Ein schmales Lächeln macht sich auf Mohammeds bärtigem Gesicht breit, als er die Arme vor der Brust verschränkt. Seine braunen Augen schauen durch eine schwarze Brille in die Ferne, schweifen ab, über den grünen Badesee hin zu den spielenden Kindern am feinsandigen Uferrand. Mohammed hat vom Balkon des grau lackierten Holzhäuschens aus alles im Blick.
Das muss er auch. Denn er ist Rettungsschwimmer, seit März 2017 fertig ausgebildet am „Freizeit- und Erholungszentrum“ (FEZ) in Berlin-Köpenick. „Ich bin auf Habachtstellung, muss reagieren, wenn was passiert“, erklärt der 23-Jährige in gebrochenem Deutsch. Mohammed hat in Deutschland eine Aufgabe gefunden. „Ein neues Leben begonnen“, wie er selbst sagt – als syrischer Flüchtling in der Bundeshauptstadt.
Sein Weg dorthin war gefährlich. Mohammed kam Ende 2015 auf einem Schlauchboot über das Mittelmeer nach Europa. Ein Erlebnis, das den IT-Studenten prägte: „Das Boot war überfüllt. Kleine Kinder und drei Säuglinge waren mit an Bord als der Motor ausfiel. Ich hatte Angst um sie.“ Mohammed lässt plötzlich die Arme baumeln und sagt: „Passiert ist ihnen nichts, doch für mich stand danach fest: Ich will anderen im Notfall helfen können.“
Mohammed war 2015 einer von 79.000 Flüchtlingen in Berlin
Mohammed war einer von rund 79.000 Flüchtlingen, die Berlin im Jahr 2015 aufnahm. 190 von ihnen fanden Unterkunft in der Mehrzweckhalle des FEZ, sodass plötzlich auch Asylbewerber die dazugehörige Schwimmhalle nutzen.
Es kam zu Beschwerden von Badegästen: Viele der Schutzsuchenden konnten kaum schwimmen, kannten weder die Badeordnung noch sprachen sie Deutsch – weshalb sich das Berliner Freizeitzentrum dazu entschied, freiwillige Asylbewerber in dem neunmonatigen Pilotprojekt „Rettung in Sicht“ zu Rettungsschwimmern ausbilden zu lassen. Sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge, wie sie sich in anderen Freibädern ereignet haben sollen, hat es hier laut FEZ-Sprecherin Marion Gusella nicht gegeben.
„Wir hatten hier viele Flüchtlinge. Ich bin der einzige, der geblieben ist“
„Wir hatten hier viele Flüchtlinge. Ich bin der einzige, der geblieben ist“, scherzt Mohammed während er nach der schmalen Holzleiter greift, die aus dem dunklen Rettungshäuschen an den hellen Sandstrand führt.
„Von den fünf Männern, die mit mir die Ausbildung gemacht haben, arbeitet einer noch halbtags. Doch nur ich bin hier fest“, erzählt der 23-Jährige und nimmt behutsam eine Sprosse nach der anderen. Mohammed ist froh, die Festanstellung und damit eine berufliche Perspektive bekommen zu haben. Im Gegensatz zu seinem Arbeitskollegen ist er nämlich anerkannter Asylbewerber.
Mohammed kann den Frust vieler Flüchtlinge verstehen
Er könne den Frust vieler Flüchtlinge verstehen, die arbeiten wollen, aber wegen der Ungewissheit über ihren Aufenthaltsstaus nicht können. Mohammed rückt seine Brille zurecht und blickt an dem roten Tanktop und der blauen Badehose, die er trägt, herunter. „Meine ersten sieben Monate in Deutschland waren schwierig. Im Heim in Berlin-Westend hatte ich nur das Gefühl, nicht anderes zu tun außer zu essen und zu schlafen – ohne zu wissen, was die Zukunft bringt.“
Mit 19 Jahren verließ Mohammed seinen Heimatort Deir ez-Zor im Osten Syriens. Von 2011 bis 2015 wechselte er regelmäßig seine Zuflucht. Darunter auch die IS-Hochburg ar-Rakka im Norden. Um sie ist ein blutiger Kampf zwischen der syrischen Armee, Rebellen und den selbsternannten Gotteskriegern entbrannt. Bis heute dauert er an.
An die Bomben, die ihn nachts aus dem Schlaf rissen und das polternde Rollen der Panzer auf Geröllboden kann sich Mohammed noch gut erinnern – ein Grund, für ihn und seine Familie Richtung Europa zu fliehen.
„Aber die haben nicht gehört“
Inzwischen hat Mohammed eine eigene Wohnung in Berlin. Bei der Suche habe ihm eine „gute Freundin“ geholfen, die Bademeisterin beim FEZ sei. Der goldgelbe Sand knirscht als Mohammed seine Runde am Ufer geht. Er erzählt weiter: „Steffi übt mit mir auch Deutsch. Wenn gerade mal keine Badegäste da sind oder ich zum Grammatikkurs muss.“
Fließend Deutschsprechen fällt dem gebürtigen Syrer nicht leicht. Bei seiner Arbeit, Unfälle am Badesee mit Argusaugen vorzubeugen, würde ihn das aber nicht behindern. Mohammed erinnert sich, dass es auch hilfreich sein kann, fließend arabisch zu sprechen.
Es war ein heißer Sommertag, an dem Mohammed Aufsicht am FEZ-Badestrand hatte. Viele Jugendliche tobten im Wasser. Darunter auch drei Jungen, die den See über eine angrenzende Absperrung verlassen wollten. Anstatt das Ufer zu suchen, kletterten die Jugendlichen auf den Betonzaun, der einen Teil des Badesees säumt. „Die waren laut. Und mein Chef hat sie übers Megafon aufgefordert, da runter zu kommen. Aber die haben nicht gehört“, erklärt Mohammed.
„Dann musste ich eingreifen. Auf Arabisch“
Er blickt mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Wasseroberfläche und schüttelt den Kopf. „Dann musste ich eingreifen. Auf Arabisch. Die haben sich sofort entschuldigt.“ Ob die Jungen nur Respekt vor ihm hatten, weil er ihre Sprache spricht? Das glaubt der Rettungsschwimmer nicht: „Ich denke, die konnten kaum Deutsch, haben meinen Chef einfach nicht verstanden. Sonst hätten sie schon auf ihn gehört“, ist der 23-Jährige überzeugt.
Am Ende des Badestrands angekommen, kehrt Mohammed um. Es ist Ruhe eingekehrt, das Wasser wie unberührt, nachdem die spielenden Kinder mit ihren Müttern das Ufer verlassen haben.
Eine Sache, die uns Mut macht
Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr an eine deutsche Kommune der "Nationale Integrationspreis" vergeben. Die Auszeichnung ging an die 17.000-Einwohner-Stadt Altena im Sauerland.
Die Jury, der neben Frankfurts Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth auch der Schauspieler Elyas M'Barek ("Fack ju Göthe") angehörte, bezeichnete Altena als vorbildlich im Umgang mit Flüchtlingen.
Eine Besonderheit war zum Beispiel, dass die Stadt die Flüchtlinge nicht in Sammelunterkünften, sondern in normalen Wohnungen unterbrachte. Zudem wurden auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise sogar rund 100 Menschen mehr aufgenommen, als der Stadt zugewiesen worden waren.
Die Stadt selbst stellte die positiven Effekte des Flüchtlingszuzugs heraus. So verzeichnet Altena erstmals seit mehr als 20 Jahren eine positive Bevölkerungsentwicklung.
„Vielleicht bin ich in meinem Beruf so was wie ein Vermittler“
Mohammed zieht die Mundwinkel nach oben und lächelt: „Vielleicht bin ich in meinem Beruf so was wie ein Vermittler. Oft sind es ja die fehlenden Sprachkenntnisse, die zu Missverständnissen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen führen. Wenn ich ihnen erkläre, an welche Regeln sie sich halten müssen, kann ich Konflikte ein Stück weit vorbeugen.“ Natürlich gebe es auch „schwarze Schafe“ unter den Asylbewerbern. „Wer ignorant ist und sich daneben benimmt“, werde „nun mal schlechtere Chancen“ auf Integration haben.
Auf halbem Rückweg zum Rettungshäuschen stoppt Mohammed. Er blickt zu Boden und bohrt seine Füße in den Sand. In Deutschland habe er sich zu keinem Zeitpunkt diskriminiert gefühlt, erzählt der 23-Jährige. Mohammed steht wie angewurzelt am Ufer des Badesees. „Ich bin angekommen“, sagt er während seine Augen wieder die Wasseroberfläche suchen.
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