Jens Spahn ist ein Kämpfer. Der 38-jährige Bundesgesundheitsminister liegt zwar weit zurück im Wettstreit um den CDU-Vorsitz, doch er lässt sich nichts anmerken. „Egal, wie es ausgeht – ich bin mit mir im Reinen“, sagt er im FOCUS-Interview, für das er sich zwischen den beiden CDU-Regionalkonferenzen am Dienstag und Mittwoch noch eine gute Stunde Zeit genommen hat. Wir treffen einen fast fröhlichen CDU-Politiker, der sich im Wettbewerb mit den Parteifreunden Annegret Kramp-Karrenbauer, 56, und Friedrich Merz, 63, offenbar wohlfühlt.
Spahn will mehr Debatten und Auseinandersetzungen, das hat er immer wieder betont. Seit Jahren profiliert er sich als Kritiker der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel. Doch am Mittwoch wurde Spahn von Friedrich Merz überholt, der unter dem Beifall der CDU-Mitglieder im thüringischen Seebach das Grundrecht auf Asyl infrage stellte und Spahn damit seinen zentralen Markenkern streitig machte.
FOCUS: Herr Spahn, können Sie Ihre wichtigsten drei Ideen für die CDU auf einen Bierdeckel schreiben?
Jens Spahn: Da ist ziemlich wenig Platz drauf.
Die drei wichtigsten Ideen für die Zukunft der CDU
FOCUS: Friedrich Merz reicht der Platz immerhin für eine Steuererklärung.
Spahn: Für die Zukunft der CDU brauche ich etwas mehr Platz. Erstens müssen wir wieder viel stärker nach vorn denken: Wie werden wir Digital-Weltmeister? Wie reformieren wir angesichts der Demografie die Altersrenten? Die große Koalition ist bleiern und gegenwartsbezogen. Wir müssen, zweitens, über die nächsten vier, fünf Jahre hinausdenken. Ich bin 2050 siebzig Jahre alt. Und ich möchte dann auch noch in einem freien, wohlhabenden Land leben, mit Wachstum und Zusammenhalt. Und dafür müssen wir, drittens, in der CDU wieder offener und ehrlicher miteinander diskutieren. Das haben wir in den letzten Jahren zu wenig getan.
FOCUS: Sie haben sich viel vorgenommen, liegen aber weit hinter Ihren Mitbewerbern zurück.
Spahn: Die Delegierten auf dem Parteitag entscheiden – nicht die Umfragen. Ich habe das Gefühl: Die Stimmung dreht sich.
FOCUS: Dennoch: Tut es Ihnen leid, dass Sie so schnell kandidiert haben?
Spahn: Nein.
Spahn wird nicht zugunsten von Friedrich Merz verzichten
FOCUS: Viele glauben, dass Sie kurz vor der Wahl zugunsten von Friedrich Merz verzichten.
Spahn: Nein. Ich möchte der Partei ein Angebot machen, und dabei bleibt es auch. In dem Augenblick, als Angela Merkel für uns alle überraschend und sehr souverän ihren Verzicht verkündet hat, war mir klar, dass ich antreten werde. Und egal, wie es ausgeht – ich bin mit mir im Reinen.
FOCUS: Haben Sie eine Idee für den Schlussspurt, um Ihren Rückstand noch aufzuholen?
Spahn: Ja, weitermachen wie bisher. Verbiegen werde ich mich jedenfalls nicht. Ich spüre einen wirklichen Aufbruch in der Partei, eine richtig gute Stimmung, und dieser demokratische Wettbewerb tut der CDU gut.
FOCUS: Was qualifiziert Sie für das Amt des CDU-Vorsitzenden?
Spahn: Erfahrung.
Erfahrung als Trumpf
FOCUS: Mit 38 Jahren?
Spahn: Muss man bei Ihnen 70 Jahre alt sein, um Chefredakteur zu werden? Ich bin seit 16 Jahren im Bundestag, ich habe im Finanzministerium und jetzt im Gesundheitsministerium Regierungserfahrung gesammelt, und ich kenne auch die Partei gut. Allein in den letzten zwei Jahren habe ich 250 Veranstaltungen in ganz Deutschland gemacht und mit den Wahlkämpfern bei Sonne und Regen gestanden und Prospekte verteilt. Und ich weiß daher, wie es sich anfühlt, wenn die Stimmung schlecht ist und man an der Basis Prügel für Entscheidungen in Berlin bekommt.
Umfrage: Welchem der bisher bestätigten Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz trauen Sie am ehesten zu, die Wahlergebnisse der CDU zu verbessern?
FOCUS: Was wäre Ihre wichtigste Aufgabe als CDU-Chef?
Spahn: Der Partei neues Selbstbewusstsein geben. Debatten anregen, Lösungen finden. Das Team wieder zum Erfolg führen.
FOCUS: Ist die Partei unter Angela Merkel vernachlässigt worden?
Spahn: Zumindest tut der Partei jetzt wieder mehr Aufmerksamkeit und Dynamik gut. Ich will mich deshalb ganz auf diese Aufgabe konzentrieren und habe nicht direkt das nächste Amt im Blick.
Spahn: Parteichef nicht automatisch Kanzlerkandidat
FOCUS: Warum nicht? Ist der nächste CDU-Chef nicht auch der nächste Kanzlerkandidat?
Spahn: Erstens haben wir mit Angela Merkel eine gewählte Kanzlerin. Zweitens ist mit dem CDU-Vorsitz natürlich eine gewisse Zukunftsperspektive verbunden. Aber es gibt keinen Automatismus. Angela Merkel hat 2002 ...
FOCUS:... als sie Edmund Stoiber im Bundestagswahlkampf als Kanzlerkandidat der Union den Vortritt ließ ...
Spahn:... uns allen gezeigt, dass es sehr auf die jeweilige Situation ankommt. Richtig ist aber, dass der CDU-Vorsitzende bei der Frage der Kanzlerkandidatur eine entscheidende Rolle spielt. Dafür müssen wir als CDU aber erst wieder mal in die Lage kommen, Wahlen zu gewinnen.
FOCUS: Kann es gut gehen, wenn ein CDU-Chef Jens Spahn künftig als Gesundheitsminister mit Kanzlerin Angela Merkel an einem Kabinettstisch sitzt?
Spahn: In der Regierung aktiv gestalten zu können wäre für einen Parteichef jedenfalls nicht von Nachteil.
FOCUS: Wer hat dann das letzte Wort?
Spahn: In Parteifragen der Parteichef, und in der Regierung gilt natürlich die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin.
Migration als entscheidende Zukunftsfrage für Europa
FOCUS: Ein Thema, das Sie besonders stark betonen, ist die Migrationsfrage. Sie fordern eine Konzentration auf die Zukunft, aber kommen immer wieder auf die Flüchtlingskrise zurück, die bereits drei Jahre her ist.
Spahn: Ob Kontrolle über Migration und bessere Integration gelingen, sind entscheidende Zukunftsfragen für Europa. Die Flüchtlingsfrage ist für die Zukunft noch nicht abschließend gelöst. Es kommen Jahr für Jahr über 200.000 Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen zu uns. Das ist eine jährliche Größenordnung, die ich auf Dauer für unleistbar halte. Weil ich Zweifel habe, ob wir alle diese Menschen wirklich integrieren können.
FOCUS: Der Bundestag will jetzt einen Entschließungsantrag, um klarzustellen, dass sich mit dem umstrittenen UN-Migrationspakt keine weiteren Asylgründe verbinden. Warum wollen Sie den Pakt unbedingt auch auf dem Parteitag diskutieren?
Spahn: Wenn wir eines in den letzten drei Jahren gelernt haben, dann, dass nicht geführte oder nicht zu Ende geführte Debatten uns viel Vertrauen gekostet haben. Nicht zuletzt in den eigenen Reihen. Egal, ob bei der Wehrpflicht, der Energiewende, TTIP oder jetzt beim Migrationspakt. Es ist Aufgabe der Partei, grundsätzliche Fragen frühzeitig zu diskutieren und eine eigene Position zu finden. Sonst dominieren am Ende Vorurteile statt Fakten.
FOCUS: Aber die Bundestagsfraktion will doch bereits kommende Woche darüber sprechen.
Spahn: Ja, und das ist auch richtig. Ich sehe das wie die Generalsekretärin: Die Partei hat ebenso das Recht, in Ruhe und gründlich ein Thema zu diskutieren, das sehr viele Mitglieder und Bürger beschäftigt. Nichts wäre doch schlimmer als der Eindruck, die CDU würde sich nicht trauen, auf ihrem Parteitag über Migrationsfragen zu debattieren!
Profilierung durch Migrationspakt? Spahn weist das zurück
FOCUS: Das ist doch Taktik, Sie wollen sich mit dem Thema profilieren.
Spahn: Wenn Parteien sich mit wichtigen aktuellen Themen beschäftigen, ist das keine Taktik, sondern ihre Aufgabe!
FOCUS: Sind Sie denn dafür, dass Deutschland den Migrationspakt ablehnt? So wie Österreich und Polen?
Spahn: Österreich wird sich enthalten. Ich bin Mitglied dieser Regierung. Ich bin sehr für internationale Leitlinien zur Migration. Aber wir müssen sie besser erklären. Und wir müssen proaktiv verhindern, dass Rechte und Linke diesen Pakt instrumentalisieren. Die einen, indem sie Vorurteile schüren und hetzen. Die anderen, indem sie diesen Pakt künftig nutzen, um ihre Ideologie der weltweit offenen Grenzen durchzusetzen. Und der Antrag, den die Koalition zum Thema erarbeitet, gibt uns eine zweite Chance zur aktiven Kommunikation.
FOCUS: Ist die Flüchtlingsfrage für die CDU so etwas wie die Agenda 2010 für die SPD?
Spahn: Die große Mehrheit in der CDU sieht, dass wir 2015 nicht alles richtig gemacht haben. Wir wollen aus Versäumnissen für die Zukunft lernen, die SPD will eine richtige Entscheidung rückabwickeln. Wir schaffen es eben zu oft immer noch nicht, ausreisepflichtige Asylbewerber auch tatsächlich abzuschieben. Es gibt in der Union zwar Einigkeit darüber, dass sich 2015 nicht wiederholen soll. Aber: Haben wir in Europa für die Zukunft genug Vorsorge getroffen, dass sich 2015 wirklich nicht wiederholt?
"Ich bin für einen modernen Patriotismus"
FOCUS: Haben wir?
Spahn: Noch nicht. Wir müssen Frontex für den Grenzschutz stärken, wir haben europäisch noch nicht genug getan, um Fluchtursachen zu bekämpfen, und bei Integration und Zusammenhalt gibt es in ganz Europa noch große Defizite. Es geht auch um Werte, Verbindlichkeit und ein gesundes Verhältnis zum eigenen Land. Ich bin für einen modernen Patriotismus, der nicht ausgrenzt, sondern zum Mitmachen einlädt – und bei Bedarf auch dazu auffordert.
FOCUS: Das wollen auch andere Parteien, die um Wähler rechts der Mitte werben.
Spahn: Stopp! Von politischen Extremen, egal, ob rechts oder links, grenzen wir uns ab! Wir sagen eben nicht, dass es keine Moschee in Deutschland geben darf. Wir sagen, es sollen deutsche und nicht türkische Moschee-Gemeinden sein. Ich möchte, dass die Imame auf Deutsch und nicht nur auf Türkisch oder Arabisch predigen. Und ich möchte, dass der Bundespräsident eine große neue Moschee eröffnet und nicht Herr Erdogan. Das ist der entscheidende Unterschied zu den Spaltern von links und rechts. Wir möchten Freiheit erhalten, indem wir den Zusammenhalt stärken. Dafür muss man Probleme aber besprechen.
FOCUS: Trotzdem spaltet das Flüchtlingsthema eher.
Spahn: Umso wichtiger, dass wir uns als CDU nach eingehender Diskussion klar positionieren. Schauen Sie, wenn der Wettbewerb um die CDU-Führung jetzt dazu führt, dass die Partei ehrlicher und offener darüber diskutiert, ist das schon ein Gewinn. Annegret Kramp-Karrenbauer und ich sind uns heute einig, dass der Doppelpass zu einem Loyalitätskonflikt führt. Die Aussage, dass alle straffälligen Asylbewerber an der EU-Außengrenze zurückzuweisen sind, hätte vor ein paar Wochen noch Reflexe ausgelöst. Egal, wer Vorsitzender wird, schon die Debatte tut der Partei gut.
FOCUS: Sie meinen, Sie haben sich durchgesetzt?
Spahn: Ich muss von meinen Positionen der vergangenen drei Jahre jedenfalls nichts zurücknehmen. Als ich 2015 von „einer Art Staatsversagen“ gesprochen habe, war der Aufschrei groß ...
"Ich bin kein Polarisierer. Ich bin ein Debattierer."
FOCUS: Stimmt, das hat polarisiert. So wie heute Ihre Kritik am UN-Migrationspakt. Kann ein Polarisierer denn eine Volkspartei führen?
Spahn: Ich bin kein Polarisierer. Ich bin ein Debattierer. Ich finde, eine Volkspartei muss Debatten führen. Als ich 2008 die Rentenerhöhung kritisiert habe, weil das die jüngere Generation belastet, da wollten mich auch einige ungespitzt in den Boden rammen. Die Debatte war aber notwendig. Politische Führung bedeutet, sich nicht wegzuducken, sondern zu stellen. Auch bei Gegenwind. Eine gut geführte Debatte schafft Zusammenhalt. Nicht geführte Debatten schaffen Misstrauen.
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FOCUS: Welche Kurskorrektur der CDU wollen Sie?
Spahn: Keine Korrektur, es geht um Weiterentwicklung!
Grünen sind "links, links und noch mal links"
FOCUS: Die Frage ist doch: Wollen Sie Wähler von der AfD oder von den Grünen zurückholen?
Spahn: Dieses Rechts-links-Schema ist mir für die CDU zu klein kariert. Wir dürfen uns nicht über die anderen definieren. Wir müssen auf unsere eigene Stärke setzen. Dann können wir die AfD sogar wieder ganz verschwinden lassen. Die CDU muss Zuversicht versprühen. Im Übrigen akzeptiere ich nicht, dass wir die Grünen zur bürgerlichen Partei erklären. Nehmen Sie nur deren Europa-Programm: ökologische Bevormundung, europaweiter Mindestlohn und Umverteilung! Das ist nicht bürgerlich, sondern links, links und noch mal links!
FOCUS: Hat es Sie gewundert, dass Friedrich Merz die Grünen „sehr bürgerlich“ genannt hat?
Spahn: Ich sehe die Grünen kritischer. Wir erleben ja in NRW, wie sie damals in der rot-grünen Landesregierung die Rodungen im Hambacher Forst mitbeschlossen haben. Heute ketten sie sich dort an, um die Rodungen zu verhindern. Das ist nicht bürgerlich.
Auch im Falle einer Niederlage: Spahn will "an Bord bleiben"
FOCUS: Annegret Kramp-Karrenbauer hat angekündigt, dass sie aus der aktiven Politik ausscheidet, wenn sie die Wahl verliert. Und Sie?
Spahn: Ich bleibe an Bord, ich will den Erfolg der CDU und die Zukunft unseres Landes mitgestalten.
FOCUS: In welcher Position, wenn es mit Parteichef nicht klappt?
Spahn: Das wird der Parteitag entscheiden.
FOCUS: Also Generalsekretär oder Parteivize?
Spahn: Ich kandidiere für den Parteivorsitz.
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