Rechercher dans ce blog

Monday, December 31, 2018

- Der Vatikan, die Kirche und der Missbrauch

Der Vatikan, die Kirche und der Missbrauch
Der sexuelle Missbrauch durch katholische Priester hat Christen weltweit erschüttert. Nun hat Papst Franziskus für Februar ein internationales Spitzentreffen im Vatikan angekündigt. Die Erwartungen sind groß.

Die Krise erreicht den Vatikan. Papst Franziskus hat für Ende Februar die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen weltweit zu dreitägigen Beratungen einbestellt - ein beispielloser Versuch, den sexuellen Missbrauch durch Kirchenleute anzugehen. Mit dieser Entscheidung zog Franziskus im Herbst die Konsequenz aus immer neuen Meldungen aus immer mehr Ländern über Verbrechen von Klerikern und mangelnde kirchliche Bereitschaft zur Aufarbeitung.

Was einst mit Enthüllungen in Irland, den USA und Deutschland begann, zog immer weitere Kreise. In Polen zog vor wenigen Monaten der Film "Kler" (Kleriker) Millionen Menschen in die Kinos. Und zu den dunklen Stunden im Pontifikat von Franziskus gehörte seine Fehleinschätzung von Missbrauchsvorwürfen gegen Kirchenleute in Chile, die seinen Besuch in dem Andenland Anfang 2018 überschattete. Mittlerweile hat der Skandal längst Kardinäle erreicht. In den USA, in Australien, in Chile.

Der Blick der Opfer

"Tatsächlich findet sexueller Missbrauch überall dort statt, wo katholische Kirche organisiert auftritt", sagt Matthias Katsch der Deutschen Welle. Katsch durchlitt am Berliner Canisius-Kolleg selbst Missbrauch durch einen Geistlichen und ist heute Sprecher der Betroffenen dieser Jesuiten-Schule.

Katsch formuliert die Erwartungen der "Überlebenden" sexueller Gewalt an das Treffen in Rom. Die Kirche werde hoffentlich "unmissverständlich klarmachen, dass sie verstanden hat, dass sie sich grundsätzlich anders aufstellen muss in der Auseinandersetzung mit den Betroffenen, dass Aufarbeitung notwendig ist auf allen Ebenen, auch auf der Ebene des Vatikan". Es gehe um ein "grundlegendes, systematisches Problem". Das erfordere eine neue Haltung der Kirche gegenüber den Betroffenen und ihren Erwartungen auf Hilfe und Entschädigung. "Nicht der Umgang mit der Sexualität, sondern der Umgang mit der Macht" sei der "entscheidende Faktor" für Missbrauch in der Kirche: "Wenn ich ungestraft tun und lassen kann, was ich will, dann ist jeder Art von Missbrauch Tür und Tor geöffnet."

Strukturelle Dimensionen

Kaum jemand hat auf kirchlicher Seite mit so vielen Missbrauchsopfern gesprochen wie der Jesuit Hans Zollner. Der deutsche Theologe und Psychologe ist Präsident des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Allein in diesem Jahr, so schätzt er, bereiste er rund 20 Länder, sprach dort mit Verantwortlichen und schulte kirchliche Mitarbeiter - in Mittelamerika und Ozeanien, auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Das Treffen im Vatikan wird zum ersten Mal in den Fokus rücken: die strukturelle Dimension der Vertuschung von Missbrauch, die Aufarbeitung von Missbrauch und die Prävention von Missbrauch", sagte er der DW.

Bei dem Treffen im Februar, sagt Zollner, soll es in einem Dreischritt um die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Bischofs, um die gemeinsame Verantwortlichkeit jeder Bischofskonferenz zur Transparenz und um die Gesamtkirche gehen. Das passt dazu, dass Franziskus in den vergangenen Monaten mehrere Bischöfe entlassen hat, denen Missbrauch oder auch dessen Vertuschung vorgeworfen wurde.

Andererseits bremste er ein zügiges Handeln der US-Bischofskonferenz aus, nachdem im Sommer 2018 Theodore McCarrick, über Jahrzehnte einer der wichtigsten Kardinäle des Landes und der Weltkirche, wegen zahlreicher Missbrauchsfälle aufgeflogen und entlassen worden war. Die Bischöfe der - konservativer, aber auch selbstbewusster als in Europa geprägten - US-Kirche wollten im Herbst entschlossen darauf reagieren, wurden aber in ihrem Vorgehen von Rom zunächst gestoppt.

Der Blick nach Afrika

In Rom treffen sich die Vorsitzenden aller 113 Bischofskonferenzen weltweit, zudem Ordensobere, Verantwortliche aus den sogenannten Ostkirchen und rund 70 Fachleute. Und außerhalb des Vatikan kommen mindestens 40 Missbrauchsopfer zusammen, aus verschiedenen Ländern, von mehreren Kontinenten. Auch Matthias Katsch wird dabei sein. Erwartet werden auch Betroffene aus Afrika. "Das ist mitnichten ein Ort, wo das nicht vorkommt. Im Gegenteil: Alle fürchten, was uns da noch an Auswüchsen von Gewalt und sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Frauen noch begegnen wird", sagt er. Denn in Afrika werde Priestern oft noch eine Rolle beigemessen, die nicht in Frage gestellt werden dürfe.

Ein Eingeständnis des Papstes

Ob es Kontakte geben wird zwischen denen "drinnen" im Vatikan und jenen "draußen" in Rom, erläutert Zollner, das sei noch offen. Man suche aber ein geeignetes Format: "Der Kontakt mit Betroffenen ist ganz wichtig, um zu spüren, worum es auch geht." Im Vorfeld hat Papst Franziskus allen beteiligten Bischöfen die Anordnung gegeben, in ihrer Diözese mit Opfern von sexuellem Missbrauch zu sprechen.

Und in den Mittelpunkt seiner jährlichen Ansprache an die Kurie vor dem Weihnachtsfest stellte er das Thema Missbrauch. Die Täter begingen "abscheuliche Verbrechen und üben weiter ihr Amt aus, als sei nichts gewesen". Franziskus gestand ein, dass das Problem in der Vergangenheit teilweise nachlässig behandelt worden sei. "Das darf nie wieder geschehen", mahnte der Pontifex.

Und er dankte den Medien ausdrücklich für ihre Bemühungen, die Taten aufzudecken und den Opfern eine Stimme zu geben. Die spekulieren indes seit langem darüber, ob das Pontifikat des Papst Franziskus vom Missbrauch überschattet bleiben wird.

Autor: Christoph Strack

*Der Beitrag "Der Vatikan, die Kirche und der Missbrauch" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.

Deutsche Welle
Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

FOCUS-Online-Serie: „Ein Jahr in Deutschlands Gerichten“ - Fälle, die sprachlos machen: Warum viele Menschen die Justiz nicht mehr verstehen

FOCUS-Online-Serie: „Ein Jahr in Deutschlands Gerichten“: Fälle, die sprachlos machen: Warum viele Menschen die Justiz nicht mehr verstehen

Worüber streiten Menschen vor Gericht? Wie kommen sie zu ihrem Recht? Ist das Misstrauen in die Justiz begründet? Solchen Fragen gehen wir 2019 intensiv nach. Unsere Reporter besuchen Prozesse im ganzen Land, sprechen mit Beteiligten und erklären Urteile. FOCUS Online will das „System Justiz“ erlebbar und verständlich machen.

Heute startet FOCUS Online seine neue große Justiz-Serie „Ein Jahr in Deutschlands Gerichten“. Ab sofort werden Reporter ausschwärmen und aus den Verhandlungssälen dieser Republik berichten – ein Jahr lang, Woche für Woche.

Sie werden dort sein, wo Bürger schlicht um ihr Recht kämpfen, und dort, wo spektakuläre Verbrechen verhandelt werden. Sie werden schildern, warum Hartz-IV-Empfänger und Asylbewerber gegen den Staat klagen, welche Chancen Opfer von Straßenkriminalität vor Gericht haben und was sich hinter trockenen Aktenzeichen oft verbirgt: menschliche Dramen.

Sie werden die Leser mitnehmen hinter die Kulissen der Justiz, werden mit Richtern, Staatsanwälten, Angeklagten, Geschädigten und Zeugen sprechen. Über das, was schiefläuft im System. Und über Ideen, wie man es besser machen kann.

Streit mit dem Vermieter, geklautes Fahrrad, Scheidungskrieg

FOCUS Online erklärt unseren Staat und was ihn zusammenhält. Anfang Dezember 2018 starteten wir den „Sicherheitsreport Deutschland“, bei dem Fragen der inneren und äußeren Sicherheit im Mittelpunkt stehen. Der „Gerichtsreport“ setzt den zweiten Schwerpunkt zu einem gesellschaftlich relevanten Thema. Ein Thema, das so gut wie jeden betrifft – weil er mal Streit mit seinem Vermieter oder Nachbarn hatte, weil ihm sein Fahrrad gestohlen wurde, weil er nach einem Verkehrsunfall Post vom Anwalt bekam, weil er von Betrügern im Internet abgezockt wurde.

In solchen Fällen vertrauen Menschen darauf, dass ihnen geholfen wird: von Rechtsanwälten, Staatsanwälten, im Zweifel auch von Richtern. Sie vertrauen auf eine unabhängige Justiz und auf einen starken Rechtsstaat.

Das deutsche Rechtssystem: Weltklasse oder marode?

Aber wie ist es um den Zustand der Justiz bestellt? Hat Deutschland eines der besten Rechtssysteme der Welt, wie eine internationale Studie 2018 herausgefunden haben will? Oder gilt das, was der Chef des Deutschen Richterbundes Jens Gnisa in seinem 2017 veröffentlichten Buch „Das Ende der Gerechtigkeit“ behauptet hat? Gnisa schrieb: „Der Rechtsstaat bröckelt.“

In der Wahrnehmung vieler Menschen liegt Gnisa mit seiner Einschätzung richtig, was eine aktuelle Umfrage für FOCUS Online so eindrucksvoll wie erschreckend untermauert. Demnach haben rund 45 Prozent der Bundesbürger nur wenig oder kaum Vertrauen in die Justiz.

Warum ist das so?

Eine – wohl die wichtigste – Antwort lautet: Der Staat gab seinen Bürgern zuletzt nicht immer das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, stets Herr der Lage zu sein. Besonders deutlich wurde das im Herbst 2015, als die Bundesregierung aus humanitären Gründen die Grenze für Hunderttausende Flüchtlinge öffnete und dabei die zum Teil gravierenden Folgen für Sicherheit und Ordnung aus dem Blick verlor.

Viele Menschen hatten das Gefühl, der Staat setze geltendes Recht nicht um und ducke sich in kritischen Situationen weg.

Die Justiz macht sich selbst immer wieder angreifbar

Die geballte Überforderung, die ganze Hilflosigkeit des Staates, zeigte sich in der Kölner Silvesternacht 2015/2016, als junge Flüchtlinge aus Nordafrika Hunderte deutsche Frauen sexuell bedrängten. Das – für sich genommen – lokale Ereignis hat die Stimmungslage im Land nachhaltig beeinflusst und bis heute geprägt.

Das weit verbreitete Gefühl nach Köln war: Jedem Parksünder, jedem GEZ-Säumigen und jedem Schwarzfahrer jagt der Staat mit Vehemenz hinterher, aber wenn junge Männer aus anderen Kulturkreisen sich über arglose, friedlich feiernde Frauen hermachen, schaut er tatenlos zu. Dass nach den Ausschreitungen nur wenige Täter verurteilt wurden, bestätigte die Kritiker in ihrer Haltung.

GERICHTSREPORT: EIN JAHR IN DEUTSCHLANDS GERICHTEN

Wie sieht der Alltag in Deutschlands Justiz wirklich aus? Was läuft nicht rund? Wie geht besser? FOCUS Online ist das ganze Jahr 2019 in Gerichten unterwegs: Dort, wo normale Menschen um ihr Recht kämpfen. Dort, wo spektakuläre Prozesse laufen. Dort, wo Deutschland sein Versprechen einlösen muss, ein Rechtsstaat zu sein, dem die Menschen vertrauen können. Unsere Reporter sprechen mit Richtern, Staatsanwälten, Angeklagten, Opfern und Zeugen.

Hier finden Sie alle Artikel des Gerichtsreports.

 

Der Vertrauensverlust in den Rechtsstaat resultiert jedoch nicht nur aus fragwürdigem Handeln der Politik. Die Justiz selbst macht sich immer wieder angreifbar - durch eine Kombination aus systemischem Versagen und Fehlern, die aus individueller Verantwortung heraus geschehen: Gerichtsverfahren dauern derart lange, dass die Angeklagten freigelassen werden müssen. Prozesse platzen, weil gesetzliche Fristen nicht eingehalten werden. Ermittlungen müssen eingestellt werden, weil Staatsanwaltschaften mit der Arbeit nicht hinterherkommen. 

Viele Leute im Land haben dafür wenig Verständnis. Sie greifen sich an den Kopf und sagen: Was ist denn hier los?

Verdächtige kommen frei – wegen Überlastung des Gerichts

Nur zwei Beispiele von vielen:

Im November 2018 mussten in Baden-Württemberg zwei mutmaßliche Straftäter freigelassen werden. Die Männer, darunter ein syrischer Flüchtling, hatten wegen versuchten Totschlags mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen, ohne dass ihnen vom Landgericht Stuttgart der Prozess gemacht wurde. Daraufhin ordnete das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart an, die beiden Männer wegen überlanger Verfahrensdauer zu entlassen – trotz hoher Fluchtgefahr und des Risikos, dass zumindest einer der Beschuldigten erneut Straftaten begehen könnte. 

Die Begründung des OLG hatte es in sich. Sie liest sich wie eine Generalabrechnung mit den Justiz-Oberen: Wenn der Staat nicht für eine ausreichende Personalausstattung der Gerichte sorge, müsse er die Freilassung von Kriminellen eben hinnehmen, erklärten die Richter. Außerdem müsse er den Bürgern irgendwie beibringen, „dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß kommen, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen oder erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen“.

Das Erschreckende an dem Fall: Die Überlastung der betroffenen Strafkammer war lange zuvor absehbar. Der Vorsitzende musste mehrere Prozesse parallel führen und hatte selbst Alarm geschlagen, dass ihm die Arbeit über den Kopf wachse. Auch das OLG hatte eindringlich gewarnt, dass sich die Kammer bereits „in einem Grenzbereich“ bewege. Kein Einzelfall: Von 2012 bis 2017 mussten allein in Baden-Württemberg 25 Tatverdächtige wegen verzögerter Verfahren aus der Haft entlassen werden.

Still ruhen die Akten: Urteilsbegründung erst nach Monaten

In anderen Regionen Deutschlands sieht es kaum besser aus, wie ein Fall aus der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam zeigt.

Das dortige Landgericht musste vor wenigen Wochen einen Mann aus dem Gefängnis entlassen, der im Februar 2018 wegen Mordes an seiner Ehefrau zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Gegen die Entscheidung hatte der 64-Jährige Revision eingelegt, weshalb er weiterhin in Untersuchungshaft saß. Dort wartete er auf die Urteilsbegründung. Er wartete lange. Sehr lange.

Nach sechs Monaten hatte der zuständige Richter das Dokument endlich fertig – zu spät. Der Anwalt des Verurteilten legte „wegen überlanger Verfahrensdauer“ Haftbeschwerde ein und bekam vom Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg recht. In seinem Beschluss rügte das Gericht, der Staat habe es „versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsmäßigen Ausstattung der Gerichte zu genügen“. Jetzt sieht der Verurteilte seinem Revisions-Prozess als freier Mann entgegen.

Allein in Brandenburg 1850 Stellen bei der Justiz gestrichen

Bei der Aufarbeitung des Vorgangs durch die zuständigen Stellen kam Erstaunliches zutage. Justizminister Stefan Ludwig (Linke) erklärte in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag, der Fall tauge nicht als Beleg für eine Unterbesetzung der Gerichte. Vielmehr habe es sich um einen „individuellen Fehler“ gehandelt.

In welchem Arbeitsklima solche Fehler vermehrt passieren, wurde im Verlauf der Anhörung deutlich: Der betroffene Richter und dessen Kollegen hätten „einen riesigen Berg an Verfahren abgearbeitet“, räumte der Minister ein. Auf Deutsch: Der Richter war völlig überlastet. Kein Wunder, wenn man sich vor Augen führt, dass in den vergangenen 20 Jahren in Brandenburg 1850 Stellen bei der Justiz gestrichen worden sind.

Die Folgen sind gravierend: Weil Haftsachen vorrangig behandelt werden müssen, bleiben viele Altverfahren liegen. In der Praxis führt das dazu, dass sich Straftäter ins Fäustchen lachen. Zum Beispiel die zwei Subventionsbetrüger, die für die Sanierung eines Renaissance-Schlosses 45 Millionen Euro Fördergeld kassiert und 4,5 Millionen davon privat einsteckt hatten. Das Potsdamer Landgericht verurteilte sie zu jeweils fünfeinhalb Jahren Haft, erließ ihnen jedoch einen Teil der Strafe – weil die Sache wegen Überlastung der Strafkammer acht Jahre beim Gericht lag.

Nicht alles, was nach Justiz-Skandal riecht, ist auch einer

Von Pannen wie in Stuttgart und Potsdam erfährt die deutsche Öffentlichkeit in schöner Regelmäßigkeit, und jedes Mal ist der Aufschrei groß. Doch nicht alles, was auf den ersten Blick wie ein Justiz-Skandal aussieht, ist auch einer. Das zeigt ein Beispiel ebenfalls aus Baden-Württemberg, ein Fall, über den FOCUS Online in den nächsten Tagen noch ausführlich berichten wird.

Es geht um eine Straftat in der Gemeinde Plüderhausen im Rems-Murr-Kreis. Dort wurde am 15. Juli 2018 ein 53 Jahre alter Familienvater in seinem Haus niedergestochen und schwer verletzt. Nur wenige Stunden nach der Tat nahm die Polizei einen 20-jährigen afghanischen Asylbewerber fest, der im benachbarten Schorndorf lebte. Der junge Mann war bis vor Kurzem mit der Tochter des attackierten Vaters befreundet und galt deshalb als tatverdächtig. Doch die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, beim Gericht einen Haftbefehl zu beantragen – und ließ ihn laufen.

Staatsanwaltschaft und Polizei haben korrekt gehandelt

Tage später erging nicht nur Haftbefehl gegen den Verdächtigen, nach ihm wurde sogar öffentlich gefahndet. Die Polizei hatte mittlerweile eindeutige Indizien – unter anderem DNA- Spuren – für die Täterschaft des jungen Mannes. Damit war klar: Die Beamten waren von Beginn an auf der richtigen Fährte, doch die Justiz stellte sich quer. Eine Nachricht, die in großen Teilen der Bevölkerung Unverständnis und Wut hervorrief. Warum, fragten sich viele, hat man den Mann laufen lassen?  

Die Antwort ist relativ einfach: Weil Haftbefehle in Deutschland nur bei dringendem Tatverdacht ausgestellt werden. Doch dafür war die Beweislage – noch – zu dünn. Der Beschuldigte bestritt die Vorwürfe, das Opfer konnte ihn nicht identifizieren, die Spurenlage gab nichts Eindeutiges her.

Was also sollte der Staatsanwalt tun? Er hat korrekt gehandelt. Genauso wie die Polizisten, die weiter ermittelten und schließlich doch Beweise fanden. Zu dem Zeitpunkt war der mutmaßliche Täter allerdings schon aus Deutschland geflohen. Zielfahnder fassten ihn später in Belgien.

Das – scheinbar – zögerliche Verhalten der Strafverfolger hat viele Menschen in der Region und weit darüber hinaus empört. Obwohl sich der Rechtsstaat von seiner stärksten Seite gezeigt hat, wurde es ihm vielfach als Schwäche ausgelegt. Keiner hat die Situation so gut auf den Punkt gebracht wie Heiner Römhild, Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Er äußerte Verständnis für die Emotionen vieler Bürger, verwies aber auf Gesetze, die zwingend einzuhalten seien: „Eine Alternative existiert in einem Rechtsstaat nicht. Es gilt die Unschuldsvermutung.“

Akzeptanz rechtsstaatlicher Entscheidungen schwindet

„Freiheitsrechte, Unschuldsvermutung, Meinungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und andere elementare Prinzipien unseres Rechts sind trotz aller Kritik tief im Bewusstsein der Menschen verankert“, sagt Christian Friehoff, Chef des Richterbundes in Nordrhein-Westfalen, im Interview mit FOCUS Online.

Friehoff weiß, dass bestimmte Entscheidungen „immer wieder öffentliches Unverständnis“ hervorrufen und dass „nicht alle Urteile fehlerfrei“ sind. Am Gesamtbild ändere das freilich nichts: „Die Richterinnen und Richter der Republik sind unabhängig und unbestechlich und tun trotz andauernd hoher Belastung täglich ihr Bestes, um den Menschen gerecht zu werden.“

Andrea Titz, Direktorin des Amtsgerichts Wolfratshausen, sieht das ähnlich. Allerdings sorgt sie sich wie viele ihrer Kollegen um die schwindende Akzeptanz rechtsstaatlich getroffener Entscheidungen. Von einer Krise des Rechtsstaats will Titz, die auch Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins ist, nichts wissen. Aber: „Es wäre fatal, wenn bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstünde, der Rechtsstaat sei den Herausforderungen der Zukunft nicht mehr gewachsen.“

Laut Titz, die in der Anfangsphase des NSU-Prozesses am Oberlandesgericht München als Pressesprecherin deutschlandweit bekannt wurde, ist der Rechtsstaat sehr wohl zukunftsfähig – „wenn man ihm die notwendigen Mittel und Instrumentarien zur Verfügung stellt“.

Bundesregierung verspricht 2000 neue Richter-Stellen

An Absichtserklärungen besteht in dieser Hinsicht kein Mangel. So haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vom März 2018 mit viel Tamtam einen „Pakt für den Rechtsstaat“ vereinbart. Darin heißt es, dass „2000 neue Richterstellen bei den Gerichten der Länder und des Bundes“ geschaffen werden sollen. Das klingt gut. Spürbar getan hat sich allerdings noch nichts.

Hinter den Kulissen tobt nämlich ein Kampf zwischen Bund und Ländern, und natürlich geht es ums Geld, speziell um die Verteilung der Mittel in die einzelnen Regionen. „Wir warten immer noch auf einen Vorschlag der Bundesregierung, wie das ausgestaltet werden soll“, mahnte Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) erst vor wenigen Wochen. Er forderte den Bund auf, rasch einen Vorschlag zur Finanzierung der Justiz-Jobs vorzulegen. Immerhin sei man sich einig, „dass diese neuen Stellen nötig sind“ – was bereits ein großer Fortschritt ist.

Jahrelanger Sparkurs bei der Justiz hat Spuren hinterlassen

In der Vergangenheit wurden Gerichte und Staatsanwaltschaften regelrecht kaputtgespart. Die Politik, konstatiert Richterbund-Chef Gnisa, habe die Justiz „auf beunruhigend vielen Ebenen geschwächt“. Unsere Volksvertreter hätten es darauf ankommen lassen, „eine der wichtigsten Säulen der Demokratie, die unabhängige Rechtsprechung“ einstürzen zu lassen.

Als Direktor des Amtsgerichts Bielefeld arbeitet Gnisa im zehnten Stock eines riesigen Komplexes, in dem mehrere Justizbehörden untergebracht sind. Besuchern bietet sich schon von Weitem ein kurioser Anblick: Die dringend renovierungsbedürftige Fassade des Landgerichts ist – schon seit Jahren – mit Schutznetzen verhüllt, damit herabrieselnde Steine keine Schäden anrichten können. Die Erosion des Hauses symbolisiert für Gnisa: den zerfallenden Rechtsstaat.

Seine düstere Einschätzung stützt sich auf alarmierende Fakten. So gibt es in Deutschland immer weniger Gerichte, weil die Bundesländer aus Kostengründen kleinere Häuser schließen oder zusammenlegen. Die Wege für Bürger, zu ihrem Recht zu kommen, werden damit immer länger. Gerichte und Staatsanwaltschaften sind zum Teil so überarbeitet, dass sie der Flut eingehender Fälle kaum noch Herr werden. In den Gefängnissen müssen zu wenige Beamte auf zu viele Häftlinge aufpassen. Es fehlen nicht nur Kräfte im Vollzug, im medizinischen Dienst und der Verwaltung, auch Dolmetscher, Sozialarbeiter, Pädagogen, Psychologen.

Mehr als 57 Prozent aller Verfahren werden eingestellt

Die Mängelliste ließe sich erweitern und ist alles andere als neu. Viele Justizbehörden pfeifen auf dem letzten Loch. 2017 stapelten sich bei den Staatsanwaltschaften bundesweit rund 3,35 Millionen Strafanzeigen gegen „unbekannte Täter“, etwa nach Kellereinbrüchen oder Fahrraddiebstählen. Die meisten Fälle wurden – wegen zu geringer Erfolgsaussichten und der dünnen Personaldecke – gar nicht erst geprüft und geräuschlos zu den Akten gelegt.

Tatsächlich erledigt haben die Staatsanwaltschaften im vergangenen Jahr rund 4,86 Millionen Verfahren. Aber nur in 424.000 Fällen (8,7 Prozent) kam es zu einer Anklage, in rund 532.000 Fällen (elf Prozent) wurde ein Strafbefehl beantragt, knapp 23 Prozent endeten durch Abgabe an andere Behörden. Im Umkehrschluss bedeutet das: Mehr als 57 Prozent aller von der Staatsanwaltschaft geführten Verfahren wurden eingestellt – mangels Tatverdachts oder wegen Geringfügigkeit, meist sogar ohne Auflagen.

Die Bilanz ist erschreckend – und gefährlich. Denn wenn sich Kriminalitätsopfer an die Justiz wenden, verbinden sie damit eine Hoffnung. Sie vertrauen darauf, dass der Staat ihnen hilft, es zumindest versucht. Merken sie, dass nichts geschieht, wenden sie sich ab. Die Menschen fühlen sich nicht ernst genommen. Sie (ver)zweifeln an der Justiz.

FOCUS Online will Vorgänge in der Justiz verständlich erklären

Auch die Medien haben zur allgemeinen Justiz-Verdrossenheit beigetragen. Denn immer weniger Journalisten kümmern sich um – oft sperrige, trockene und nicht selten komplizierte – Themen aus diesem Bereich. Nur noch wenige Zeitschriften, Zeitungen und Onlineportale leisten sich Redakteure, die kontinuierlich über Verhandlungen berichten, komplexe Zusammenhänge beleuchten, Urteile allgemeinverständlich erklären und Hintergründe vermitteln.

FOCUS Online geht ganz bewusst einen anderen Weg. Wir wollen Justiz erlebbar machen. Und Sie, liebe Leser, können uns dabei unterstützen. Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen mit der Justiz, schreiben Sie uns, was Sie im Umgang im Staatsanwälten oder Richtern erlebt haben. Vielleicht entsteht daraus sogar eine Geschichte. Mailen Sie uns einfach an: mein-fall@focus.de.

Im Video: Flüchtlinge werfen Polizei "Horrorabschiebung" vor 

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Neujahrsansprache von Nordkoreas Machthaber - Kim Jong Un droht USA mit Abkehr von Entspannungspolitik

Neujahrsansprache von Nordkoreas Machthaber: Kim Jong Un droht USA mit Abkehr von Entspannungspolitik

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un droht im Streit um das Atomwaffenprogramm seines Landes mit einer Abkehr vom Annäherungskurs, falls die USA an ihren Sanktionen festhalten.

In seiner Neujahrsansprache bekräftigte Kim am Dienstag zwar die Absicht zur atomaren Abrüstung und Fortsetzung der Gipfeldiplomatie mit den USA. Außerdem betonte er, US-Präsident Donald Trump jederzeit treffen zu können. Doch warf er Washington vor, Zusagen nicht einhalten zu wollen und Pjöngjang einseitige Abrüstungsschritte abzupressen.

"Falls die USA ihre vor der ganzen Welt gemachten Versprechen nicht erfüllen, unsere Geduld falsch einschätzen und an Sanktionen und Druckmitteln festhalten, um Dinge einseitig zu erzwingen, werden wir wahrscheinlich keine andere Wahl haben, als einen neuen Weg auszuloten", sagte Kim im staatlichen Fernsehen. Darüber hinaus forderte er, dass die Militärmanöver der USA mit Südkorea beendet werden und keine strategischen Waffen aus dem Ausland auf die koreanische Halbinsel gebracht werden dürften.

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

- Sollbruchstellen in der neuen brasilianischen Regierung

Sollbruchstellen in der neuen brasilianischen Regierung
Der frisch gewählte brasilianische Präsident, Jair Bolsonaro, wird zum Jahresbeginn in sein Amt eingeführt. Sein Kabinett ist ein Potpourri teils entgegengesetzter Interessen. Kann das gut gehen?

Politik ohne Ideologien und Parteienklüngel - mit diesem Versprechen war Jair Messias Bolsonaro bei Brasiliens Präsidentenwahl angetreten. Das Ergebnis ist ein Kabinett unterschiedlichster Couleur. Sieben "waschechte" Politiker sitzen am Kabinettstisch, zudem sieben Militärs und acht "Technokraten". Auch die verschiedenen Weltanschauungen wird man kaum unter einen Hut bekommen.

Liberale Chicago-Boys gegen nationalistische Militärs

Der offensichtlichste Graben verläuft zwischen den "Chicago-Boys" und den Militärs, zu denen auch Bolsonaro und sein Vize, General Hamilton Mourão, zählen. Die liberalen Ökonomen um den Finanz-Guru und Superminister Paulo Guedes wollen den Staat auf ein Minimum herunterstutzen und so vor dem Finanzkollaps retten. Findet Brasilien nicht rasch zurück auf den Wachstumsweg, droht die Regierung zu scheitern.

Guedes will bei Subventionen für Unternehmer sowie den hohen Renten im öffentlichen Dienst kürzen, Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Damit liegt er auf Konfliktkurs mit den Militärs, die strategische Sektoren wie die Ölförderung und die Stromversorgung nicht in ausländischer Hand sehen wollen. "Im Bereich der Wirtschaftspolitik gibt es große Differenzen", so der Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Allerdings wissen auch die Militärs, dass die Chicago-Boys unheimlich wichtig waren, um die Wahlen zu gewinnen. Denn dadurch haben Banken und Investoren die Bolsonaro-Kandidatur unterstützt."

Der Politikwissenschaftler Sérgio Praça von der Fundação Getúlio Vargas sieht auch Sprengstoff bei der drängenden Rentenreform, ohne die der Staatshaushalt kippt. "Es scheint mir unwahrscheinlich, dass die Militärs bei der Rentenreform Federn lassen. Da wird Paulo Guedes wohl Zugeständnisse machen müssen." Laut Expertenberechnungen erhalten pensionierte Militärs bis zu 16 mal mehr an Rente als sie einzahlen. Hier würde Paulo Guedes gerne ansetzen.

Freihändler versus Globalisierungs-Gegner

Eine weitere Sollbruchstelle liegt zwischen Guedes Wirtschaftstruppe und den "Anti-Globalisten". Außenminister Ernesto Araújo plädiert für eine "christliche Allianz" mit den USA und Russland gegen die "marxistisch-kommunistische Weltverschwörung", zu der in ihren Augen China und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen zählen. Auch Bolsonaro selber gehört diesem Lager an, das in dem Journalisten Olavo de Carvalho seinen Guru hat, einem biederem Tropenverschnitt des ultra-rechten "Alt-Right"-Vordenkers Steve Bannon, der US-Präsident Donald Trump beraten hat.

Besonders der kritische Diskurs gegen China sei ein Problem für die Ökonomen, so Stuenkel, schließlich ist der Handel mit China wichtig fürs Wachstum. Rund ein Viertel aller Exporte Brasiliens gehen dorthin, beim Bergbaugiganten Vale sind es sogar ein Drittel. Auch die angekündigte Verlegung der brasilianischen Botschaft nach Jerusalem, die arabische Länder erzürnt, sehen die Ökonomen kritisch.

Doch der Anti-Globalismus trifft auch Guedes Privatisierungspläne. Staatsbetriebe dem internationalen Finanzmarkt anzubieten - das hat in Brasilien wenig Freunde. "Die Militärs wissen, dass die Bevölkerung generell nicht pro-Globalisierung ist. Auch Bolsonaro ist im Herzen ein Anti-Globalist, er glaubt, dass es wichtig ist, dass der Staat die wichtigen Sektoren kontrolliert, wie den staatlichen Ölförderer Petrobras", so Stuenkel. "Deswegen glaube ich, dass die Militärs sich weitgehend durchsetzen werden. Sie bilden für mich das entscheidende Machtzentrum innerhalb der Regierung."

Ein Kollateralschaden des Anti-Multilateralismus ist Brasiliens Abschied aus der Klimapolitik, der einzige Bereich, in dem man bisher global führen konnte. Allerdings ist trotz Bolsonaros Absage, 2019 die Klimakonferenz COP25 in Brasilien auszutragen, wohl noch nicht alles verloren. "Noch ist nicht klar, ob Brasilien die desaströse Entscheidung der Trump-Regierung kopiert und aus dem Pariser Klimavertrag aussteigt. Ich hoffe nicht, denn ich mag mir nicht vorstellen, was die internationale Reaktion darauf wäre", so der Umweltjournalist André Trigueiro im Gespräch mit der DW. "Aber ich möchte daran erinnern, dass es in den USA eine Differenz gibt zwischen dem, was Trump angekündigt hat, und dem, was er durchsetzen kann."

Allianz mit Trump - Chance oder Gefahr?

Fraglich bleibt, was Brasilien von einer Allianz mit den USA erwarten darf. Donald Trumps "America first"-Doktrin wird zusätzliche Exporte aus Brasilien blockieren. Zudem sind die USA und Brasilien bei bestimmten Handelswaren Konkurrenten, und der Handelskrieg zwischen den USA und China könnte Brasilien hart treffen. Sollten die Chinesen demnächst mehr Waren in den USA einkaufen, verliert Brasilien.

"Die Pro-Trump-Gruppierung möchte den USA nahestehen, hat aber keine genaue Vorstellung, was genau man von dieser starken Partnerschaft haben möchte. Es geht wohl hauptsächlich darum, nach innen zu projizieren, dass diese Regierung der Trump-Regierung sehr ähnlich ist", urteilt Stuenkel. "Denn viele Bolsonaro-Wähler sind überzeugt, dass Trump in den USA gute Arbeit leistet."

Freie Bahn für die Evangelikalen

Am leichtesten dürfte es Bolsonaro mit der Agenda des "Kulturkampfs" haben, mit dem er links-progressives Denken zurückdrängen und eine konservative, religiös geprägte Agenda voranbringen will. Hinter seiner "Kulturagenda" stehen potente evangelikale Prediger wie Edir Macedo und Silas Malafaia, die den ihrer Ansicht nach zu großen Einfluss von "Minderheiten" wie die LGTB-Gruppen ablehnen. Die Unterstützung der Evangelikalen gab bei der Wahl den Ausschlag. Nun haben sie das strategisch wichtige Familienministerium inne.

"Im Bereich der Kulturkriege und des klassischen konservativen Denkens im sozialen Bereich werden wir große Veränderungen sehen, hauptsächlich deshalb, weil es keine Gruppierung innerhalb der Regierung gibt, die versucht, eine moderatere Strategie durchzusetzen", glaubt der Politologe Stuenkel. "Den Ökonomen oder Militärs ist es jedenfalls egal, was die Regierung im Bereich der Minderheiten macht."

Abschaffung von Quoten für den Universitäts-Zugang, weniger Sozialstaat und mehr Kontrolle der Lehrer und Professoren, die unter dem Verdacht stehen, "linke Kommunisten" zu sein; gemeinsam mit einer "Stärkung von Familienwerten" sind dies Politikfelder, die den Bolsonaro-Wählern am Herzen liegen - und die deshalb bespielt werden müssen. "Besonders wenn das Wirtschaftswachstum nicht schnell anspringt und es ein oder zwei Korruptionsskandale geben wird", so Stuenkel. "Bolsonaro weiß, dass es deshalb wichtig ist, an die konservativen Werte zu appellieren."

Regieren ohne Parteien - geht das gut?

Kern seiner Wahlversprechen war, die Parteien aus der Regierung zu halten. Denn sie waren für die Korruptionsskandale hauptverantwortlich. "Das wird nicht nur scheitern, sondern ich bezweifle, dass das überhaupt versucht wird", so Politologe Praça. "Klar gibt es den Wunsch, anders zu regieren als bisher. Zudem ist das eine Art, den Parteichefs klarzumachen, dass die neue Regierung nicht alles mitmachen wird, was früher gelaufen ist."

Doch in der Realität wird es wohl weiterlaufen wie bisher. "Zu sagen, dass das Geben und Nehmen ein Ende hat, ist bloße Rhetorik", so Praça. "Man kann nicht regieren, ohne Konzessionen an die Parteien zu machen. Vielleicht könnte man es über ein oder zwei Monate durchhalten, aber als Regierungsstrategie funktioniert das nicht", so das Fazit. "Der Lernprozess wird rasch erfolgen."

Autor: Thomas Milz

*Der Beitrag "Sollbruchstellen in der neuen brasilianischen Regierung" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.

Deutsche Welle
Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Ausreiseverbot - Deutscher in Türkei vorübergehend festgenommen

Ausreiseverbot: Deutscher in Türkei vorübergehend festgenommen

In der Türkei ist erneut ein Deutscher vorübergehend festgenommen worden. Wie die "Süddeutsche Zeitung", der WDR und der NDR am Montag berichteten, wird dem 56-Jährigen vorgeworfen, mit Posts auf Facebook eine Terrororganisation unterstützt zu haben. Inzwischen sei der Mann, der in München lebe, wieder auf freiem Fuß. Er dürfe das Land aber nicht verlassen.

Das Auswärtige Amt bestätigte am Montagnachmittag, dass der Fall bekannt sei. Die Botschaft in Ankara betreue den Mann konsularisch.

Der Mann wird im Internet mehrfach im Zusammenhang mit einem pro-kurdischen Verein erwähnt. Auf dessen Facebook-Seite schrieben Mitglieder am 28. Dezember, dass das "langjährige Mitglied" am Nachmittag des 27. am Flughafen Ankara von der türkischen Polizei verhaftet worden sei. "Er war in die Türkei gereist, um an der Beerdigung seiner Mutter ... teilzunehmen", heißt es da.

Auswärtige Amt verschärfte Reisehinweise

Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge soll es in den Facebook-Einträgen, an denen die türkischen Behörden Anstoß nehmen, "um die Forderung nach einem unabhängigen Kurdistan" gegangen sein.

Regierungskritische Einträge in sozialen Medien führen in der Türkei regelmäßig zu Anklagen, zum Beispiel wegen Terrorpropaganda oder Unterstützung einer Terrororganisation. Das Auswärtige Amt hatte deswegen erst im Oktober die Reisehinweise verschärft und warnt Bundesbürger nun vor regierungskritischen Meinungsäußerungen in sozialen Medien. Dabei können auch Äußerungen, "die nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, Anlass zu einem Strafverfahren" geben, heißt es da. Es müsse davon ausgegangen werden, "dass auch nichtöffentliche Kommentare in sozialen Medien etwa durch anonyme Denunziation" an Behörden weitergeleitet" würden.

Jahresbericht des Innenministeriums

In dem am Montag veröffentlichten Jahresbericht des Innenministeriums heißt es, türkische Ermittler hätten im Rahmen von Ermittlungen zu "Cyber-Kriminalität" 2018 rund 42.400 Konten auf sozialen Medien durchforstet. Hier geht es dem Bericht zufolge um Terrorpropaganda, Hass-Reden oder Beleidigung von Staatsmännern. Gegen rund 18.300 Nutzer sei rechtlich vorgegangen worden.

2017 hatte eine Serie von Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern eine schwere Krise zwischen Ankara und Berlin ausgelöst. Mit der Freilassung und Ausreise einiger prominenter Fälle - darunter der "Welt"-Reporter Deniz Yücel - hatten sich die Beziehungen von Ende 2017 an leicht entspannt. Nach offiziellen Angaben vom Montag sitzen aber noch immer fünf deutsche Staatsbürger "aus politischen Gründen" in Haft. Einige Prozesse laufen noch. Andere Häftlinge wurden jüngst bereits zu Haftstrafen verurteilt.

Unter ihnen ist eine Kölner Sängerin mit dem Künstlernamen Hozan Cane (Mitte 40). Sie wurde im November wegen Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Patrick K. (29) aus Gießen wurde im Oktober wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ebenfalls zu mehr als zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

ZDF deckt auf: Wie Türkei Erdogan-Gegner verschleppt und in Geheim-Knast steckt

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

An die Silvester-Chaoten - Sie wollen an Silvester böllern? Gut, aber dann räumen Sie Ihren Müll gefälligst selbst auf!

An die Silvester-Chaoten: Sie wollen an Silvester böllern? Gut, aber dann räumen Sie Ihren Müll gefälligst selbst auf!

Zunächst vorgeschoben: Wer am Silvester-Sonntag böllern will, ob aus Tradition oder Jux und Tollerei, soll das tun.

Klar: Man könnte das Geld sicherlich sinnvoller verwenden und sonderlich gesund sind die Feinstaubbomben auch nicht. Aber Feuerwerk gehört für viele nun mal dazu, genauso wie Dinner for One oder Raclette.

Was mich aber jedes Jahr zur Weißglut bringt: Die Idioten, die ihre explodierten Hinterlassenschaften nicht wegräumen.

Wer am Neujahrsmorgen durch Stadtparks, Auen und Großstadtstraßen flaniert, muss sich seinen Weg durch leere Sektflaschen, angekohlte Raketen-Holzstäbe, halbvolle Plastiktüten mit Müll und Böller-Schutt bahnen. Bis Reinigungskräfte in Kompaniestärke anrücken, liegt das Zeug einfach rum.

  • In Großstädten kommt so tonnenweise Müll zusammen.
  • Extra-Schichten, zusätzliche Reinigungskräfte und Spezialfahrzeuge lassen immense Kosten entstehen.
  • Die Umweltbelastung ist enorm.

Das sind die Fakten.

Dazu kommt aber noch die Selbstverständlichkeit der Silvester-Chaoten. Nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Ein toller Start ins neue Jahr!

Dabei wäre die Sache so einfach: Jeder räumt den Müll weg, den er verursacht. Das ist keine Kür, das ist Verantwortung und rechtliche Pflicht.

Und wer jetzt noch Fragen hat: Böller sind Restmüll. Und Restmüll gehört wohin? Genau …

Im Video: Polizistin stirbt bei Unfall-Drama auf A61 - Abschiedsworte der Kollegen sind herzzerreißend

 </h2>
Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

- Khan: "Frauen spielen eine besondere Rolle im Kampf gegen Extremismus"

Khan: "Frauen spielen eine besondere Rolle im Kampf gegen Extremismus"
Sara Khan leitet die Kommission zur Extremismusbekämpfung im britischen Innenministerium. Im Gespräch mit der DW erklärt sie, wie sie Extremismus bekämpfen will - und warum sie selbst Zielscheibe von Extremisten ist.

Im Januar 2018 hat Sie Premierministerin Theresa May zur Leiterin der Kommission zur Extremismusbekämpfung im Innenministerium ernannt. Wie wollen Sie Extremismus in Großbritannien bekämpfen?

Extremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, deswegen erfordert es eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Alle spielen eine Rolle darin, die Schulen, die Regierung, die Zivilgesellschaft, die religiösen Führer. Wir haben diese Antwort auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bisher nicht gefunden und genau daran arbeiten wir. Diese Kommission ist neu, deswegen wollen wir erst einmal beim Bewusstsein ansetzen.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie?

Erstens rauszugehen und Menschen zu erreichen. Ich war in rund 30 Städten und Dörfern in England und Wales. Ich habe mit Tausenden Akademikern, Gruppen aus der Zivilgesellschaft und Regierungsvertretern gesprochen, um die Herausforderung besser zu begreifen.

"Taktiken der Extremisten durchleuchten"

Das zweite Ziel ist eine Studie. Wir haben bisher keine breitangelegte Untersuchung, die uns das Gesamtbild des Problems zeichnet. Wir fragen nach der öffentlichen Wahrnehmung, wollen die Taktiken der Extremisten durchleuchten und den Schaden, den sie anrichten. Dafür haben wir auch eine Beratungsstelle eingerichtet. Ganz wichtig sind aber die möglichen Antworten. Wir wollen Empfehlungen aussprechen und ein Programm erstellen.

Vor welchen Herausforderungen genau steht Großbritannien, wenn es um Extremismus geht?

Es gibt viele unterschiedliche Arten von Extremismus in Großbritannien. Aber manche sind prominenter und stellen eine größere Gefahr dar als andere. Wir sehen jetzt einen starken Anstieg des Rechtsextremismus, in den letzten beiden Jahren. Der islamistische Extremismus ist auch ein großes Thema. Alleine 2018 hatten wir fünf Terroranschläge, vier davon waren islamistisch motiviert, einer rechtsextremistisch. Es gibt aber auch linken Extremismus, extremistische Gruppierungen in der Sikh-Community oder bei jüdischen Gruppen.

Zu glauben Extremismus wäre nur islamistisch, ist grundsätzlich falsch. Extremismus kann jeder politischen Ideologie oder Religion entspringen und kann jede Gruppe auf der ganzen Welt treffen. Es gibt einen Anstieg aller Arten von Extremismus, ob die Neonazis in Deutschland, die Hindu-Nationalisten in Indien oder die muslimischen Fundamentalisten.

Was haben all diese Extremisten denn gemeinsam?

Viele extremistische Ideologien fördern ein "Wir" gegen "die Anderen"-Denken. Es wird Hass gegen andere Gruppen geschürt und Rassismus verbreitet. Extremisten glauben nicht an universelle Menschenrechte. Sie greifen Menschen an, weil sie vermeintlich anders sind. Extremisten mögen keine Diversität in der Gesellschaft. Deswegen müssen wir diese Werte, die Menschenrechte, die Gleichheit aller Menschen und die Pluralität verteidigen.

Welche Rolle spielen Frauen in diesem Kampf?

Frauen stark zu machen, hat Folgen für das ganze Land. Frauen sind meist die stärksten Kämpferinnen gegen Extremismus, weil sie die Auswirkung extremistischen Gedankenguts in ihrer eigenen Familie sehen können. Ich erlebe immer wieder Frauen, die sehr mutig sind.

"Kinder vor Ideologien schützen"

Wir haben spezielle Programme für muslimische Frauen gehabt, in denen wir ihnen zum Beispiel theologische Gegenargumente vermittelten. Die Partizipation von Frauen hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. 2015, nach dem der IS sein Kalifat ausrief, haben wir eine Anti-IS-Kampagne durchgeführt. Dabei spielten Frauen und Mütter eine wichtige Rolle. Wir haben ihnen Werkzeuge an die Hand gegeben, wie sie ihre Kinder vor diesen Ideologien beschützen können. Wenn sie einem Imam über den Weg laufen, der Hass predigt, dürfen sie das nicht einfach ignorieren, sondern müssen etwas dagegen tun.

850 Briten haben sich dem IS angeschlossen, rund die Hälfte kehrte wieder zurück. Warum radikalisieren sich Jugendliche in Großbritannien?

Es gibt viele Gründe, die individuell oder sozial sein können. Es geht aber meist um Ideologien, extremistische Propaganda, Identität und Zugehörigkeit. Auch wenn man vielleicht einfach keine Gegenargumente kennt, spielt das eine Rolle. Soziale Medien sind auch entscheidend. Da ist es in Großbritannien nicht anders als woanders. Es gibt einen Mangel an Respekt vor anderen und sehr viel Spaltung momentan. In Dialog zu treten, andere Meinungen und Sichtweisen zu hören, kann sehr viel Positives bewirken.

Was denken Sie, wie sieht die Zukunft aus? Wird dieses Erstarken von Extremisten bald wieder vorbei sein?

Wir leben in einer Zeit der Extremismen. Wenn wir uns die Weltlage ansehen, ist es sehr besorgniserregend und düster. Ich denke nicht, dass es bald besser wird. Wir müssen alles tun, um Extremismus aufzuhalten.

"Die Arbeit ist zu wichtig, um nicht gemacht zu werden"

Staaten müssen die Gleichheit, Diversität und Menschenrechte für all ihre Bürger sicherstellen. Diese Werte sind entscheidend, weil genau sie von Extremisten bedroht werden.

Waren Sie selbst Zielscheibe von Extremisten?

Das ist ein Teil meiner Arbeit, daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Das passiert aber nur, weil Extremisten nicht wollen, dass wir tun, was wir tun. Das bedeutet für uns, dass wir weitermachen müssen. Das muss man einfach verdrängen. Diese Arbeit ist einfach zu wichtig, um nicht gemacht zu werden. Sie hat Auswirkungen auf uns alle.

Sara Khan hat 2008 eine Frauenorganisation namens "Inspire" mitgegründet, um präventiv gegen Extremismus vorzugehen und Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen. Mit Videos versuchte die NGO beispielsweise die IS-Propaganda zu widerlegen und erreichte tausende Klicks. Vor allem versucht Khan, junge Frauen und Mütter zu erreichen und zu sensibilisieren. Die pakistanischstämmige Britin ist außerdem Autorin eines Buches über muslimische Identität und Extremismus.

Das Gespräch führte Nermin Ismail.

*Der Beitrag "Khan: "Frauen spielen eine besondere Rolle im Kampf gegen Extremismus"" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.

Deutsche Welle
Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Greg Burke - Vatikan-Sprecher und seine Stellvertreterin treten überraschend zurück

Greg Burke: Vatikan-Sprecher und seine Stellvertreterin treten überraschend zurück

Der Sprecher von Papst Franziskus ist vollkommen überraschend mitten in stürmischen Zeiten für den Vatikan zurückgetreten. Der Pontifex habe den Rücktritt des bisherigen Chefs des Presseamtes, Greg Burke, und seiner Stellvertreterin Paloma García Ovejero akzeptiert, teilte der Vatikan am Montag mit.

Interimschef werde nun der bisherige Social-Media-Koordinator der Kommunikationsabteilung, der Italiener Alessandro Gisotti.

Seit langem kämpft der Vatikan mit der Umstrukturierung seiner Kommunikationsabteilung, um die Medienarbeit auf die Höhe der Zeit zu bringen.

"Paloma und ich treten zum 1. Januar zurück"

Der US-Journalist Burke hatte das Amt vor rund zweieinhalb Jahren als erster Angelsachse übernommen. "Paloma und ich treten zum 1. Januar zurück. Wir denken, es ist das beste, dass der Heilige Vater zu diesem Zeitpunkt des Wandels in der vatikanischen Kommunikation komplett frei ist, ein neues Team zusammenzustellen", twitterte Burke. García Ovejero hatte vor dem Antritt im Vatikan für das spanische Radio gearbeitet, sie war die erste Frau auf dem Posten im Pressesaal.

Der Direktor des Kommunikationsdikasteriums, Paolo Ruffini, sprach von einer "autonomen und freien Wahl" der beiden Sprecher. Es stehe nun ein "schwieriger Weg" an, "diese wichtige Reform" umzusetzen.

Immer wieder kommt es zu Informationspannen

Erst vor kurzem hatte der Vatikan führende Ämter in der Kommunikationsabteilung neu besetzt. Chefredakteur aller Medien des Kirchenstaates ist nun der italienische Journalist Andrea Tornielli, der für die Zeitung "La Stampa" jahrelang aus dem Vatikan berichtet hatte.

Immer wieder kommt es zu Informationspannen, die die Pressestelle ausbügeln musste. Franziskus ist auch bekannt für Alleingänge und dafür, dass er gern frei von der Leber spricht.

"Besonders anspruchsvolle Aufgabe"

Mit dem Abtritt der beiden erfahrenen Journalisten muss der Vatikan nun mit einem neuen Team durch stürmische Zeiten schiffen: Derzeit steht die katholische Kirche vor allem wegen Missbrauchsskandalen in verschiedenen Ländern in der Kritik. Dem Papst selbst wird vorgeworfen, nicht genug gegen pädophile Geistliche zu tun. Im Februar findet ein Gipfel zum Thema Missbrauch in Rom statt, der als "historisch" angesehen wird. Der internationale Medienansturm und die Erwartungen werden groß sein - die erste große Herausforderung für das neue Team.

Der Interimsleiter Gisotti arbeitete lange bei Radio Vatikan und war dort auch stellvertretender Redaktionsleiter. Der 44 Jahre alte studierte Politikwissenschaftler sprach am Montag von einer "besonders anspruchsvollen Aufgabe", die auf ihn warte.

30 cm Neuschnee! Deutscher Wetterdienst warnt vor starken Schneefällen im Süden

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

US-Politik im News-Ticker - Demokratin Elizabeth Warren gibt Präsidentschaftskandidatur bekannt

US-Politik im News-Ticker: Demokratin Elizabeth Warren gibt Präsidentschaftskandidatur bekannt

In den USA ist der politische Streit zwischen US-Präsident Donald Trump und den Demokraten um die Mauer an der Grenze zu Mexiko eskaliert. Kurz vor Weihnachten kam es zum "Shutdown". Die Haushaltssperre trat in Kraft, weil bis zu diesem Zeitpunkt kein neues Budgetgesetz beschlossen worden war. Alles Wichtige im News-Ticker von FOCUS Online.

Demokratin Elizabeth Warren gibt Präsidentschaftskandidatur bekannt

Montag, 31. Dezember, 14.36 Uhr: Das Rennen um die US-Präsidentschaftswahl 2020 ist eröffnet: Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts hat am Montag offiziell ihre Kandidatur erklärt. Warren ist die erste Demokratin, die im Kampf um die Präsidentschaft ins Rampenlicht tritt. Politisch gilt sie als für US-Verhältnisse eher links.

Beobachter gehen davon aus, dass weitere prominente demokratische Senatoren wie Cory Booker (Bundesstaat New Jersey), Kamala Harris (Kalifornien), Amy Klobuchar (Minnesota) und Kirsten Gillibrand (New York) bald nachziehen werden. Auch den jungen demokratischen Shootingstars Beto O'Rourke und Andrew Gillum werden Ambitionen auf das Amt im Weißen Haus nachgesagt, genauso wie dem formal parteilosen Senator Bernie Sanders aus Vermont.   

Warren gilt als eine der bekanntesten und beliebtesten demokratischen Politikerinnen überhaupt, doch Beobachter sehen die Senatorin aus Massachusetts nicht unbedingt als Favoritin. Die für die Demokraten erfolgreich verlaufenen Kongresswahlen vom November spülten viele jüngere Parteikollegen in den US-Kongress – ein mögliches Zeichen, dass die Parteianhänger jüngere Kandidaten bevorzugen als die 69-jährige Warren.

Geschadet hat der Senatorin auch die Veröffentlichung eines DNA-Tests im September. Der Test sollte zeigen, dass Warren tatsächlich in Teilen die Nachfahrin amerikanischer Ureinwohner ist, wie sie immer wieder behauptet hatte. US-Präsident Donald Trump hatte die Behauptung als Lüge bezeichnet und Warren als „Pocahontas“ verspottet. Viele Anhänger der Demokraten empfanden den DNA-Test als unnötig und unsensibel.

Warren wird sich in den Vorwahlen Ende 2019 und Anfang 2020 gegen ihre demokratischen Mitbewerber durchsetzen müssen, bevor sie gegen Trump antreten kann. Die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA finden am 3. November 2020 statt.

Im Video: Als Trump seine US-Truppen im Irak besucht, lügt er ihnen dreist ins Gesicht

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Rom - Paukenschlag im Vatikan: Papst-Sprecher tritt überraschend ab

Rom: Paukenschlag im Vatikan: Papst-Sprecher tritt überraschend ab

Paukenschlag im Vatikan an Silvester: Der Sprecher des Papstes und seine Stellvertreterin treten zurück. Hinter den Kulissen in Rom sorgt das für Unruhe. Denn es stehen ungemütliche Zeiten an.

Der Sprecher von Papst Franziskus ist vollkommen überraschend mitten in stürmischen Zeiten für den Vatikan zurückgetreten. Der Pontifex habe den Rücktritt des bisherigen Chefs des Presseamtes, Greg Burke, und seiner Stellvertreterin Paloma García Ovejero akzeptiert, teilte der Vatikan am Montag mit. Interimschef werde nun der bisherige Social-Media-Koordinator der Kommunikationsabteilung, der Italiener Alessandro Gisotti.

Seit langem kämpft der Vatikan mit der Umstrukturierung seiner Kommunikationsabteilung, um die Medienarbeit auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Der US-Journalist Burke hatte das Amt vor rund zweieinhalb Jahren als erster Angelsachse übernommen. "Paloma und ich treten zum 1. Januar zurück. Wir denken, es ist das beste, dass der Heilige Vater zu diesem Zeitpunkt des Wandels in der vatikanischen Kommunikation komplett frei ist, ein neues Team zusammenzustellen", twitterte Burke. García Ovejero hatte vor dem Antritt im Vatikan für das spanische Radio gearbeitet, sie war die erste Frau auf dem Posten im Pressesaal.

"Schwieriger Weg"

Der Direktor des Kommunikationsdikasteriums, Paolo Ruffini, sprach von einer «autonomen und freien Wahl» der beiden Sprecher. Es stehe nun ein "schwieriger Weg" an, "diese wichtige Reform" umzusetzen.

Erst vor kurzem hatte der Vatikan führende Ämter in der Kommunikationsabteilung neu besetzt. Chefredakteur aller Medien des Kirchenstaates ist nun der italienische Journalist Andrea Tornielli, der für die Zeitung "La Stampa" jahrelang aus dem Vatikan berichtet hatte.

Immer wieder kommt es zu Informationspannen, die die Pressestelle ausbügeln musste. Franziskus ist auch bekannt für Alleingänge und dafür, dass er gern frei von der Leber spricht.

 Vatikan muss mit einem neuen Team durch stürmische Zeiten schiffen

Mit dem Abtritt der beiden erfahrenen Journalisten muss der Vatikan nun mit einem neuen Team durch stürmische Zeiten schiffen: Derzeit steht die katholische Kirche vor allem wegen Missbrauchsskandalen in verschiedenen Ländern in der Kritik. Dem Papst selbst wird vorgeworfen, nicht genug gegen pädophile Geistliche zu tun. Im Februar findet ein Gipfel zum Thema Missbrauch in Rom statt, der als "historisch" angesehen wird. Der internationale Medienansturm und die Erwartungen werden groß sein - die erste große Herausforderung für das neue Team.

Der Interimsleiter Gisotti arbeitete lange bei Radio Vatikan und war dort auch stellvertretender Redaktionsleiter. Der 44 Jahre alte studierte Politikwissenschaftler sprach am Montag von einer "besonders anspruchsvollen Aufgabe", die auf ihn warte.

Im Video: Flucht vor Polizei: 18-Jähriger fährt Mutter auf Parkplatz tot und verletzt Sohn

Thomas Seitz

AfD-Politiker will an Todesstrafen-Verbot rütteln, um Asylbewerber abzuschrecken

Brasiliens neuer Präsident Bolsonaro

Angst vor ultrarechtem Tropen-Trump: „Wenn der Präsident wird, können wir einpacken“

Sprungbrett für Raab, Makatsch, Pocher

Das traurige Ende eines Pop-Märchens: Um 14 Uhr schaltete Viva für immer ab

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Brasiliens neuer Präsident Bolsonaro - Angst vor ultrarechtem Tropen-Trump: „Wenn der Präsident wird, können wir einpacken“

Brasiliens neuer Präsident Bolsonaro: Angst vor ultrarechtem Tropen-Trump: „Wenn der Präsident wird, können wir einpacken“

Der Regenwald ist für den ultrarechten Ex-Militär Bolsonaro vor allem eine ungenutzte wirtschaftliche Chance. Der neue brasilianische Präsident will im Amazonasgebiet neue Weideflächen schaffen, den Bergbau ankurbeln und Energieprojekte vorantreiben. Das hat fatale Folgen für die ganze Welt. Am 1. Januar wird Bolsonaro sein Amt antreten.

Auf dem Papier sind die Karipuna Großgrundbesitzer. 152.000 Hektar Regenwald gehören der indigenen Gemeinschaft im Westen Brasiliens. „Wir leben glücklich. Wir fischen, wir jagen, wir baden im Fluss“, sagt André Karipuna.

Doch das wertvolle Tropenholz und die riesigen Ländereien wecken Begehrlichkeiten bei illegalen Holzfällern und Rinderzüchtern. 11.000 Hektar wurden bereits zerstört. „Wir haben keinen Frieden mehr wie früher. Es ist sehr beängstigend. Mit den Holzfällern sind auch illegale Fischer gekommen – sie vertreiben uns vom Fluss.“

Konflikte werden mit der Waffe ausgetragen

Das Amazonasgebiet und die riesigen Steppengebiete im Norden von Brasilien sind seit jeher rechtsfreier Raum. Landkonflikte zwischen der indigenen Urbevölkerung und Kolonisten werden dort häufig mit blanker Waffe ausgetragen. Zwar verfügen die traditionellen Gemeinschaften über verbriefte Rechte, doch Tausende Kilometer von der Hauptstadt Brasília und den Wirtschaftsmetropolen im Süden entfernt zählt oft nur das Recht des Stärkeren.

Indigene, Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass sich die Lage bald weiter verschärft: Mit Jair Bolsonaro zieht an Neujahr ein Mann in den Präsidentenpalast ein, der wenig von Naturschutz hält und die wirtschaftliche Nutzung des Amazonasgebiets vorantreiben will. „Wenn der Präsident wird, können wir einpacken. Das ist das Ende aller indigenen Rechte“, befürchtet Karipuna.

Brasiliens Schlüsselrolle

Der künftige Präsident Bolsonaro will keine neuen Schutzgebiete im Amazonasgebiet ausweisen, weitere Rodungen im Regenwald zulassen und den Umweltschutz an den Bedürfnissen der Wirtschaft ausrichten. „Wir wollen die Natur schützen, aber ohne Hindernisse für den Fortschritt zu schaffen“, sagte Bolsonaro kürzlich.

Außerdem spielt der Ex-Militär mit dem Gedanken, wie bereits die Vereinigten Staaten das Pariser Klimaschutzabkommen zu verlassen. Für die Begrenzung der Erderwärmung wäre das fatal: Brasilien hat mit dem Amazonasgebiet als weltgrößter CO2-Speicher eine Schlüsselrolle im internationalen Klimaschutz inne.

„Die größte Gefahr für den Klimaschutz in Brasilien ist die brasilianische Regierung“, sagte die indigene Aktivistin und Klimaschützerin Sonia Guajajara zuletzt bei der UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz (Katowice). Es gebe Bestrebungen, entgegen der Verfassung indigenes Land zu enteignen oder dort etwa Bergbau zu erlauben. Das sei fatal für den Klimaschutz, weil die Ureinwohner mit ihrer traditionellen Lebensweise ihr Land vor Abholzung schützten.

„Das wäre eine Tragödie“

Bolsonaro sieht die Stammesgebiete hingegen vor allem als ungenutzte Chancen auf Profit. „Unter dem indigenen Land liegt Wohlstand“, sagte er einmal. Seinen Wahlerfolg verdankt er unter anderem der mächtigen Agrarlobby Brasiliens, die auf die Freigabe weiterer Flächen zur Rodung dringt. Auch Energie- und Bergbaukonzerne hoffen unter der neuen Regierung auf freie Hand bei ihren Projekten.

„Das wäre eine Tragödie: Die globale Klimakrise würde beschleunigt. Der wichtigste globale Schatz an Artenvielfalt würde geplündert. Und die Menschenrechte der mit und vom Amazonas lebenden indigenen Völker stehen auf dem Spiel“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Nichtregierungsorganisation Germanwatch, Klaus Milke.

„Wir hören die Sägen und die Trucks“

Großgrundbesitzer, Rinderzüchter und Holzfäller vertreiben bereits jetzt immer wieder Indigene mit Gewalt aus ihren Stammesgebieten. „Der Schrei der Betroffenen angesichts dieser großen Ungerechtigkeiten darf nicht ungehört bleiben“, sagt der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel. „Es darf nicht dazu kommen, dass die Interessen etwa von Soja- und Fleisch-Produzenten mehr zählen als die in der brasilianischen Verfassung garantierten Rechte der Indigenen.“

Für die Karipuna steht ihre Existenz auf dem Spiel. In den 1970er Jahren kamen sie zum ersten Mal in Kontakt mit Weißen. Viele wurden getötet oder starben an eingeschleppten Krankheiten. Heute umfasst der Stamm nur noch 58 Menschen. „Wir hören die Sägen und die Trucks, sie sind nur noch zwei Kilometer vom Dorf entfernt“, sagt André Karipuna. „Manchmal sehen wir Waldarbeiter. Sie bedrohen uns. Sie wollen uns vernichten. Sie kommen immer näher.“

Im Video: Flüchtlingshelfer sagen, warum Deutschland Verantwortung für 32 Gerettete trage

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Hunderte Mitglieder aus ganz Deutschland - Großeinsatz der Polizei Mettmann: Massive Kontrollen bei Clan-Hochzeit

Hunderte Mitglieder aus ganz Deutschland: Großeinsatz der Polizei Mettmann: Massive Kontrollen bei Clan-Hochzeit

Mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften hat die Polizei Mettmann in Nordrhein-Westfalen massive Kontrollen am Rande einer Hochzeit zweier Familienclans durchgeführt. Dazu wurden mehrere hundert Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet, unter denen sich etliche Personen mit polizeilichen Vorerkenntnissen befinden sollten.

Um strafbaren Handlungen und sonstigen Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen, kontrollierten mehrere unterstützende Hundertschaften sowie Einsatzkräfte aus der gesamten Kreispolizeibehörde Mettmann erkannte Veranstaltungsteilnehmer bei der An- und Abreise. Dazu wurden an den Zufahrtsstraßen zum Veranstaltungsort, im Gewerbegebiet an der Carl-Leverkus-Straße im Langenfelder Nordosten, gleich mehrere große Kontrollstellen eingerichtet. Besonderes Augenmerk galt hier insbesondere verdächtigen Personen, dem Mitführen von Waffen und verbotenen Gegenständen sowie der Verhinderung bzw. Ahndung von nicht normgerechtem Verhalten im Straßenverkehr.

Clan-Hochzeit in Mettmann: Zwei mit Haftbefehlen gesuchte Männer festgenommen

Das polizeiliche Resümee zum kräfteintensiven Polizeieinsatz, der nach offiziellem Ende der Veranstaltung, am Sonntagmorgen des 31.12.2018 gegen 02.30 Uhr, und der sukzessiven Abreise aller Teilnehmer wenig später beendet werden konnte, fällt positiv aus. So kam es insgesamt zu keinen großen Störungen oder besonderen Zwischenfällen.

Die Polizei kontrollierte im Lauf des Einsatzes mehr als 200 Fahrzeuge und rund 600 Personen an den eingerichteten Kontrollstellen. Hierbei wurden zwei Männer angetroffen und festgenommen, die mit Haftbefehlen gesucht wurden. Einer von ihnen konnte das Gewahrsam noch am gleichen Abend wieder verlassen, nachdem er seine weitere Inhaftierung durch Zahlung einer im Haftbefehl festgelegten Geldstrafe abwenden konnte. Gegen den zweiten Festgenommenen lag ein Haftbefehl zur Vollstreckung einer Untersuchungshaft vor. Dieser Festgenommene wurde der Justiz übergeben.

Gegen Teilnehmer eines Autokorsos wurde Anzeige wegen Rotlichtfahrt erstattet

Im Zuge der polizeilichen Kontrollmaßnahmen wurden ein Schlagring, ein Schlagstock, zwei nach dem Waffengesetz verbotene Einhandmesser sowie zwei scharfe Patronen aufgefunden und sichergestellt, entsprechende Anzeigen gegen die Besitzer erstattet. Ein Hochzeitsgast führte bei seiner Kontrolle mehr als 11.000,- Euro Bargeld mit sich. Wegen des Verdachts der Geldwäsche wurden die aufgefundenen Barmittel von der Polizei sichergestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft bestätigte die Maßnahme noch am gleichen Abend und ordnete die Beschlagnahme des Geldes an.

Einen kontrollierten PKW Porsche zog die Polizei aus dem Verkehr, da er diverse nicht zugelassene technische Veränderungen aufwies, die eine Weiterfahrt nicht erlaubten. Auch hier wurde eine Anzeige gegen Fahrzeugführer und -halter erstattet. Zur genaueren Begutachtung durch einen amtlichen Sachverständigen stellte die Polizei den Porsche sicher. Das Fahrzeug wurde abgeschleppt. Gegen einen Teilnehmer eines Autokorsos wurde eine Anzeige wegen einer Rotlichtfahrt erstattet.

Alle Polizeiziele konnten erreicht werden

Dieser aktuelle Großeinsatz fand im Rahmen der von der Polizei im Kreis Mettmann gefahrenen "Null-Toleranz-Strategie" gegen erkannte Parallelgesellschaften und deren Rechtsverstöße statt. Erklärtes Ziel war es, öffentliche Machtdemonstrationen und Normverstöße zu verhindern, die Feierlichkeiten an sich dabei aber möglichst wenig zu beeinträchtigen. Alle diese Ziele konnten mit konsequenten Maßnahmen der Polizei im aktuellen Großeinsatz erreicht werden.

Im Video: Sekundenschlaf vor Tunneleinfahrt: Autofahrer macht irren Abflug

 </h2>
Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Thomas Seitz - AfD-Politiker will an Todesstrafen-Verbot rütteln, um Asylbewerber abzuschrecken

Thomas Seitz: AfD-Politiker will an Todesstrafen-Verbot rütteln, um Asylbewerber abzuschrecken

Weil ein bereits abgeschobener Asylbewerber wieder nach Deutschland gekommen ist und einen neuerlichen Asylantrag stellt, forderte der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz, die Änderung des Artikels 102 im Grundgesetz dürfe „kein Tabu sein“. Der Paragraf legt die Abschaffung der Todesstrafe fest. Nun will der AfD-Politiker klarstellen: Es sei alles nicht so gemeint gewesen.

„Für solche Fälle braucht es einer wirksamen Abschreckung“, kommentierte Seitz am Samstag einen entsprechenden Artikel der „Welt“ zu dem Fall des Asylbewerbers. „Dafür darf eine Änderung von Art. 102 GG kein Tabu sein.“ Der Artikel 102 besagt kurz und knapp: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“

Will der AfD-Bundestagsabgeordnete also die Todesstrafe wiedereinführen, um Asylbewerber abzuschrecken? So verstanden es zumindest Hunderte User auf Facebook und Twitter. „Sie ekeln mich an!“ war noch eine der netteren Antworten. 

Selbst die Parteispitze reagiert

Auf die Entgleisung von Seitz reagierte selbst die AfD-Parteispitze. „Art. 102 GG kann für uns grundsätzlich nicht zur Disposition gestellt werden“, hieß es in einer Stellungnahme der Parteisprecher Jörg Meuthen und Alexander Gauland. „Die jüngste Äußerung von Thomas Seitz (...) ist eine private Meinungsäußerung, die zur der Position von Partei und Fraktion vollkommen inkompatibel ist.“

Mit einer längeren Erklärung auf Facebook ruderte Seitz mittlerweile wieder zurück. Tenor: Es war alles ganz anders gemeint. „Natürlich war mein Kommentar eine bewusste und gezielte Provokation, und wenn man sieht, wie viele aufgeregte Gutmenschen sich seit gestern daran abarbeiten, auch eine erfolgreiche“, schrieb Seitz.

Ohnehin sei der Artikel 102 im Grundgesetz „im Grunde genommen überflüssig“, erklärt der AfD-Bundestagsabgeordnete weiter. Denn die Todesstrafe sei nach herrschender Lehrmeinung unter Verweis auf den Grundsatz der Menschenwürde in Artikel 1 des Grundgesetzes ohnehin unzulässig. Und auch Seitz betonte noch einmal, dass die AfD nicht die Wiedereinführung der Todesstrafe fordere.

Kontroverse um Ellwanger Asylbewerber

In dem Artikel aus der „Welt“, über den der AfD-Politiker sich echauffierte, ging es um den Fall eines Mannes aus Kamerun, der im Juni 2018 nach Italien abgeschoben wurde. Der Mann hatte eine Demonstration gegen einen Polizeieinsatz in der Flüchtlingsunterkunft Ellwangen in Baden-Württemberg organisiert.

Bei dem Einsatz hatten Flüchtlinge teils mit Gewalt verhindern wollen, dass ein Bewohner des Heims abgeschoben wird. Die Polizei ging daraufhin massiv gegen die Heimbewohner vor. Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen.

Für die Rückkehr des Mannes nach Deutschland hatte sich anschließend ein breites Unterstützerbündnis eingesetzt. Der Kameruner sei aus „politischen Gründen“ abgeschoben worden, gewaltsamer Widerstand sei ihm „angedichtet“ worden, hieß es in einer Petition des Bündnisses. Stattdessen sei der Mann „schwer traumatisiert“, weil er in seiner Heimat religiös verfolgt und in Libyen misshandelt worden sei.

Mittlerweile sei der Kameruner wieder in Deutschland und habe einen Asylantrag gestellt. Nach geltendem Recht ist das möglich. Derzeit sei er in einer Aufnahmeeinrichtung in Karlsruhe untergebracht, berichtet der SWR

Beamtenstatus entzogen

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Seitz wird dem völkisch-nationalistischen rechten Flügel seiner Partei zugerechnet. Für Schlagzeilen sorgte er zuletzt im September, als ihm das baden-württembergische Justizministerium den Beamtenstatus entzog.

Der ehemalige Staatsanwalt Seitz hatte Begriffe wie „Quotenneger“ und „Gesinnungsjustiz“ im Internet gepostet und damit gegen die Pflicht zur Mäßigung verstoßen. Außerdem hatte er nach Ansicht des Justizministeriums die Pflicht zur Verfassungstreue verletzt, weil er den deutschen Staat als „Unterdrückungsinstrument“ bezeichnet hatte.

Im Video: Roth entsetzt über AfD-Verhalten im Bundestag - Schäuble sieht das ganz anders

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Angespitzt - Kolumne von Ulrich Reitz - An Silvester knallt's: Das Wettrüsten der "Grünversifften" gegen die "Böllermänner"

Angespitzt - Kolumne von Ulrich Reitz: An Silvester knallt's: Das Wettrüsten der "Grünversifften" gegen die "Böllermänner"

Es gäbe viele Themen für diese letzte Kolumne des Jahres, doch eines schiebt sich in den sozialen Netzwerken krachend nach vorne: Der ideologische Krieg zwischen jenen, die im Böller ein Gut der Freiheit sehen, und den anderen, die als "grünversiffte Spaßbremsen" die Knallerei verdammen.

Bis gestern Abend hatte ich noch vor, an dieser Stelle zu schreiben über das neue Wettrüsten von Russland, China und den USA. Wobei mich die Frage sehr beschäftigt, ob man jetzt, da alles so digital wird, noch Raketen aus Stahl und Schießpulver fertigen muss. Weshalb gibt es noch keine Abschreckungs-App?

Oder die AfD - unter besonderer Berücksichtigung der Frage, ob das morgen beginnende neue Jahr ein frohes der AfD werde, schließlich sind Wahlerfolge für sie bei der Europa-Wahl im Mai und den drei Wahlen in Ostdeutschland denkbar. Und auch hier: Keine Anti-AfD-App. Was machen die im Silicon Valley eigentlich den ganzen Tag?

„Was wollen wir trinken“ tanzbar technisiert

Dann überlegte ich, mich aufzuregen über evangelische Pfarrer am Niederrhein, die offenbar asylsuchende Ex-Schiiten aus dem Iran schneller ins Christentums einwandern lassen, als die „Ich glaube an Jesus“ rufen können, worüber die FAZ einen wirklich wahrhaftigen, un-relotiushaften Tatsachen-Report verfasste. Ich finde die Frage, was man dazu als gelernter Christ sagen sollte, im übrigen komplex. Zu der Komplexität gehört allerdings auch die persönliche Erfahrung, wie schwer es einem ausgetretenen Freund fiel, nach Jahren wieder hineinzukommen in die Kirche. Dann aber las ich ein paar hundert Kommentare in den sozialen Netzwerken. Es ging um die Böllerei an Neujahr. Und es ging um unsere Freiheit, um nichts Geringeres. Da konnte ich nicht mehr widerstehen.

Über den Autor: Ulrich Reitz

Ulrich Reitz arbeitete als Korrespondent bei der Welt, war in der Startmannschaft von FOCUS, den er zuletzt führte, und war insgesamt 17 Jahre lang Chefredakteur der beiden größten deutschen Regionalzeitungen "WAZ" und "Rheinische Post". Er beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, der kulturellen Verfasstheit Deutschlands und der Performance seiner Eliten in Politik und Wirtschaft. Reitz versteht sich als wirtschaftlich ordoliberal und politisch konservativ. Er schätzt die gepflegte Kontroverse.

Mir wurde schnell klar: Hier geht es schließlich auch ums Wettrüsten. Der Unterschied: Putin, Xi und Trump sind weit weg, der böllerfreudige und dabei seine Freiheit suchende Nachbar ist sehr nah. Und noch eine Parallele: Unsereiner war ja dabei, als im Bonner Hofgarten anfangs der achtziger Jahre 300 000 Menschen gegen die Nachrüstung demonstrierten und Helmut Kohl im Helikopter über die für das Bundeshauptdorf unverhältnismässige Menge flog und sich grübelnd fragte: Haben die recht oder ich? (Er hatte.) Schon vor gut 35 Jahren ging es natürlich nicht nur um den Weltfrieden, sondern auch ums Feiern. „Was wollen wir trinken“, sangen die „Bots“. Dieses Lied hörte ich danach immer wieder an Silvester in der Düsseldorfer Altstadt inzwischen natürlich tanzbar technisiert.

Ich wollte einfach nur heroisch mitreden können

Apropos: Es gibt ja schon Böllerverbotszonen. Eine davon befindet sich tatsächlich in der Düsseldorfer Altstadt. Seitdem findet das Wettrüsten anderswo statt und die vielen Feierbiester müssen um zwölf keine Angst mehr haben, von einem illegalen Polenböller in die Notauflage des Evangelischen Krankenhauses bombardiert zu werden. Das mag nun wiederum an der Rot-Grünen Stadtregierung liegen und insofern könnten sich jene bestätigt fühlen, die hier illiberale grüne #Spaßbremsen am freiheitsberaubenden Werk sehen. Das ist ein durchgehender Topos in den Netzwerken, dass hier #Grünversiffte Freiheitsliebenden eins ihrer letzten Vergnügungsreservate nehmen.

Mein letztes großes Straßenfeuerwerk erlebte ich in Berlin, und zwar am Rande des Potsdamer Platzes auf dem Weg zum Brandenburger Tor. Dieses persönliche Erlebnis ist insofern repräsentativ, als an diesen Ort in dieser Nacht gefühlt nun wirklich jeder hin will. Ich machte den Fehler, mir anschauen zu wollen, was sich unmittelbar vor den Absperrungen so zuträgt. Nein, es war kein Reporter-Instinkt, ich wollte einfach nur heroisch mitreden können.

In Berlin grassiert seit Jahren der #Spaßwutbürger

Sie können mich jetzt für ein Weichei halten, aber: Nach 15 Minuten hielt ich dieses Bombardement nicht mehr aus. Ich habe viel gelesen über den Ersten Weltkrieg, und irgendwann desertierte ich einfach vom Potsdamer Platz. (Meine Frau, weniger verzärtelt als ich, nutzte die einmalige Gelegenheit noch für ein paar schöne Fotos, die allerdings, wie ich später herausfand, sich zur strafrechtlichen Verfolgung leider nicht eigneten - zuviel Schlachtenqualm.)

Jedenfalls: In Berlin regieren sie ja schon länger, die Roten und die Grünen. Irgendetwas muss also falsch sein am Argument mit den Spaßbremsen. In Berlin ist es anders: Dort hat die Freiheit der Feiernden Vorrang vor dem Ruhebedürfnis der Nur-Mit-Champagner-Anstoßer. Vielleicht breitet sich in Provinz-Deutschland ja der #Wutbürger aus. In Berlin grassiert seit Jahren der #Spaßwutbürger.

Verbote sind in freiheitlichen Gesellschaften immer schlecht, oder?

Etliche schreiben im Internet, seit 2015 habe sich das mit der Böllerei grundsätzlich verändert. Das kann ich nicht beurteilen. Was ich aber sicher weiß, ist, dass auch früher schon, als etwa die Düsseldorfer Altstadt schon noch mehrheitlich biodeutsch war, es dort auch eine Zone verminderter Rücksichtnahme gab: ein falsches Wort, und die Fäuste flogen, ganz unabhängig von Religion und Hautfarbe, und zack - freute sich der Zahnarzt. Seinerzeit wurde in der Familie heftig diskutiert, ob man dem Nachwuchs nicht den Besuch dort verbieten müsste. Heute ist das Verbot - #grünversifft #spaßbremse - verpönt in bestimmten Kreisen, allerdings solchen, die andere Verbote ganz in Ordnung finden, beispielsweise ein Verbot des #Islam.

Verbote sind in freiheitlichen Gesellschaften immer schlecht, oder? Einige meiner Wutfreunde schreiben, ausgerechnet die Böllerei, diese Freude des kleinen Mannes, solle, ginge es nach der Deutschen Umwelthilfe, verboten werden. Nicht aber die Kreuzfahrten, bei denen doch viel mehr Dreck durch den Luxus-Schornstein gepustet werde. Die reiche Elite habe sich wieder mal durchgesetzt (#Gelbwesten).

Was ist das für eine Welt, in der letzte Bastion des Anpacker-Mannes zum Umweltschützer werden muss?

Kurz darauf musste ich mich mit meinem Rad bei einem Regenschauer unterstellen. Das war in Ratingen und ich stand vor der Schaufensterscheibe eines Reisebüros. Dort hing ein riesengroßes Plakat. Die Aida warb mit nahezu emissionsfreien Kreuzfahrten auf ihrem neuesten Schiff und ich dachte: Warum machen die das? Kriegen die Geld von diesem Herrn Resch von der Umwelthilfe? Oder, schlimmer noch: Glauben die etwa der #lügenpresse, die schon länger Klage darüber führt, dass Kreuzfahrtschiffe immer noch dürfen, was Diesel nicht mehr dürfen?

Dann fiel mir ein, dass ich gelesen hatte, ein Baumarkt in Langenfeld habe Böller aus dem Sortiment genommen. Und ich dachte: Was ist das nur für eine Welt, in der jetzt schon die letzte Bastion des weißen Anpacker-Mannes zum weichgespülten Umweltschützer werden muss? Kurz darauf fiel mir auf der Suche nach einer Ausgleichsleiste in einem Baumarkt in Duisburg auf, wie viele Frauen jetzt da einkaufen, und zwar nicht nur Bastelsachen, sondern auch Handkreissägen.

2000 Jahre Fortschritt - Menschheit, du hast es weit gebracht

Ich finde Feuerwerke, wenn sie, möglichst groß angelegt und multikulturell so bereichernd wie das der Japaner in meiner Stadt, prima, obwohl vielleicht auch stimmt, dass heutzutage weniger Geister ausgetrieben werden müssen. Aber - kann man das wirklich wissen? In der FAZ schrieb eine gebildete Kommentatorin auf, dass früher Germanen die bösen Geister mit Hilfe brennender Räder austrieben. Da dachte ich voller Dankbarkeit: 2000 Jahre Fortschritt - Menschheit, du hast es weit gebracht.

Im Video: Bleigießen verboten: Warum Sie sich die Wachs-Alternative sparen können

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Sunday, December 30, 2018

Politik - Die Frau, die Kurz kleinkriegen will

FOCUS Magazin | Nr. 52 (2018)
Politik: Die Frau, die Kurz kleinkriegen will
Von wegen Arbeiterführerin! Die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner setzt auf Frauen-Power, um Österreichs Sozialdemokraten wieder an die Spitze zu bringen

Dieser Text erschien in FOCUS-Ausgabe 52 vom 22. Dezember.

Die Genossen fremdeln noch ein wenig. Als Joy Pamela Rendi-Wagner bei ihrem ersten internationalen Auftritt auf die Bühne gerufen wird, stellt das Präsidium der Europäischen Sozialdemokraten die neue SPÖ-Chefin als Ärztin, erst danach als Politikerin vor. Zu unbekannt noch das Gesicht der Polit-Newcomerin, die vor einem Monat als erste Frau in 130 Jahren an die Spitze der österreichischen Sozialdemokraten rückte und nicht einmal zwei Jahre Parteimitglied war. Die Neue spricht denn auch zunächst über Gesundheitspolitik, die mehr Europa brauche, weil Seuchen keine Grenzen kennen.

Grenzüberschreitend ist auch ein anderes Phänomen, um das sich nicht die Ärztin, sondern die Politikerin Rendi-Wagner sorgen muss: der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie, die nur noch in sechs Staaten den Regierungschef stellt. In den meisten anderen ist sie in der Opposition. So auch in Österreich, wo die SPÖ in Umfragen immerhin noch bei etwa 25 Prozent liegt. Auch für die Europawahlen im Frühjahr 2019 sind die Aussichten düster: Die EVP wird Umfragen zufolge erneut stärkste Kraft werden, während die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten im Europaparlament von 187 auf unter 150 sinken könnte.

Ihr politisches Vorbild? Berufstätige Mütter

Die Fragen, die sich die einst so selbstbewussten Sozialdemokraten in Europa stellen, ähneln sich. Lassen sich die von den klassischen Arbeiterparteien Enttäuschten von den neuen Rechten zurückgewinnen? Braucht es dafür einen linken Populismus à la Jeremy Corbyn in Großbritannien? Oder liegt die rote Zukunft in der berühmten politischen Mitte?

Rendi-Wagner antwortet auf solche Fragen am liebsten, dass es nicht um links oder rechts gehe, sondern um vorn. Ihr politisches Vorbild? „Jede Frau, die ihren Alltag zwischen Kindern, Job und Mietezahlen hinkriegt.“ Das allererste Buch, das sie politisch bewegt hat? „Die feuerrote Friederike“ von Christine Nöstlinger. Darin geht es um ein Mädchen mit feuerroten Haaren, das von allen gehänselt wird, weil es eben anders ist als alle anderen.

Rendi-Wagner will sich nicht in politische Schubladen stecken lassen. Wer sie beobachtet, sieht die SPÖ mit ihr auf dem Weg zu einer progressiven, grün angehauchten und feministischen Mittelstandspartei. Als traditionelle Arbeiterkämpferin wäre die Medizinerin mit internationaler wissenschaftlicher Karriere ohnehin nicht durchgegangen. Mit ihrer gewählten Ausdrucksweise und dem femininen Modegeschmack wirkt sie eher wie eine französische Uni-Professorin. Stallgeruch, Hausmacht, Ochsentour sind Fremdwörter für sie.

„Rechtspopulistische“ Debatten lässt sie bewusst aus     

Dennoch setzt die 47-Jährige auf klassisch sozialdemokratische Themen. Und immer wieder auf Frauen. Sie will „für die Köchin da sein, die unter dem 12-Stunden-Gesetz leidet“, für „die Alleinerziehende, die in Oberösterreich nicht mehr ganztags arbeiten kann, weil die Kindergärten mehr kosten oder schließen“. Ganz abnehmen mögen ihr die Österreicher das sozialpolitische Engagement noch nicht – auch wenn der Boulevard erst einmal entzückt „Yes, we Pam“ titelte und manche sie ein politisches Naturtalent nannten.

Zu intellektuell, zu differenziert, nicht hart genug lautet die Kritik nach den ersten Wochen in und außerhalb der Partei. Tatsächlich betreibt Rendi-Wagner sachliche Oppositionspolitik. Als die Regierung etwa ein Konzept zur Finanzierung der Altenpflege vorlegte, konterte sie mit einem durchdachten roten Gegenmodell. Als ein gefängnisartiges Asylquartier für Minderjährige an der Grenze zu Tschechien Schlagzeilen machte, schwieg sie jedoch. Motto: nur ja nicht über das, was die Rechtspopulisten umtreibt, sprechen. Wohnen, Gesundheit, Soziales, Bildung, das sei die „DNA der Sozialdemokratie“, sagt sie. „Hier liegt unsere Kompetenz.“

Es braucht viel Gelassenheit, sich von Österreichs Regierung nicht in die periodisch inszenierten „rechtspopulistischen“ Sicherheitsdebatten drängen zu lassen. Noch schwieriger ist es, dabei nicht den Eindruck zu vermitteln, die Probleme einer Einwanderungsgesellschaft zu leugnen. Kann das funktionieren?

Klassische Aufstiegs-Saga

Rendi-Wagner kommt entgegen, dass es die Grünen nicht mehr ins Parlament schafften und damit rund vier Prozent der Wähler heimatlos ließen. Zudem wird die rechtskonservative Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) von starken Männern und harten Themen wie Sicherheit, Migration und Integration dominiert. Im Kabinett seien die Protagonisten männlich und machten männliche Politik, sagt die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Die rote und grüne Wählerschaft ist dagegen weiblich. Die SPÖ hofft auf einen „Gender-Effekt“. Es ist kein Zufall, dass Rendi-Wagner den schneidigen Kanzler öffentlich gern mit „Sebastian“ anspricht. Ganz so, als würde eine wohlmeinende Mutter ihren großspurigen Sohn tadeln.

Dass die SPÖ ihre Wähler von den Rechten zurückholt, hat sie unter der neuen Parteichefin offensichtlich abgeschrieben. Stattdessen setzt die Partei auf die Öffnung der Sozialdemokratie in Richtung Grüne und kritisches Bürgertum.

Rendi-Wagners Biografie, sorgsam inszeniert von ihrem Team, scheint dafür wie geschaffen: Da wird ihre griechischstämmige, alleinerziehende Mutter hervorgeholt, die ihr Kind im Wiener Gemeindebau großzog und nebenbei eine Ausbildung zur Kindergärtnerin machte. „Ich war das erste und das letzte Kind im Kindergarten“, erinnert sich Rendi-Wagner. „Meine Mutter habe ich nie anders als arbeitend erlebt.“ Dem Vater, einem Hippie, verdankt sie ihren Vornamen Joy und den Kontakt mit feministischer Literatur. Was folgte, ist eine soziale Aufstiegsgeschichte, eine Blaupause für das große Versprechen der Sozialdemokratie.

Sie studierte Medizin und machte einen Master in Public Health an der University of London. Da war sie schon mit ihrem späteren Mann Michael Rendi zusammen, einem Diplomaten aus angesehener jüdischer Familie. Als er 2008 Botschafter in Israel wurde, nahm sie eine Gastdozentur in Tel Aviv an und lernte Hebräisch. In Israel kam die zweite Tochter zur Welt, nach der Geburt der ersten hatte sie habilitiert.

2011 übernahm sie die Abteilungsleitung Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium in Wien. Schnell fiel die Epidemie- und Impfexpertin auf: als telegen, souverän, kompetent. Auch Ex-SPÖ-Chef Christian Kern wurde auf sie aufmerksam. Er machte sie zur Gesundheitsministerin und Nummer zwei im Wahlkampf. Als Kern im Herbst nach zwei Jahren das Handtuch warf, schlug er die Quereinsteigerin als Nachfolgerin vor.

An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht

Können Europas Sozialdemokraten von Österreich lernen? „Bei uns zeigt sich, dass die FPÖ für die ÖVP den Steigbügelhalter beim Sozialabbau macht. Das gilt es aufzuzeigen“, meint Rendi-Wagner. „Aufzeigen, dass es den rechten Parteien, sobald sie in Regierungsverantwortung sind, nicht um Menschen und ihre Lebenssituationen geht, sondern um Macht und Einfluss. Und dass sie dafür bereit sind, alle Versprechen über Bord zu werfen und massive Kürzungen mitzutragen.“

So weit die Diagnose. Ob Dr. „Pam“ auf die richtige Medizin setzt und ob sie länger als ihr Förderer und Vorgänger Kern durchhält? „Ja, werde ich“, sagt sie. „Weil ich nicht er bin.“ An Selbstbewusstsein mangelt es ihr jedenfalls nicht.

Video: Flucht und Migration: So viele Menschen erreichten 2018 Europa – und so viele kamen nach Deutschland

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

Search

Featured Post

Granblue Fantasy: Relink's Demo Will Make a Believer Out of You - Kotaku

depolitikblog.blogspot.com Before multiple friends of mine went out of their way to sing the praises of Granblue Fantasy: Relink to ...

Postingan Populer