Bei den Anschlag in Barcelona kamen mindestens 13 Menschen ums Leben, mehr als 80 wurden verletzt. FOCUS Online sprach mit dem Terrorismusexperten Rolf Tophoven über die ersten Erkenntnisse.
FOCUS Online: Die spanische Polizei sprach relativ schnell von Terror. Was spricht dafür?
Tophoven: Ein Angriff mit einem Auto erinnert natürlich sofort an den zuletzt massiv praktizierten Modus Operandi der Terrormiliz IS. Der inzwischen getötete Propagandachef des sogenannten Islamischen Staates hatte ja bereits 2014 zu Anschlägen mit Lkws und Pkws aufgerufen. Auch wenn dies noch keineswegs erwiesen ist, wäre es plausibel. Der IS steht in Syrien und dem Irak massiv unter Druck und große Gebietsverluste hinnehmen, insbesondere die Niederlage in Mossul und der bevorstehende Verlust ihres Hauptquartiers in Rakka setzen die Terrormiliz sehr unter Druck – das versucht sie, durch Anschläge zu kompensieren.
FOCUS Online: Nach dem Anschlag herrschte Verwirrung darüber, wie viele Täter es gibt und ob sie sich auf der Flucht befinden. Sogar über eine Geiselnahme wurde berichtet. Inzwischen wurde die Geiselnahme dementiert, mindestens ein Verdächtiger wurde festgenommen, ein weiterer offenbar erschossen. Ob sich noch Verdächtige auf der Flucht befinden, ist unklar. Was für eine Wirkung hat eine solche Unsicherheit?
Tophoven: Je länger eine terroristische Aktion dauert, desto größer ist die Aufmerksamkeit, die die Terroristen damit erzielen können. Wenn ein Täter sich in die Luft sprengt oder sofort getötet wird, ist der Schock und die Bestürzung natürlich sehr groß. Doch wenn ein Täter auf der Flucht und sogar bewaffnet ist, dann bleibt die Gefahr weiter bestehen und die psychologische Wirkung ist noch größer. Die Menschen vor Ort verschanzen und müssen fürchten, dass noch mehr passiert. Diese Bedrohungslage wird auch über die Medien weiter transportiert. Deshalb ist es durchaus naheliegend, dass die Täter versuchen, den Anschlag durch eine - möglicherweise sogar bewaffnete Flucht - in die Länge zu ziehen, um so noch mehr Angst zu verbreiten.
FOCUS Online: Bei Terroranschlägen in Europa gibt es stets eine große Solidarität. Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass sich in der Reisezeit viele Touristen in Spanien aufhalten, deren Angehörige und Freunde sich Sorgen machen. Gehört das möglicherweise zum Kalkül der Terroristen?
Über den Experten
Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenprävention (IFUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen und journalistischen Tätigkeit sind der militant islamistische Terrorismus, seine Ausprägung und Bekämpfung. Außerdem der Nahe Osten und seine Konfliktregionen.
Tophoven: Von einem Ort wie Barcelona und Las Ramblas geht eine sehr starke Wirkung aus. Der Anschlag trifft nicht nur die Spanier ins Herz, sondern wirkt mitten in der Reisezeit auch besonders stark über die Landesgrenzen hinaus. Für viele Europäer und gerade Deutsche ist die Türkei wegen der Terrorgefahr als Urlaubsziel weggefallen – umso mehr reisen nach Spanien. Zumindest für einen Tag kommen viele Urlauber von der Küste in die Stadt. Deshalb bewirken die Terroristen hier eine noch größere Betroffenheit als ohnehin schon.
FOCUS Online: Zuletzt waren vor allem Frankreich und Belgien Ziel von Anschlägen. Wie groß wurde die Terrorgefahr in Spanien vor dem Anschlag eingeschätzt?
Tophoven: Spanien hat ein besonderes Trauma, weil es jahrzehntelang immer wieder von Anschlägen der baskischen Terrororganisation ETA, die die Unabhängigkeit des Baskenlandes erzwingen wollte, heimgesucht wurde. Mehr als 800 Menschen starben dabei. Hinzu kamen die schweren islamistischen Zuganschläge in Madrid im Jahr 2004, bei denen 191 Menschen starben und mehr als 2000 verletzt wurden. Die Terrorwarnstufe war mit vier von fünf stets sehr hoch.
FOCUS Online: Der erste Festgenommene soll aus Marseille stammen und nordafrikanischer Herkunft sein. Auch der Berlin-Attentäter Anis Amri stammte aus Tunesien. Nimmt die Terrorgefahr, die von diesen Ländern ausgeht, zu?
Tophoven: Es ist zu befürchten, dass die nordafrikanischen Länder zunehmend zu Vorbereitungsräumen terroristischer Angriffe werden. Deshalb ist leider zu erwarten, dass die Anschläge auf europäischem Boden weiter zunehmen werden.
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