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Sunday, January 28, 2018

Politik - Wie holt die Union die konservativen Wähler zurück, Herr Schäuble?

FOCUS Magazin | Nr. 4 (2018)
Politik: Wie holt die Union die konservativen Wähler zurück, Herr Schäuble?
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Als Präsident des Bundestags hütet Wolfgang Schäuble das Herz der Demokratie. Das Parlament, so mahnt er, stehe vor gewaltigen Herausforderungen. Ein Gespräch über den rasanten Wandel der Welt und Deutschland auf Regierungssuche.

Bloß nicht über Geld reden. Wolfgang Schäuble hat acht Jahre als Bundesfinanzminister die Staatskasse kontrolliert, verteidigt und saniert. Jetzt sei es „genug“. Nach der Bundestagswahl zog er aus dem Ministerium in den Reichstag um. Der 75-Jährige, Bundestagsabgeordneter seit 45 Jahren und damit seit 13 Legislaturperioden, hat sich bewusst gegen einen Regierungsjob und für das zweithöchste Staatsamt entschieden, so sagt er.

Mag sein, dass ihm das Kanzleramt und das Schloss des Bundespräsidenten als Dienstsitze verwehrt geblieben sind. Im Reichstag aber hütet Schäuble, einstmals der Zuchtmeister der Union, nun das Herz der Demokratie. Seine neue Aufgabe hat er angenommen. Nicht überparteilich will er arbeiten, aber sehr wohl unparteiisch. Er will, dass sich alle im Parlament an die Regeln halten. Nur wenn Ordnung gelte, sei Freiheit möglich.

"Ich bin seit 45 Jahren leidenschaftlicher Parlamentarier"

Ob er nicht doch einen kleinen Rat in Sachen Geld geben könne? Nun, wenn ihn Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, um Rat frage, würde er schon mit ihm reden. Ansonsten gebe er keine privaten Finanztipps. Den neuen Roman „Tyll“ von Daniel Kehlmann aber könne er sehr empfehlen. Wolfgang Schäuble wirkt gelassen. Er will auch so wirken. Ob ihm das Herz blute wegen der teuren GroKo-Pläne? Dazu schweigt er. Nur so viel: Das müsse ja ein guter Finanzminister gewesen sein, der sein Haus so bestellt habe.

Im Video: Mehrheit sicher: SPD hat bei den Koalitionsverhandlungen nichts zu melden

FOCUS: Als Bundestagspräsident bekleiden Sie das zweithöchste Amt im Staat. Vor welchen Herausforderungen sehen Sie sich?

Wolfgang Schäuble: Wir spüren ja überall in den westlichen Demokratien, dass das Vertrauen in das parlamentarische System wegen des schnellen Wandels, der Globalisierung und der Digitalisierung schwindet. Ich selbst bin überzeugt, dass die parlamentarische Demokratie die richtige Antwort gerade auf diese neuen Herausforderungen ist. Wir müssen den Menschen, die wir vertreten dürfen, das Vertrauen geben, dass ihre Sache im Parlament verhandelt wird.

Wir vertreten 80 Millionen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und unterschiedlichen Interessen. Wir müssen für alle diese Interessen einen Ausgleich finden. Das ist eine riesige, schwierige Aufgabe. Aber sie ist auch faszinierend. Der Präsident und das Präsidium haben dafür zu sorgen, dass dieser Prozess des Ausgleichs funktioniert. Ich bin seit 45 Jahren leidenschaftlicher Parlamentarier. Ich bin jetzt 75 Jahre alt, und da ist dieses Amt eine große Ehre. Ich habe viel Erfahrung und kenne das Parlament. Deswegen glaube ich schon, dass ich gut darauf vorbereitet bin, das Amt wahrzunehmen.

FOCUS: Wie können Sie das Vertrauen ins Parlament stärken?

Schäuble: Es ist wichtig, dass wir klarmachen: Im demokratischen Streit gibt es auch – bei aller Vielfalt der Interessen und Meinungen – eine gemeinsame Verantwortung, denn wir leben alle in einer Bundesrepublik Deutschland, in einem Europa, in einer Welt. Das hinzukriegen ist die große Herausforderung. Und da versuche ich nun, das Bestmögliche beizutragen.

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FOCUS: Wie sollte das Parlament auf die neue Fraktion der AfD reagieren?

Schäuble: Die AfD ist gewählter Teil des Parlaments. Sie hat die gleichen Rechte und Pflichten wie die anderen Fraktionen. Wenn sich die AfD an die Regeln hält, muss das Parlament sie nicht fürchten. Wir müssen mit der AfD umgehen. Das ist nicht ganz einfach. Ich versuche, meinen Beitrag zu leisten, dass das funktioniert. Im Jahre 1983, damals war ich Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion CDU/CSU, kam auch eine neue Fraktion in den Bundestag. Das waren die Grünen. Die kündigten auch an, sie würden den Laden aufmischen. Sie würden sich nicht an die Regeln halten. Wir sind dann auch mit den Grünen umgegangen.

"Mit der Dachlatte kann man das Problem nicht lösen"

FOCUS: Der hessische Ministerpräsident Holger Börner bedauerte doch einst, das Phänomen der ökologisch bewegten Staatskritiker nicht mit der „Dachlatte“ lösen zu dürfen.

Schäuble: Mit der Dachlatte kann man das Problem nicht lösen. Das hat auch Holger Börner (lacht) später eingesehen. Wir müssen der Kraft des besseren Arguments vertrauen. In Sachen AfD fangen wir damit gerade an.

Im Video: "Brauchen keine Zuwanderung": CDU-Vize Klöckner hat klare Ansage an die SPD

FOCUS: Wir registrieren eine Kultur des öffentlichen Spottens, Schimpfens und Hetzens. Geht der Respekt für den anderen verloren?

Schäuble: Ich habe ja nun eine besondere Erfahrung machen müssen, aber dann auch dürfen: Wenn man im Rollstuhl sitzt, wenn man selbst querschnittsgelähmt ist, nimmt man andere Menschen, die auch im Rollstuhl sitzen, anders wahr. Ich habe lernen dürfen, dass jeder Mensch Respekt verdient hat. Unabhängig von seiner aktuellen Situation. Selbst einer, der ganz tief gefallen ist, dem sollte man versuchen zu helfen. Ich weiß, diesem Anspruch kann man nie gerecht werden, aber man sollte es versuchen. Man merkt, wie schön es ist.

"Natürlich müssen wir Menschen retten"

FOCUS: Die Deutschen streiten über Chancen und Gefahren der Migration. Überfordert diese Debatte das Land und das Parlament?

Schäuble: Nein. Sie fordert. Wir sind in Nachbarschaft mit dem afrikanischen Kontinent, auf dem bald zwei Milliarden Menschen leben. Wir sind in Nachbarschaft mit einem Krieg, der nicht nur Syrien erschüttert. Als Menschen haben wir eine Verantwortung für andere Menschen. Alle Menschen haben dieselben Rechte. Politik muss immer wieder eine Ordnung schaffen, die es den Menschen ermöglicht, in Freiheit zu leben. Aber es gibt keine Freiheit ohne Grenzen. In der Migrationsfrage bedeutet das: Natürlich müssen wir Menschen retten, die übers Mittelmeer nach Europa kommen. Wir müssen menschenwürdig mit ihnen umgehen...

FOCUS: Können wir alle retten?

Schäuble: Es ist wahr, dass wir nicht alle Menschen in Europa und auch nicht in Deutschland aufnehmen können. Das haben wir im Spätsommer 2015 erfahren. Ich zitiere oft, wahrscheinlich zu oft, alte Leute wiederholen sich, was Nathan der Weise seiner Tochter sagte: „Begreifst du aber, wie viel andächtig schwärmen leichter, als gut handeln ist?“ Verantwortliche Politik darf nicht nur das Gute wollen. Sie muss darauf achten, dass die menschliche Ordnung funktioniert. Das ist das Dilemma. Freiheitliche Gesellschaften haben allerdings den großen Vorzug: Sie machen vieles falsch, aber sie lernen aus Fehlern. Sie können Fehler immer wieder korrigieren.

FOCUS: War es ein Fehler, die Debatte über die Regeln der Migration erst dann zu führen, als die Grenzen bereits geöffnet worden waren?

Schäuble: Mit allem Respekt, wir führen die Debatte schon seit Jahrzehnten. In Deutschland und in Europa. Wir wollen Menschen, die politisch verfolgt sind, Zuflucht gewähren, aber wir können nicht allen Menschen, die es auf dieser Welt gibt, Zuflucht gewähren, weil sonst die innere Ordnung zerstört wird. Jetzt mal im Ernst: Wie war denn die Situation Anfang September 2015? Zigtausend Menschen waren auf dem Bahnhof in Budapest, und die hatten sich auf den Weg nach Österreich und Deutschland gemacht. Was hätten denn die Verantwortlichen in Österreich und in Deutschland anderes tun können?

Aber natürlich hatte die Entscheidung zu helfen Nebenwirkungen. Überall in der Welt sagten sich Menschen: Oh, wir können nach Deutschland. Und auch die machten sich auf den Weg. Das hat Europa erschüttert, unser Land auch. Das wissen wir. Wir leiden immer noch darunter. Ich will das nicht verharmlosen. Aber ich will auch das ursprüngliche Problem nicht kleinreden lassen.

"So groß wäre die Koalition also nicht"

FOCUS: Die GroKo-Verhandlungen haben begonnen. Ist eine große Koalition nicht immer eine gewisse Gefahr für die parlamentarische Demokratie...?

Schäuble: Nein.

FOCUS:...weil sich zu viele Abgeordnete immer schon auf einer Seite wissen?

Schäuble: CDU und CSU und SPD zusammen haben nur wenig mehr als die Hälfte aller Abgeordneten. So groß wäre die Koalition also nicht. Und es gibt starke Argumente dafür, dass man stabile Regierungsverhältnisse schafft. Wir Deutsche haben ein besonderes Interesse an Stabilität. Wir sind damit gut gefahren.

FOCUS: Sind Sie gegen eine Minderheitsregierung?

Schäuble: Ich halte es jedenfalls für richtig, dass man zunächst mal versucht, eine stabile Regierung zu bilden. Wenn das gelingt, ist es gut, wenn es nicht gelingt, ist es auch keine Katastrophe. Dann geht es auch anders. Aber im Augenblick arbeiten die Verantwortlichen mit Hochdruck, dass es gelingt. Wollen wir ihnen alles Gute wünschen.

FOCUS: Einige Unionspolitiker, unter anderen Alexander Dobrindt, fordern eine konservative Wende der CDU/CSU. Was ist für Sie konservativ?

Schäuble: Sie sollten mich nicht in die Versuchung bringen wollen, zu aktuellen Diskussionen zu viel Stellung zu nehmen. Ohne Herrn Dobrindt zu kommentieren, will ich Folgendes sagen: Wir müssen aus unseren Erfahrungen lernen, dürfen uns aber niemals der Zukunft verweigern. Das ist für mich konservativ. Fortschritt ist immer Segen und Fluch. Aber wir müssen mit dem Fortschritt umgehen. Seit dem Ende des Kalten Krieges erleben wir diese maßlose Beschleunigung, die Globalisierung und Digitalisierung. Viele Denker und Staatsmänner sagen, wir wissen noch gar nicht, was das bedeutet.

Die alten Regeln jedenfalls gelten nicht mehr. Und dennoch müssen wir eine menschliche Ordnung auch unter diesen Bedingungen schaffen. Das ist die Aufgabe von Politik, auch die eines modernen Konservatismus. Dazu braucht man in der Tat auch bestimmte Wertorientierungen, weil sich ohne diese Werte, ohne Selbstbegrenzung freiheitliche Ordnungen selbst zerstören.

"Veränderungen in der modernen Welt verunsichern die Menschen"

FOCUS: Wie holt die Union die verlorenen konservativen Wähler zurück?

Schäuble: Indem wir uns jeden Tag neu darum bemühen. Die unglaublichen Veränderungen in der modernen Welt verunsichern die Menschen. Die Aufgaben sind größer geworden. Denen müssen wir uns stellen. Die erfüllen wir mal besser, mal nicht ganz so gut. Beim letzten Mal war es nur so einigermaßen gut. Aber wir können ja wieder besser werden. Darum müssen wir uns bemühen. Wir haben die Wähler nie dauerhaft gewonnen.

FOCUS: Mit welchen Themen wird die Union wieder besser?

Schäuble: Die Globalisierung, der technische und wirtschaftliche Fortschritt haben bislang nicht dazu geführt, dass alle Menschen das Gefühl haben, sie werden auch nur einigermaßen fair behandelt. Menschen, die alleinerziehend sind oder sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern und nur über ein mäßiges Gehalt oder eine kleine Rente verfügen, sehen, wie andere in kurzer Zeit unendlich große Vermögen aufbauen. Wollen wir uns darüber wundern, dass diese Menschen sagen: „Das ist nicht fair!“?

Gleichheit ist nicht die Lösung. Aber Fairness für alle ist eine wichtige Forderung. Und sie ist ein Grundanliegen der sozialen Marktwirtschaft. Wenn wir das besser verwirklichen und wenn wir die Balance zwischen Freiheit, Werten und Begrenzung und Sicherheit schaffen, dann ist die Union stark.

"Jens Spahn ist nicht mein Ziehsohn"

FOCUS: Wie beurteilen Sie Ihren politischen Ziehsohn Jens Spahn?

Schäuble: Er ist nicht mein Ziehsohn. Jens Spahn ist ein Abgeordneter, der mir schon sehr früh aufgefallen ist. Als mich die Bundeskanzlerin vor vier Jahren fragte, ob ich mir vorstellen könnte, dass Jens Spahn Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzminister würde, habe ich gesagt, da freue ich mich sehr. Wir hatten im Ministerium ein sehr gutes Verhältnis. Wir haben viel miteinander diskutiert. Jens Spahn ist ein sehr starker, auch ambitionierter Politiker. Politiker müssen ambitioniert sein. Aber ein Ziehsohn ist er überhaupt nicht. Nein, mit allem Respekt vor Herrn Spahn: Er ist ein eigenständiger, sehr eindrucksvoller junger Politiker. Wenn ich ihn um was beneide, dann ist es, dass er viel jünger ist.

Im Video: CDU-Abgeordneter stellt Kevin Kühnert als AfD-Spitzel dar

FOCUS: Hat die Union genügend junge Politiker mit Potenzial?

Schäuble: Ja, ja. Wenn ich jetzt Namen nennen würde, dann gäbe das wieder Schlagzeilen. Im Ernst: Wir haben viele tüchtige junge Frauen und Männer. Vor zehn Monaten gelang Annegret Kramp-Karrenbauer ein eindrucksvoller Wahlerfolg im Saarland. Seitdem haben wir, ich sage es noch mal ganz leise, drei neue Ministerpräsidenten, Günther in Schleswig-Holstein, Laschet in Nordrhein-Westfalen und Kretschmer in Sachsen. Jetzt fragen Sie mich, ob wir in der CDU genug junge Leute hätten. Ich bitte Sie: Betrachten Sie die Wirklichkeit!

Günther ist ein junger Mann. Kretschmer ist ein junger Mann. Frau Kramp-Karrenbauer ist eine jüngere Frau. Die SPD würde sich die Finger schlecken, wenn sie nur einen davon hätte. Aber, wohl wahr, wir können noch ein paar mehr gebrauchen. Übrigens, in Bayern haben wir demnächst auch einen neuen Ministerpräsidenten. Das heißt, die Union hat innerhalb von kurzer Zeit vier neue Ministerpräsidenten. Nicht so schlecht. Da wird immer darüber geredet, wir können uns nicht erneuern. So ein Blödsinn. Wir erneuern uns permanent.

"Ich habe lange genug Regierungsverantwortung getragen"

FOCUS: Ist Angela Merkel noch die richtige Kanzlerin?

Schäuble: Die große Mehrheit der Deutschen hält Angela Merkel mit Abstand für die beste Kanzlerin. Das ist auch von denjenigen, die anderer Meinung sind, zu respektieren. Und wenn sie für eine andere Frau oder einen anderen Mann eine Mehrheit zustande bringen, viel Glück.

FOCUS: Bereuen Sie, den Job des Finanzministers aufgegeben zu haben?

Schäuble: Nein. Ich habe unabhängig vor der Wahl diese Entscheidung getroffen. Für mich ist es genug. Ich habe gerne eine andere Aufgabe übernommen, aber acht Jahre Finanzminister sind genug. Ich habe das gebracht, was ich bringen konnte. Schon vor einiger Zeit haben meine Frau und ich besprochen, dass ich lange genug Regierungsverantwortung getragen habe.

FOCUS: Aber Sie haben weiter Lust auf Politik.

Schäuble: Wenn ich keine Freude an der Politik hätte, hätte ich nicht mehr kandidiert. Man kann die Aufgabe nicht erfüllen, wenn man sich nicht mit ihr innerlich identifiziert. Dafür ist der Job auch nicht gut genug bezahlt. Man macht das ja nicht, um Geld zu verdienen. Man lebt davon nicht schlecht. Ich jammere nicht. Aber den jungen Leuten, die mich gelegentlich fragen, was sie werden sollen, denen sage ich: Ihr müsst wissen, wie ihr euer Leben führt.

Wenn ihr nur möglichst viel Geld verdienen wollt, müsst ihr irgendwas anderes suchen. Aber ich rate euch nicht, euer Leben danach auszurichten, wie ihr zu möglichst viel Geld kommt. Das ist nicht der Zweck des Lebens. Sucht euch besser eine Aufgabe, von der ihr anständig leben könnt und die euch erfüllt.

"Im Fußball war Fritz Walter mein großes Vorbild"

FOCUS: Haben Sie selbst Vorbilder?

Schäuble: Im Fußball war Fritz Walter mein großes Vorbild. Das ist schon eine Weile her. In der Politik habe ich das nicht so stark gespürt. Ich habe ja nun das Glück gehabt, dass ich viele der Großen aus der Nähe erleben konnte. Nelson Mandela etwa, Gorbatschow und mehrere US-Präsidenten. Auch die Großen und Mächtigen aber sind nur Menschen. Gregor Gysi hat mich mal gefragt: „Sie haben doch Honecker gekannt. Wie war der denn so?“

FOCUS: Und? Wie war er so?

Schäuble: Na ja. Er wirkte auf mich wie eine sehr bürokratische, wenig humorvolle Ausgabe des typischen Sozialisten. Ich fand ihn nicht so furchtbar inspirierend. Später hat er mir leidgetan, weil er ein armer und kranker Mensch war. Seine Schuld und seine historische Rolle will ich damit aber nicht kleinreden.

"Ich will eigentlich nie mehr über meine Beziehung zu Helmut Kohl reden"

FOCUS: Können Sie verzeihen?

Schäuble: Ja klar. Sie müssen sich auch selbst verzeihen.

FOCUS: Im vergangenen Jahr ist Helmut Kohl gestorben. Sie haben mit ihm gearbeitet und seinetwegen gelitten. Haben Sie ihm verziehen?

Schäuble: Ich will eigentlich nie mehr über meine Beziehung zu Helmut Kohl reden. Ich habe einen großen Respekt vor seiner Leistung. Ich verdanke ihm viel. Als er in Not geriet, habe ich ihn verteidigt. Dann hat er sich in seiner Not mir gegenüber so verhalten, dass ich gesagt habe, es ist besser, dass wir jetzt nicht mehr weiter miteinander gehen. Ich habe mich bemüht, nie respektlos über ihn zu reden. Die persönlichen Dinge sind so, wie sie sind. Ich war bei dem sehr eindrucksvollen und verdienten Trauerakt, der für Helmut Kohl im Europaparlament in Straßburg zelebriert wurde. Ich habe mich gefreut, dass seine historische Leistung diese Würde gefunden hat. Damit ist es auch gut. Mehr muss ich dazu nicht sagen. Nun möge er seinen Frieden haben. Er hat es in seinen letzten Jahren auch nicht leicht gehabt.

"Ich will auch gar nicht bequem sein"

FOCUS: Sie gelten vielen Menschen als Vorbild. Wegen Ihres Pflichtgefühls, Ihrer Integrität und Ihrer Loyalität.

Schäuble: Bevor Sie mich heiligsprechen, würde ich Ihnen empfehlen, reden Sie mal mit meiner Frau. Ich habe nun das Privileg, dass ich es so lange machen darf, dass ich so lange von der Bevölkerung wahrgenommen werde. Und ich gebe mir immer Mühe, weil ich denke, wenn man so ein hohes Amt hat, Bundestagsabgeordneter ist ein hohes Amt, dann muss man sich jeden Tag immer sagen: Du, mein lieber Freund, reiß dich am Riemen. Du hast ein hohes Amt. Du wolltest das. Wenn du es jetzt hast, dann musst du wissen, du musst dich ein bisschen besser benehmen.

FOCUS: Ich könnte auch einige Eigenschaften aufzählen, die Ihre Kritiker über Sie parat haben.

Schäuble: Nur zu.

FOCUS: Sie sagen, Herr Schäuble sei unbequem...

Schäuble: Stimmt.

FOCUS: Er sei wenig tolerant und nicht selten unnachsichtig. Haben die Kritiker Recht?

Schäuble: Also unbequem stimmt sicher. Ich will auch gar nicht bequem sein. Ich bin noch nicht mal mir gegenüber bequem. Manchmal bin ich ungeduldig. Ich versuche, das auch zu bekämpfen. Unnachsichtig? Es kann sein, dass ich manchmal so wirke. Aber dann tut es mir auch wieder leid. Eigentlich bin ich’s nicht. Manchmal ist man als älterer Mensch mürrisch.

Das Leben im Rollstuhl ist auch nicht jeden Tag immer gleich. Sie sind immer unter Beobachtung. Wenn Sie bekannt sind, sind Sie immer auf dem Präsentierteller. Und dann geht es Ihnen auch nicht jeden Tag gleich gut. Das kommt vor. Das ist wahr. Aber ich verstehe schon, dass man mich so wahrnehmen kann. Damit muss ich auch leben. Deswegen sage ich ja, verzeihen kann ich schon, aber ich muss vor allem mir selbst auch immer wieder mal verzeihen.

Im Video: Nahles warnt vor Enddatum für Koalitions-Gespräche

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