Auf der griechischen Insel Lesbos gilt Salam Aldeen als Legende: Mehrere tausend Menschen soll der irakischstämmige Däne aus dem Mittelmeer gerettet haben. Doch die griechische Justiz will ihn nun ins Gefängnis stecken – wegen angeblichen Menschenhandels. Am 7. Mai beginnt der Prozess.
Als Salam Aldeen das Foto des toten Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi gesehen hatte, ließ er sein altes Leben hinter sich. Das Bild des ertrunkenen Zweijährigen, der mit rotem T-Shirt und Turnschuhen angespült am Strand lag, ging um die Welt. Auch Aldeen ließ es nicht kalt. Aldeen war in seiner Heimat Dänemark eigentlich Unternehmer – doch nachdem er sich über die humanitäre Krise vor Lesbos informiert hatte, flog er an seinem 33. Geburtstag auf die griechische Insel, um zu sehen, wie er dort helfen kann.
„100 oder 200 Boote pro Tag“
Sein Unternehmertum setzte Aldeen seitdem für die Zehntausenden verzweifelten Flüchtlinge ein, die aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Afrika die gefährliche Überfahrt nach Europa auf sich genommen hatten. Zusammen mit Helfern mietete er ein Boot, rettete Flüchtlinge aus dem Wasser, organisierte Decken, Schlafplätze und Essen für die Neuankömmlinge. „100 oder 200 Boote pro Tag“ seien es gewesen, sagte Aldeen Anfang April bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, „unmöglich zu zählen“.
Griechenland hat er in all jener Zeit nur einmal verlassen – um weitere Helfer zu rekrutieren. Aldeen gründete die Organisation „Save Humanity“, die seitdem Flüchtlingshilfe auf Lesbos koordiniert. „Wir wollten nur helfen“, sagte Aldeen in Berlin.
„Versuchter“ Menschenschmuggel
Monatelang engagierte sich Aldeen auf Lesbos, doch in einer Nacht im Januar 2016 änderte sich alles. In jener Nacht sei ein Notruf via Whatsapp eingegangen, so erzählt Aldeen es heute, er und seine Crew hätten sich mit dem Rettungsboot sofort ins Wasser aufgemacht. Zwei überfüllte Boote seien liegengeblieben und vom Kentern bedroht, so habe es in der Whatsapp-Nachricht eines Flüchtlings geheißen.
Allein: Aldeen und seine Helfer fanden die Boote nicht. Die Ortsmarke aus der WhatsApp-Nachricht war nur ungenau. Immer weiter fuhr das Rettungsschiff auf die See hinaus – bis es plötzlich von einem Boot der griechischen Küstenwache angehalten wurde. Aldeen und seine Crew wurden verhaftet. Der Vorwurf: Menschenschmuggel. Sie sollen versucht haben, Flüchtlinge aus der Türkeinach Griechenland zu bringen.
Zwar haben die Helfer keine Flüchtlinge an Bord genommen und sind auch nicht in türkische Hoheitsgewässer eingefahren. Doch nach griechischem Recht ist schon der Versuch des Menschenschmuggels strafbar – und was als „Versuch“ gilt, entscheiden im Zweifelsfall die Behörden. Zwar existiert eine UN-Vorgabe, dass Helfer nicht wegen Menschenschmuggels belangt werden dürfen, wenn sie Leben retten. Verbindlich für die Mitgliedsstaaten ist diese Vorgabe aber nicht.
Systematische Einschüchterung?
Menschenrechtler kritisieren schon seit langem, dass Länder wie Griechenland und auch Italien auf diese Weise versuchen, Seenotretter einzuschüchtern. In einer Studie aus dem November 2017 zählte der britische Think Tank „Institute of Race Relations“ (IRR) europaweit 26 Fälle, in denen 45 Helfer angeklagt waren. „Der Raum für humanitäre Taten schrumpft in einer politischen Kultur, in der die Unterscheidung zwischen 'Uns' und 'Ihnen' sicherstellen soll, dass menschliche Solidarität an der Tür zu Europa endet“, hieß es in einer begleitenden Mitteilung.
Griechenland und Italien, die faktisch alleingelassen von den übrigen EU-Staaten einen Großteil der neuankommenden Flüchtlinge schultern, wollen so nachfolgende Migranten von der Überfahrt nach Europa abhalten, wenn sie sich nicht mehr auf eine Rettung durch Flüchtlingshelfer verlassen können.
Aber die Zahlen belegen, dass diese Annahme falsch ist: Eine Studie der University of London zeigte im Juni 2017, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen der Zahl von Flüchtlingshelfern und der Zahl von Menschen, die die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen. Zumal die Zahl der Flüchtenden auch in jenem kurzen Intervall angestiegen war, in dem die EU ihr staatliches Seenotrettungsprogramm beendet hatte und private Initiativen noch nicht in die Bresche gesprungen waren. Die Zustände in den Heimatländern der flüchtenden Menschen sind der weitaus bedeutendere Faktor.
Aldeen saß zwischenzeitlich im Gefängnis, gegen eine Kaution von 10.000 Euro wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt. Weil durch den EU-Türkei-Deal die Zahl der Flüchtlingsboote stark zurückgegangen war, ging Aldeen nach Nordgriechenland, um Flüchtlingen in den dortigen Camps zu helfen. Am 7. Mai beginnt der Prozess gegen ihn, laut „Team Humanity“ drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Aldeen könnte sich irgendwo in der EU verstecken, aber er will zur Gerichtsverhandlung nach Griechenland reisen. Denn wenn es ein Verbrechen sei, Leben zu retten, sagte Aldeen bei der Heinrich-Böll-Stiftung, „dann bin ich ein Verbrecher.“
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