Der mediale Aufschrei war groß: Eine Frau wird am 18. Februar in Bochum auf einem Friedhof gleich mehrfach vergewaltigt. Das Opfer ist derart traumatisiert, dass es erst zwei Tage später vernehmungsfähig ist. Zudem hat der Peiniger der Frau gedroht: „Wehe, Du gehst zur Polizei.“
Doch die 33-Jährige überwindet sich, schildert den Missbrauch in allen Einzelheiten, an die sie sich erinnern kann. Die Nachforschungen der Kripo führen schnell zum Erfolg, weil der Mann nach FOCUS-Online-Informationen in derselben Straße wie sein Opfer lebt.
Bald stellen die Ermittler fest, dass der 30-jährige Deutsche kein Unbekannter ist: Sein Strafregister weist zwei einschlägige Verurteilungen wegen Sexualdelikten auf. 2014 kam er auf Bewährung frei. Seither nimmt er an dem NRW-Programm für rückfallgefährdete Sexualstraftäter „KURS Konzept“ teil. Durch Auswertung der Handy-Einlog-Daten, Lichtbildvorlage sowie intensive Befragungen können die Beamten ein Bewegungsprofil erstellen, dass den Verdächtigen letztlich überführt. Vier Tage nach der Tat wandert der Bochumer in Untersuchungshaft.
Spekulationen über die Gründe der Geheimhaltung
Doch nichts lassen die Strafverfolger nach außen verlauten. Der Fall soll intern bleiben, kommt aber dann doch heraus, weil die "Rheinische Post" darüber berichtet. Über die Gründe der Geheimhaltung wird fortan spekuliert: Wollte man hier etwas totschweigen, weil ein Proband aus dem Vorzeigeprogramm „KURS Konzept“ rückfällig geworden war?
Am Tag nach der Meldung stehen Bochumer Polizei sowie Staatsanwaltschaft am Pranger. Von Vertuschung ist da die Rede. Reflexartig fordert die innenpolitische Sprecherin der NRW-Grünen, Verena Schäffer: „Der Innenminister muss nun schnellstmöglich für Transparenz sorgen, bevor sich der Eindruck verfestigt, hier solle etwas vertuscht werden. Diese Fragen wird der Innenminister spätestens im nächsten Innenausschuss beantworten müssen."
Innenminister kritisiert Bochumer Polizei
Der so Gescholtene beeilt sich denn auch, in die Kritik einzustimmen: „Die Pressearbeit in dem Bochumer Fall entspricht nicht meinem Verständnis von Transparenz“, bemängelt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). „Hier hätte spätestens nach der Festnahme des Tatverdächtigen offensiv über den Fall informiert werden müssen - auch darüber, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen KURS-Probanden gehandelt hat.“
Das habe das Polizeipräsidium in Bochum inzwischen ja auch selbst eingeräumt, führt Reul aus. „Das finde ich sehr lobenswert. Ich erwarte von allen Polizeibehörden im Land, dass in Zukunft in vergleichbaren Fällen transparent und offensiv kommuniziert wird.“
Im Video: Gruppenvergewaltigung einer 14-Jährigen - Richterin schließt Öffentlichkeit von Prozess aus
Und tatsächlich haben die Bochumer Ordnungshüter in ihrer Stellungnahme angekündigt, künftig offensiver mit dem Thema umzugehen. Frank Lemanis hängt den ganzen Tag bereits am Telefonhörer. Der Pressesprecher der Bochumer Polizei versucht Journalisten zu erklären, warum man sich nach der Festnahme des Tatverdächtigen gegen eine Veröffentlichung entschieden hat. Diese Frage sei geprüft und im Interesse des Opfers verneint worden. „Wir wollten es der Frau ersparen, nochmals das ganze grausige Geschehen in der Presse oder im Radio wieder zu erleben“, betont Lemanis. „Mit dem KURS-Programm hat diese Entscheidung überhaupt nichts zu tun.“
Im Nachhinein hätte man besser anders entschieden, räumt der Behördensprecher ein. Künftig werde die Bochumer Polizei in diesen Fällen den Opferschutz dann eben hinter das Interesse der Öffentlichkeit stellen.
Nach Angaben des Innenministeriums befinden sich 1056 Sexualstraftäter im KURS-Programm, die Rückfallquote liegt derzeit bei drei Prozent.
Bei dem 30-jährigen Bochumer deutete seit seiner Entlassung nichts auf einen Rückfall hin. Dreieinhalb Jahre habe er sich vorbildlich geführt, berichtet die Bochumer Polizei. Der Mann lebte mit einer festen Freundin zusammen, die von seiner kriminellen Vergangenheit wusste, hatte einen festen Job und absolvierte seine Therapien. Alles schien in bester Ordnung bis zu jenem grausigen 18. Februar. Seither sitzt der mutmaßliche Vergewaltiger in Untersuchungshaft und schweigt. Ein DNA-Abgleich soll ihn nun endgültig überführen, das Ergebnis steht aber noch aus.
No comments:
Post a Comment