsmasken hinterher. Die Society-Lady habe mal wieder eine ihre Zirkusnummern vorgeführt, lästerte danach ein Blogger auf der Website des Senders Echo Moskwy. Mit ziemlicher Sicherheit habe Sobtschak unter dem Schutz von Tschetscheniens Regierungschef Ramsan Kadyrow gestanden.

Im Video: Russland rüstet auf: Putin ordert zwei Bataillone seines Super-Panzers Armata

Hat die Mode-Ikone eine Chance?

Doch selbst Kritiker bescheinigen der Journalistin und bisherigen Mode-Ikone einen couragierten Wahlkampf. Sie reist quer durch die großen Städte Russlands, dorthin, wo sie ihre potenzielle Klientel vermutet. Hört zu, wenn die Leute klagen – über Korruption in Krankenhäusern, niedrige Renten und miese Wohnverhältnisse. Schon das ist eher eine Seltenheit unter Russlands Politikern. „Politiker sollten als Erstes zuhören können. Das habe ich in den USA gelernt“, sagt Wahlkampfberater Witalij Schkljarow, der für die Kampagnen von Barack Obama und Bernie Sanders arbeitete. Und nun für Xenija Sobtschak.

In Kaliningrad hat sie die Zerstörung alter deutscher Denkmäler und der Umwelt als Themen für sich entdeckt. Sie steht bei minus sechs Grad inmitten von Bewohnern einer Gartensiedlung, die sich über den Bau eines Kohlekraftwerks beklagen. „Hat jemals ein Vertreter der Stadtregierung mit Ihnen darüber gesprochen?“, fragt sie. „Nein, niemals!“, schallt es empört aus der Menge. „Ich fordere den Stopp dieses Kraftwerks mit dieser völlig veralteten Technologie, mit dem Freunde Putins nur Geld verdienen wollen!“, ruft sie.

Kandidatin nutzt ihren Status als Celebrity

So ist es bei allen Begegnungen: Sie verspricht, fordert und protestiert. Doch was kann eine Kandidatin damit bewirken, der das kremlnahe Umfrage-Institut WZIOM gerade mal 1,3 und unabhängige Beobachter bis zu sechs Prozent der Stimmen zutrauen? Sie fühle sich, sagt sie, wie eine Art Revisor, der die Probleme des Landes aufnehme, sagt Sobtschak. „Und meinen Status als Celebrity und Präsidentschaftskandidatin nutze ich dazu, darüber zu reden.“ Auf YouTube, Facebook, Telegram, aber auch auf staatlichen Kanälen, in denen sie noch auftreten darf.

Letzteres wiederum bestärkt die Kritiker, die ihre Kandidatur nach wie vor als abgekartetes Spiel mit dem Kreml sehen, um den Wahlen einen demokratischen Anstrich zu geben. „Putin braucht weder mich noch Alexej Nawalnyj. Legitimität verleiht ihm die Weltgemeinschaft – wenn Angela Merkel am nächsten Tag anruft und ihm zum Sieg gratuliert“, kontert Sobtschak. „In der Politik instrumentalisiert man sich doch gegenseitig. Wichtig ist, dass man die eigenen Ziele beibehält.“

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Anders als Nawalnyj, den die Behörden unter einem Vorwand von den Wahlen ausgeschlossen haben, greift Sobtschak Putin nicht persönlich an. Sondern seine Politik. Möglicherweise gehört das zu den Spielregeln, die die Jungpolitikerin nach Meinung des Politikwissenschaftlers Dmitrij Oreschkin einhalten muss. Vielleicht auch spielt der Respekt gegenüber ihrem Vater Anatolij Sobtschak eine Rolle. Der populäre frühere Bürgermeister von St. Petersburg förderte einst den jungen Putin. Mit ihm treffe sich die Familie noch immer an jedem Todestag des Vaters, sagt Sobtschak.

Big Data soll die künftigen Wahlen in Russland entscheiden

In Russland gehe es nicht mehr darum, einen Zaren durch den anderen zu ersetzen, lautet eine ihrer Kernbotschaften. „Wir müssen das System ändern.“ Dazu gehörten eine unabhängige Justiz, mehr Rechte für die Regionen, die Entstaatlichung der Industrie, eine Bildungsreform. „Eine gute Ausbildung, die die Leute befähigt, selbst zu denken und zu streiten, ist wichtig für eine freie Gesellschaft“, erklärt sie im Baltischen Kaufhaus von Kaliningrad, wo ihr Stab neben Kinderklamotten- und Schuhläden ein Büro bezogen hat.

Ein junger Mann im blauen Hoody überreicht ihr ein Geschenk und erinnert an Sobtschaks Auftritte in „Dom 2“, der russischen „Big Brother“-Version. „Du hast Millionen von Jugendlichen begeistert. Die Art, wie du redest, animiert uns, unsere Gedanken freier zu äußern.“ Den überfüllten Raum beobachten nervös die Bodyguards, die Sobtschak angeblich schon seit der Ermordung von Boris Nemzow vor drei Jahren begleiten.

Drohungen erhielt sie etwa wegen ihrer freizügigen Äußerungen zur Ukraine-Politik. Die Annexion der Krim sei ein Fehler gewesen, Russen und Ukrainer müssten in einem neuen Referendum abstimmen, Moskau sich aus der Ostukraine zurückziehen. Das kommt in nationalistischen Kreisen gar nicht gut an.

Im Video: So knapp rauschte Russen-Kampfjet an US-Flieger vorbei

Das Schwierigste, räumt Wahlkampfmanagerin Marina Litwinowitsch ein, sei es, Sobtschak als seriöse, ernsthafte Bewerberin zu vermitteln. Litwinowitsch gilt als eine Ikone der russischen Blogger-Szene. Kaum ein Oppositionspolitiker, den sie in den vergangenen Jahren nicht beraten hätte, darunter Garri Kasparow und die Präsidentschaftsbewerberin Irina Chakamada.

Sobtschak hat zwar einen fast hundertprozentigen Bekanntheitsgrad im Land, aber auch viele Gegner, die sie keinesfalls wählen wollen, dann schon lieber den Kommunisten Pawel Grudinin, den Rechtspopulisten Wladimir Schirinowskij oder den Daueroppositionellen Grigorij Jawlinskij. Nicht wenige Briefeschreiber empfehlen Sobtschak, sich besser um ihren einjährigen Sohn zu kümmern als um die Politik. Russland ist ein konservatives Land.

Aber, versichert Wahlkampfmanagerin Litwinowitsch, das Ziel sei ohnehin eher die übernächste Präsidentenwahl 2024 sowie die Duma- und Bürgermeisterwahlen davor. „Xenija ist die Politikerin der zwanziger Jahre.“ Bis dahin will Sobtschak eine neue, rechtsliberale Partei gründen. Basis dafür soll ein Datenpool sein, den der US-affine Schkljarow mithilfe einer neuen Software angelegt hat. „Hinter der Website von Xenija steht ein gewaltiges Datenbanksystem, in das die Wähler eingebunden sind.“

„Politisches Uber“

Getestet hat der gebürtige Weißrusse das Prinzip schon bei den jüngsten Moskauer Kommunalwahlen, für die er 1000 Kandidaten im Häuserwahlkampf schulte und ins Rennen schickte. Alle waren politische Novizen und über das Internet rekrutiert. 267 kamen durch. Auch wenn Kommunalpolitiker wenig zu sagen haben, war das eine kleine Sensation für Russland. Sein „politisches Uber“ nennt Schkljarow das Experiment. Und was im Kleinen geklappt hat, soll auch irgendwann landesweit funktionieren.

Daran arbeiten zumindest Sobtschaks Mitarbeiter in einer ehemaligen Textilfabrik am Ufer der Moskwa. In cooler Start-up-Atmosphäre hämmern rund 30 junge Leute in ihre Apple-Laptops, chatten, aktualisieren Web-Auftritte – gleich neben schicken Galerien und einem luxuriösen Privatclub. Sobtschak produziert währenddessen in einem Studio Online-Interviews in Serie mit Wählern und Chefredakteuren. Sie stichelt ein wenig gegen ihren Konkurrenten Jawlinskij, den Chef der liberalen Jabloko-Partei, der nach 30 Jahren Opposition doch nichts bewirkt habe.

Putins Stärke ist die Schwäche der Opposition

Und gegen Nawalnyj, der mit seinem Boykott-Aufruf zur Wahl nur einem nutzen werde: Putin. Damit hat sie vermutlich Recht. Putins Stärke ist seit Langem auch die Schwäche der Opposition, die noch nie in der Lage war, sich auf Dauer zusammenzuschließen. Dabei hat auch Putin Probleme, nach 18 Jahren an der Macht die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Diese geht offenbar davon aus, sein Sieg sei sicher. Unabhängige Wahlbeobachter erwarten daher eine Wahlbeteiligung von höchstens 55 Prozent.

Die Zentrale Wahlkommission registrierte Sobtschak kürzlich offiziell als Kandidatin. Aber auch wenn sie dies verweigert hätte, wären fünf Monate Arbeit und der Einsatz von Millionen Rubel nach Meinung von Wahlberater Schkljarow nicht vergebens gewesen. „Wir haben Tausende Menschen getroffen, ein großes Echo erzeugt, über 100.000 Freiwillige und eine riesige Datenbasis.“ So oder so ist es ein Testlauf für die Zukunft.

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