Der Beschluss der bayerischen Staatsregierung, in allen öffentlichen Amtsgebäuden des Freistaates ein Kreuz anbringen zu lassen, hat viele Gemüter erhitzt. Warum Markus Söders' Antwort auf die Kruzifix-Kritik kein wirksames Argument ist.
Besonders überrascht schien man in der CSU darüber zu sein, dass auch hochrangige Kirchenvertreter Kritik an dem Vorhaben übten. Weniger überraschend sind hingegen verfassungsrechtliche Bedenken, die ebenfalls rasch geäußert wurden und sich zumeist auf eine Verletzung des Neutralitätsgebotes stützten.
Nun hat man in jüngster Zeit Stimmen vernommen, die den Kreuz-Erlass für verfassungsrechtlich unbedenklich halten. Begründung: Es würden keine Grundrechte verletzt. Insbesondere komme eine ungebührliche Beeinträchtigung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bürger nicht in Betracht, weil – man beachte das trickreiche Arrangement – das Kreuz ja lediglich im Eingangsbereich der Behörden hängen soll und so das Publikum gewissermaßen nur in Form des Durchgangsverkehrs mit ihm konfrontiert werde.
Über den Experten
Horst Dreier, 1954 in Hannover geboren, ist seit 1995 Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Der Jurist ist Mitglied der Bayerischen Akademischen Wissenschaften und Autor mehrerer Bücher.
Ersichtlich hat man hier den Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995 vor Augen, der die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern betraf. Das Gericht hatte hier mit einer wenig glücklichen Wendung gerügt, die Schüler würden gezwungen, „unter dem Kreuz zu lernen“. Schon mit Blick auf diese Konstellation regen sich aber begründete Zweifel, ob die bloße Wahrnehmbarkeit des Kreuzes in einem Klassenraum wirklich eine unzumutbare Beeinträchtigung darstellt.
Man kann die Grundrechtssensibilität auch übertreiben. Daher scheint mir eine Position gut vertretbar, die bei Kreuzen im Eingangsbereich von Amtsgebäuden eine Verletzung der Religionsfreiheit der Bürger verneint. Damit ist die Sache aber keineswegs erledigt.
Die zwei Säulen eines säkularen Staates
Denn der säkulare Staat ruht auf zwei Säulen: der Religionsfreiheit der Bürger und der Verpflichtung des Staates zu religiös-weltanschaulicher Neutralität. Beide werden gern als „zwei Seiten einer Medaille“ bezeichnet. Aber jede dieser Seiten ist rechtlich eigenständig. Und wenn nun eine Verletzung des subjektiven Rechts auf Religionsfreiheit nicht zu besorgen sein sollte, so bleibt davon die objektivrechtliche Pflicht des Staates zur Neutralität ganz unberührt. Wird dagegen verstoßen, liegt eine Verletzung der Verfassung völlig unabhängig davon vor, ob zugleich auch subjektive Individualrechte betroffen sind.
Das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie auch in der staatsrechtlichen Literatur fest verankert und gilt zu Recht als Schlüsselprinzip des rechten Verhältnisses von Staat und Religion in einer freiheitlichen pluralen Ordnung. Der zentrale Inhalt dieses Grundsatzes besteht im Gebot der Nicht-Identifikation. Der Staat darf sich nicht mit einer bestimmten Glaubensrichtung oder Weltanschauung identifizieren, darf diese nicht bewerten, muss zu den verschiedenen Antworten auf die Wahrheitsfrage ein Verhältnis der Äquidistanz wahren.
Glaube und Weltanschauung sind Sache der Bürger
Glaube und Weltanschauung sind Sache der Bürger, nicht des Staates. Es gibt keine Staatsreligion und keine Staatsweltanschauung. Die Nichteinmischung bildet geradezu eine Voraussetzung für die Garantie der Religionsfreiheit, die entweder für alle Religionen und Weltanschauungen gilt oder gar nicht.
Das Gebot der Nicht-Identifikation wird aber in empfindlicher Weise verletzt, wenn mit dem Kreuz nun das zentrale Symbol einer Glaubensrichtung, des Christentums, kraft hoheitlicher Anordnung in allen Amtsgebäuden angebracht wird. Denn dass hier eine Identifikation vorliegt, lässt sich schwerlich bestreiten – und auch nicht, dass andere Religionen damit ausgegrenzt werden.
Zum Scheitern verurteilt sind schließlich Versuche, das Kreuz gar nicht als religiöses Symbol, sondern als Inbegriff bayerischer Kultur und Geschichte zu deuten. Das ist ganz unabhängig von ihrer inhaltlichen Fragwürdigkeit eine Okkupation, die dem Staat nicht zusteht und zu Recht Protest aus Kirchenkreisen provoziert hat.
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In der erwähnten Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auf die sich manche jetzt gern berufen, um eine Verletzung der Religionsfreiheit der Bürger zu verneinen, heißt es zu diesem Punkt übrigens klipp und klar: „Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Im Video: Kreuz-Pflicht für bayerische Dienststellen - Lindner vergleicht Söder nach Vorschrift zur Kreuz-Pflicht mit Erdogan
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