Erneut wird die Frage nach einem Verfallsdatum für das Amt des Bundeskanzlers diskutiert. Mit FDP-Chef Christian Lindner stellt sie nun jemand, der mit Kritik an Angela Merkel nicht spart – und entsprechend Aufmerksamkeit auf das Thema zieht: „Inzwischen bin ich dafür, die Amtszeit von Regierungschefs in Deutschland auf acht oder zehn Jahre zu begrenzen", sagte Lindner der „Bild am Sonntag“.
„Jeder andere Regierungschef wäre fortschrittlicher als Frau Merkel", behauptet der Liberale, der die lange Amtszeit er Kanzlerin für angeblichen politischen Stillstand im Land verantwortlich macht. Nach 13 Jahren im Amt sei Merkel „politisch erschöpft“. Sie würde „nicht Neues mehr“ wagen, so der FDP-Chef. Theoretisch könnte Merkel beliebig oft wiedergewählt werden.
Doch ist ein Kanzler-Aus nach zwei Legislaturperioden der Schlüssel für politischen Fortschritt? Mitnichten. Drei Gründe, wieso ein Verfallsdatum für ein so wichtiges Amt Deutschland schaden kann.
1. Auch fortschrittliche Kanzler wären betroffen
Im Prinzip ist Linders Argument nachvollziehbar: Regierungschefs, die den politischen Wandel hemmen, soll mit einer begrenzten Amtszeit vorgebeugt werden. Doch gibt es diese Regel einmal, gilt sie auch für jene Politiker, die das Gegenteil bewirken und Wandel vorantreiben.
Eine Amtsbegrenzung trifft schlechte und ideenlosen Politiker, genauso wie gute und engagierte Regierungschefs. Kritiker halten ein Verfallsdatum deshalb für undemokratisch. Schließlich wäre eine Wiederwahl des Kanzlers nicht mehr möglich, auch wenn die Mehrheit der Bürger mit ihm zufrieden ist.
2. Kurzlebige Interessen drohen zur Regel zu werden
Politischer Wandel bedarf nicht nur kurzfristig den Mut, Neues zu wagen. Damit er wirkt, braucht es auch Zeit. Eine künstliche Verkürzung der Kanzler-Legislatur droht aber das wünschenswerte Ziel, Deutschlands Zukunft nachhaltig zu gestalten, zu durchkreuzen. Nämlich dann, wenn sich Regierungschefs nur noch an kurzfristige Interessen orientieren.
Schließlich spielt auch ein Kanzler nach den Regeln des politischen Wettbewerbs – schnelle Erfolge sind hier entscheidend. Mit schwierigen Langzeitprojekte wie etwa Renten- oder Bildungsreformen, lassen sich nur schwer Wahlen gewinnen. Wieso also sollte ein Acht-Jahres-Kanzler diese Vorhaben dann überhaupt noch anpacken? Vor allem, wenn erste Ergebnisse – und damit möglich Erfolge – gar nicht mehr in die eigene Amtszeit fallen, die ein Kanzler bislang für seine Wiederwahl im Parlament nutzen konnte.
Im schlimmsten Fall kann ein Verfallsdatum für das Kanzleramt politischen Fortschritt sogar hemmen.
3. Ministerialbürokratie würde noch mächtiger werden
Eine Begrenzung der Amtszeit betrifft nicht nur den Regierungschef. Sondern auch die Ministerialbürokratie hinter ihm – also unter anderem alle verbeamteten Mitarbeiter der Bundesministerin, allen voran der verbeamtete Staatssekretär und die Referats- und Abteilungsleiter. Sie haben großen politischen Einfluss, da sie maßgeblich an der Erarbeitung von Gesetzesvorlagen beteiligt sind – und damit eine wichtige Anlaufstelle für Lobbyisten darstellen.
Da Ministerialbeamte nicht ohne Weiteres kündbar sind, würden sie auch weiterhin im Regierungsapparat bleiben und von dort aus die Strippen ziehen. Vielmehr noch: Wechselt ein Kanzler, wechselt mit ihm auch meist das gesamte Kabinett. Eine gänzlich neue Regierung ist dann umso mehr auf die langjährige Erfahrung der Ministerialbeamten angewiesen. Das könnte die Ministerialbürokratie noch mächtiger machen, als sie bereits ist.
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