Das Parlament debattierte über den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus. Das Thema hat sich verselbständigt, ist zum zentralen Streitpunkt bei den Koalitionsverhandlungen geworden – und zu einem Problem für die SPD-Führung.
Wenn man die politische Dimension der Debatte um den Familiennachzug erfassen wollte, musste man an diesem Morgen im Bundestag nur in das Gesicht von Andrea Nahles schauen. Die Vorsitzende der SPD-Fraktion blickte sorgenvoll drein und das eine ums andere Mal atmete sie tief durch, so als müsse sie sich selbst davor bewahren, gleich loszuplatzen.
Denn es gab nicht nur einen besonders heftigen Schlagabtausch zwischen der alten und bemüht neuen großen Koalition auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite. Zusätzlich kam es zu einem Kräftemessen zwischen Union und SPD, das der sozialdemokratischen Führung nicht gerade ihr Geschäft erleichtern wird, der eigenen Partei den gefundenen Kompromiss schmackhaft zu machen.
CSU will Zuzugsmöglichkeiten begrenzen
Die unterschiedliche Bewertung des zum Wochenbeginn gefundenen Kompromisses wurden im Parlament nochmals ausführlich dargelegt. Dabei machten vor allem die Vertreter der CSU sehr deutlich, dass der Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Bleiberecht nach einer Übergangsfrist am 1. August dieses Jahres endgültig abgeschafft werde.
Und sie betonten auch, dass das vorgesehene Kontingent von 1000 Menschen pro Monat nicht zu einer Ausweitung der Netto-Zuwanderung führe. Die Zahl 1000 sei „natürlich nicht willkürlich“, betonte etwa der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU). Grund dafür sei die Tatsache, dass die Verpflichtung Deutschlands auslaufe, monatlich je 500 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufzunehmen.
Die Härtefallregelung, über die 2017 beispielsweise 66 Personen nach Deutschland kamen, bleibt zwar bestehen. Es wurde jedoch klar, dass die Zuzugsmöglichkeiten darüber nicht sonderlich ausgeweitet werden sollen, wie es etwa die neue Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), betonte.
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Finger in der Wunde
Dagegen verhallten die maßvollen Bewertungen aus der CDU. Innenminister Thomas de Maizière hatte von einem „Kompromiss aus Humanität und Verantwortung, Integration und Begrenzung“ gesprochen. Und Fraktionsvize Stephan Harbarth billigte der Vereinbarung das Potential zu, für dauerhafte Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen.
Vollends den Finger in die Wunde legte dagegen FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae, als er rief, er sei „gespannt, wie Frau Nahles und Herr Schulz ihrer Partei diesen Kompromiss schmackhaft machen“. Die FDP plädierte für die Aussetzung des Familiennachzugs für zwei weitere Jahre bei gleichzeitiger Ausweitung der Härtefallregelung.
Grundlage für den Koalitionsvertrag
Die SPD verteidigte die Vereinbarung, die wesentliche Grundlage für einen Koalitionsvertrag darstellt. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eva Högl argumentierte, nur über den jetzt gefundenen Weg werde es ab August überhaupt wieder Familiennachzug für die sogenannten subsidiär Geschützen geben. Die Regelung ermögliche, dass Menschen legal und ohne Schlepper nach Deutschland kommen könnten.
Bei der Ausgestaltung der Härtefallregelung werde man dafür sorgen, dass mehr als 66 Personen der Zuzug gestattet werde. Högls Parteifreund Burkhard Lischka mahnte, es sei verständlich, wenn Städte und Gemeinden auf Kalkulierbarkeit bei der Zuwanderung setzten. Gleichzeitig versuchte er, die CSU in Frage zu stellen: Die gleiche Hartnäckigkeit wie beim Flüchtlingsthema wünschte er sich bei den Neuregelungen zur Rente, zu Löhnen und Pflege.
Linke spricht von „faulem Kompromiss“
Auch die Argumente der Oppositionsparteien waren nicht dazu geeignet, das Thema Familiennachzug für die SPD-Spitze erträglich scheinen zu lassen. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem „faulen Kompromiss“, bei dem sich die Union vollständig durchgesetzt habe.
Katrin Göring-Eckardt von den Grünen warf der SPD vor, sie könne sich mit dieser Regelung nicht auf die Kinderrechtskonvention berufen: „Die gilt nicht nur für 1000 Kinder.“ In zahlreichen Zwischenfragen kritisierten Grüne und Linke, die im Wesentlichen für uneingeschränkten Familiennachzug plädieren, die Regelung massiv.
AfD verlangt Stopp des Familiennachzugs
Und dann war da noch die Auseinandersetzung mit der AfD. Ihre Sprecher warnten vor einer massenhaften Zuwanderung und verlangten einen generellen Stopp des Familiennachzugs. Auch das konnte Nahles und Schulz nicht gefallen. Sie dürften im Kopf gehabt haben, dass sich bei der Bundestagswahl viele SPD-Wähler den Rechtspopulisten zugewandt haben.
Am Ende billigte der Bundestag den Antrag von Union und SPD – wenn auch nicht mit allen Stimmen der GroKo-Abgeordneten. Ob dann auch die sozialdemokratische Basis den Entwurf billigen wird, bleibt abzuwarten.
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