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Monday, October 2, 2017

16 Reporter, 16 Bundesländer - Hamburg - Hamburger haben 4 Themen, um die sich Politik kümmern sollte

16 Reporter, 16 Bundesländer - Hamburg: Hamburger haben 4 Themen, um die sich Politik kümmern sollte
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Vor einem dunklen Lokal in der Hamburger Sternschanze sitzen Toni und Karell auf einer Bierbank – sie sind seit 30 Jahren Stammgäste in der Kneipe. Thema Bundestagswahl. Auftritt Toni: „Die Parteien sind mir alle zu machtgierig." Hier wird direkt Klartext gesprochen.

Und weiter. Was habt ihr dann gewählt? Toni: Die Linke. "Aber eigentlich sind die mir nicht links genug", sagt der 64-jährige Rentner. "Die Linke war nur das kleinere Übel“, Er nimmt einen großen Schluck aus seinem Bierglas. "Die Parteien diskutieren zu viel. Dabei kommt aber nicht viel raus." Worum sollten sich die Parteien denn am dringendsten kümmern? "Die wichtigsten Themen sind für mich soziale Gerechtigkeit und der Schutz vor Armut."

Nur einige Meter weiter erhebt sich am Schulterblatt die Rote Flora. Von den heftigen Ausschreitungen während des G20-Gipfels im Juli ist hier kaum noch etwas zu sehen. Die Menschen haben ihren Stadtteil wieder aufgebaut. 34,9 Prozent der Anwohner stimmten für die Linke, die hier eines ihrer besten Wahlergebnisse in ganz Hamburg einsackte.

Linke-Hochburg in der Sternschanze

 

Wegen Menschen wie Toni. „Die Jugend tut mir jetzt schon leid, ich möchte nicht mehr 30 sein“, sagt er und nickt mit dem Kopf in die Richtung zweier jungen Frauen, die mit Einkaufstüten bepackt an ihm vorbei schlendern. „Ich habe eine schöne Wohnung und muss keine Angst vor Armut haben.“ 564 Euro Rente und 310 Euro Grundsicherung bekommt er – gerade genug um sich sein Leben zu finanzieren.

Karell mischt sich ein: „Ich muss auf meine Rente Steuern zahlen! Das ist doch unglaublich.“ Er drückt seine Zigarette im Aschenbecher aus. Die Rente müsse vor Armut schützen und sollte nicht besteuert werden, sagt der ehemalige Ingenieur.

Deutschland deine Gesellschaft – 16 Reporter, 16 Bundesländer

Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass ein Riss durch Deutschland geht. FOCUS Online nimmt das Wahlergebnis zum Anlass, mehr über Deutschland und die Deutschen zu lernen: Was waren ihre persönlichen Gründe für ihre Wahlentscheidung? Wo sehen sie Probleme, was sind ihre Wünsche und Hoffnungen? Um Antworten darauf zu finden, reisen 16 FOCUS-Online-Reporter eine Woche lang in die 16 Bundesländer.

Alle bereits veröffentlichten Geschichten finden Sie verlinkt am Ende dieses Beitrags.

Altersarmut. Wichtiges Thema. Verstanden. Wo ist die soziale Ungerechtigkeit im linken Szeneviertel?

Karell führt aus. Noch vor ein paar Jahren haben in der Schanze mehr ältere Leute gewohnt, doch die Mieten seien zu teuer geworden. Gegenüber von der Kneipe ist eine große Baulücke. „Spekulanten kaufen Grundstücke und reißen die Häuser ab, damit das Gebäude nicht besetzt wird. Und dabei haben wir hier doch eine Wohnungsnot. Aber die wollen das nur von der Steuer absetzen“, sagt der 70-Jährige und zündet sich noch eine Zigarette an. „Die ganzen BMWs und Friseure gab es hier früher nicht.“ Karell hat die SPD gewählt, die Linke hat ihn zu sehr an die SED erinnert.

Soziale Gerechtigkeit

Auf einem Spielplatz in einem Hinterhof direkt im Herzen der Sternschanze toben Kinder über die Spielgeräte. Ein einjähriger Junge sitzt neben seinem Kinderwagen im Sand und ist ein Stück Apfel. „Hamburg ist teuer, da gibt es nicht die Freiheit sich auszusuchen, wo man wohnt“, sagt der 37-jährige Thommy. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei Kindern wohnt er am Stadtrand von Hamburg. Die Familie hält sich häufig in der Sternenschanze auf - doch die Miete können sie sich hier nicht leisten.

Thommy hat die Linken gewählt. Sie stehen seiner Meinung nach als einzige Partei wirklich für die soziale Gerechtigkeit. „Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen leisten viel und können ihre Familien trotzdem nicht ernähren. Das empfinde ich als sehr ungerecht“, sagt Thommy. „Krankenpfleger oder auch Zeitarbeiter bekommen zu wenig Geld.“ Der junge Vater ist selbst eigentlich Erzieher, doch durch ein Stipendium finanziert er sich ein Studium der Sozialen Arbeit. Gerechte Bezahlung. Großes Thema. Thommy hat noch eins: Die Kinderarmut müsse bekämpft werden – vor allem in einem so wohlhabenden Land.

Blankenese: CDU-Territorium - "Heile Welt" an der Elbe

Selbe Stadt, ganz anderer Ort. In Blankenese säumen große Villen die Straßen. Die Gassen zwischen den Häusern geben einen atemberaubenden Blick über die Elbe preis. Die CDU gewann in diesem Stadtteil 34,7 Prozent der Stimmen. In Blankenese herrsche „heile Welt“, sagt auch Britta. Doch die Probleme aus der Sternschanze, die kennen sie hier auch.

„Als Normalverdiener ist man hier schon Schlecht-Verdiener“, sagt Britta. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe in Deutschland immer weiter auseinander. Das sei keine gute Entwicklung, sagt die 50-Jährige. Es gebe zu viel Ungleichheit im Land. Sie hat die SPD gewählt. „Ich wollte nicht, dass eine Volkspartei unter 20 Prozent fällt.“

Die SPD holte in Hamburg 23,5 Prozent. Obwohl die Die CDU (27,2 Prozent) die meisten Stimmen erhielt, sind die kleinen Parteien die Gewinner in der Hansestadt: Grüne (13,9), Linke (12,2) und FDP (10,8) holten mehr Stimmen als noch 2013. Die AfD kam im Gegensatz zum bundesweiten Ergebnis (12,6) nur auf 7,8 Prozent in Hamburg.

Viel zu wenig Investitionen in Bildung

Auch Ulla möchte, dass die Politik mehr gegen Armut tut. „Kinder wissen doch schon ab der vierten Klasse, ob sie gesellschaftlich außen vor sind oder nicht“, sagt die 45-jährige ehemalige Grundschullehrerin. Den Menschen in Blankenese gehe es sehr gut, aber man dürfe sich nicht abschotten.

Zudem würde viel zu wenig in die Bildung investiert. Familien bekämen zu wenig Unterstützung und Förderungen. Bildung. Familien. Wieder soziale Gerechtigkeit. Themen, über die vor der Wahl kaum wirklich gesprochen, selten gestritten wurde.

"Ein zweites Kind muss man sich finanziell gut überlegen"

Juliane ist zurzeit in Elternzeit. Ihre kleine Tochter wird bald ein Jahr alt. Dann möchte die 30-Jährige wieder in Teilzeit anfangen zu arbeiten, sie und ihr Mann brauchen das Geld. „Ich wünsche mir ein zweites Kind, aber das muss man sich finanziell gut überlegen. Ich habe Angst, dass ich meiner Tochter nicht alles bieten kann.“

Die 30-Jährige wollte nicht den großen Parteien ihre Stimme geben. Sie entschied sich für die Tierschutzpartei. „Das ist doch besser als gar nicht zu wählen“, sagt die junge Mutter. Sie wünscht sich auch neuen Wind, aber nicht von rechts. „Mir fehlt eine junge Partei, die großen sehen die Menschen nicht mehr.“

Billbrook: 41 Prozent für die AfD

Nochmal ein Ortswechsel. Selbe Stadt. Ganz anderes Wahlergebnis. Im Stadtteil Billbrook wählten 27,6 Prozent die AfD – der höchste Wert für die Partei in Hamburg. „Ich bin Protestwähler und wollte Chaos stiften“, sagt ein 42-jähriger Mann. Er ist einer von 138 Wahlberechtigten des Billbrooker Wahllokals 13103. Die AfD erreichte hier 41 Prozent.

Er wollte den Parteien zeigen, dass es so nicht mehr weitergeht. „Ich bezahle 500 Euro für ein Zimmer. Seit Jahren will ich hier weg, aber ich finde nichts anderes. Es ist alles zu teuer. Daher bin ich noch immer hier“, sagt er und deutet auf ein Wohnhaus. Das Gebäude liegt am Rande eines Industriegebiets, in der Nähe der Autobahn. Auf der vierspurigen Straße donnern unentwegt Lastwagen vorbei. Der Mann lebt von einem Ein-Euro-Job. Er war lange drogenabhängig.

Eine ältere Frau mit zwei Hunden kommt aus dem Haus. „Ich bin 69 Jahre alt und muss noch arbeiten. Als Rentnerin kann ich mir nicht mal mehr Essen leisten“, sagt sie und reißt die Tür ihres Autos auf, damit die Hunde hineinspringen können. „Das Amt hat gesagt, ich solle erst meinen Wagen verkaufen. Aber das ist doch eine Schrott-Karre. Dafür bekomme ich doch nichts.“ Die ältere Frau knallt mit voller Wucht die Tür zu, so das der ganze Wagen wackelt. „Ich habe nicht gewählt, meine Stimme muss man sich verdienen.“

Im Video: Bürgermeister einer AfD-Hochburg erklärt den Erfolg der Partei in Sachsen

In Bramfeld, weiter im Norden der Stadt, ist Tobias ebenfalls mit seinem Hund unterwegs. Der 32-Jährige ist Fachinformatiker und arbeitet ab und zu von zu Hause aus. Er hat auch die AfD aus Protest gewählt. „Die bringen frischen Wind“, sagt er achselzuckend. Sonst habe er immer SPD und Grüne gewählt – er sei eigentlich links orientiert. „Ich habe das Vertrauen in die Regierung verloren. Die machen nur noch Politik für sich, nicht fürs Volk. Sie haben sich sehr unglaubwürdig gemacht“ Die AfD würde kritisieren und die Parteien aufwecken.

Vor allem in Hamburg zahlten manche Menschen genauso viel Miete, wie sie an Lohn erhalten, sagt er. Das könne doch nicht gerecht sein. Es müsse eine Lohnangleichung geben und die Regierung müsse mehr gegen Arbeitslosigkeit tun.

Winterhude: Grüne vorne - "Hamburg geht es gut"

Letzte Station. Grünen-Hochburg. Direkt an der Außenalster liegt der gutbürgerliche Stadtteil Winterhude. Die Grünen konnten hier die meisten Stimmen (25,8 Prozent) für sich gewinnen. Die 23-jährige Katharina schiebt ihr Fahrrad an einer Kneipe in einer ruhigen Seitenstraße vorbei.

"Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum. Ich muss gerade aus meiner WG ausziehen und habe Probleme eine neue Wohnung für mich zu finden", sagt die Studentin. Sie kommt aus Erfurt, fühlt sich aber sehr wohl in der Hansestadt. "Soziale Gerechtigkeit ist mir besonders wichtig, daher habe ich die Grünen gewählt. Aber eigentlich ist das ja allen wichtig."

Überall dieselben vier Probleme

Stimmt. Linken-Hochburg Sternschanze, das reiche Blankenese, AfD-Zentrum Billbrook, das gutbürgerliche Winterhude. Die Menschen in Hamburg beschäftigen dieselben vier Probleme.

  • Bezahlbarer Wohnraum
  • Fairer Lohn
  • Soziale Gerechtigkeit
  • Kampf gegen Armut

Trotzdem haben sie ganz unterschiedlich gewählt. Die einen wegen des kleineren Übels. Die anderen zur Rettung der Volksparteien. Wieder andere aus Protest. Was sagt das über Politik in Deutschland 2017 aus?

Alle Geschichten aus der Reihe "16 Reporter, 16 Bundesländer"

Im Video: "SPD hat versagt": Lübecker wählen nach 48 Jahren plötzlich CDU - aus guten Gründen

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