Ganz großes Kino – das ist für Markus Söder, 51, der Saal des Cineplex Bayreuth. Hier findet einer seiner „Söder persönlich“-Abende statt, mit denen er durch Bayern tourt. In der Wirtschaft heißt dieses Verfahren „Road Show“: Eine neue Firma stellt sich vor, präsentiert sich möglichst vorteilhaft – und am Ende entscheiden die Anleger, ob sie investieren wollen.
Natürlich geht es nicht so geschäftlich kühl zu, wenn Markus Söder, seit dem 16. März Ministerpräsident in Bayern, 90 Minuten lang mit einem Moderator über Elternhaus, Filmvorlieben, Familie, Hunde und seinen jährlichen Faschingsverkleidungsfimmel spricht. Auf den Fragesteller könnte Söder dabei verzichten. Seine Pointen sitzen. Etwa wenn er erklärt, wie er die Qualität seiner Faschingsverkleidungen testet: „Wir gehen immer noch mal ins Haus, und wenn dann die Hunde bellen, läuft’s gut.“
Bei aller Gaudi geht es um ein Produkt, das der Mann auf dem Podium anbietet: einen neuen Markus Söder. Derjenige, den die Bayern wählen sollen, ist zwar immer noch Söder – allerdings stark enthärtet.
Epische Selbstkritik - für seine Verhältnisse
In der erbitterten Auseinandersetzung mit Angela Merkel um Abweisungen von Asylbewerbern an der Grenze sei es „auch um Stilfragen“ gegangen, meint Söder im Bayreuther Cineplex. „Und da kann sich jeder verbessern, da schließe ich mich ein.“ Er sehe, dass die Leute sich fragen würden: „Wie reden die übereinander, mit welcher Wortwahl?“
Für seine Verhältnisse ist das eine epische Selbstkritik. Denn nach dem Einsatz scharfer Begriffswaffen wie „Asyltourismus“ einerseits und „brauner Schmutz“ gegen die AfD andererseits steht die CSU in den Umfragen nur bei 38 bis 41 Prozent. Nach CDU-Maßstäben sensationell, für die Christsozialen aber eine Katastrophe. Die AfD verliert laut Umfrage des Bayerischen Rundfunks von Mitte der Woche zwar leicht auf zwölf Prozent – aber zu wenig, als dass sich die CSU wieder genügend Luft verschaffen könnte.
Söder sucht schon Schuldige: Seehofer
Söder muss sich also ändern. Der Platz, den er jetzt mit gedimmter Rhetorik für sich reklamiert, ist der in der Mitte: „Wer ist denn da, der das Land zusammenhalten kann?“ Für den obersten Bayern läuft das auf den tiefsten Imagewechsel der Karriere hinaus.
Ohne seine Rauflust wäre Söder weder JU-Chef der CSU noch Generalsekretär unter Edmund Stoiber geworden. Ohne sein Talent zum frontalen Rempeln hätte er es gegen Seehofers Willen nie in die Staatskanzlei geschafft. Zusammen mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt trieb er im Juni Parteichef Horst Seehofer in die unbarmherzige Konfrontation mit Angela Merkel. Wahrscheinlich brauchten sie den hohen Einsatz, um der Kanzlerin einen Kompromiss abzupressen. Das ist gerade ein paar Wochen her – und soll jetzt nur noch als Vorgeschichte des Landesvaters gelten.
Söder baut bereits vor, sollte sein Imagewandel am Wahlabend trotzdem nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Als möglichen Schuldigen hat er CSU-Chef und Bundesinnenminister Seehofer ausgemacht, zu dem er bereits auf Distanz geht. Die schlechten Umfragewerte, so betont es Söder in diesen Tagen immer wieder, seien „überwiegend von Berliner Entscheidungen“ geprägt. Bei der letzten Bayern-Wahl habe es „im Gegensatz zu heute“ einen Rückenwind aus Berlin gegeben. Sollte die Wahl im Oktober schiefgehen, so Söders Subtext, dann kann Seehofer nicht Parteichef bleiben.
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Als junger Generalsekretär, meint Söder heute, „hatte ich das Gefühl, du bist eigentlich noch nicht so weit für dieses Amt. Was machen Kinder, wenn sie in den Kohlenkeller gehen und Angst haben? Sie singen im Keller. Man ist ein bissl lauter, als man es normal wäre.“ Das ist die Pointe des neuen Bayernchefs: Eigentlich bin ich gar nicht so. Möglicherweise stimmt das mittlerweile sogar.
Denn auf den zweiten Blick wirken die Maßnahmen, die Söder nach Amtsantritt verkündete, gar nicht so martialisch, wie es die politische Verpackung suggeriert. An dem „härtesten Polizeigesetz Deutschlands“ nahm das bayerische Innenministerium vor der Verabschiedung im Mai noch Korrekturen vor – die Möglichkeiten der DNA-Analyse und andere Punkte des Gesetzes wurden abgeschwächt. Auch die frisch gegründete „Bayerische Grenzpolizei“ besteht eigentlich nur aus 500 Beamten, die schon vorher zur Landespolizei gehörten und die sich überwiegend mit der gleichen Aufgabe befassen: Schleierfahndung hinter der Grenze. An den Übergängen dürfen sie zwar Einreisende kontrollieren – die Entscheidung, ob jemand zurückgewiesen wird, bleibt aber bei der Bundespolizei.
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Und Söders heftig befehdeter „Kreuz-Erlass“ besteht eigentlich nur aus einer Ergänzung der Geschäftsordnung für Behördengebäude. Dort sollen Kruzifixe aufgehängt werden, aber nicht in Universitäten und Museen. „Wir gehen davon aus, dass sich die Behördenleiter an die Geschäftsordnung halten“, so der Sprecher des bayerischen Innenministeriums, Oliver Platzer: „Aber wir haben nicht vor, das zu kontrollieren.“
Der Kulturkampf fällt also aus. Die größte Gefahr droht der CSU auch gar nicht von rechts außen, wie Söders Wahlkampfstrategen noch bis vor Kurzem glaubten, sondern von den Grünen. Nach neuen Umfragen könnten sie mit 16 Prozent zweitstärkste Partei werden. Und nicht nur das: CSU-Politiker halten es für möglich, dass die Wahlkreise München-Mitte und Schwabing an die Ökolinken fallen.
Die Abgeordnetenbüros im Maximilianeum, dem bayerischen Parlament, gehören zu den schönsten der Republik. Das Zimmer von Robert Brannekämper, 52, sieht noch ein bisschen großartiger aus: private Möbel, an der Wand ein Foto der St.-Ludwig-Kirche, der Blick aus dem Fenster geht auf den Südteil des Englischen Gartens. Brannekämper, von Beruf Architekt, muss am 14. Oktober den Wahlkreis Bogenhausen verteidigen, ein Viertel, in dem etliche gut situierte Bürger heute den Grünen zuneigen. „Die Wirtschaftslage in Bayern, die guten Schulen und Universitäten – das wird von vielen Wählern als selbstverständlich hingenommen“, meint der Abgeordnete. „Wir müssen wahrscheinlich wieder deutlicher machen, dass die CSU-Politik die Grundlage für alles ist.“ Der Wahlkampf dürfe nicht monothematisch werden. Weniger Berliner Härte, mehr bayerische Grandezza.
So könnte auch die Formel des neuen Markus Söder lauten. Zwölf Wochen bleiben ihm. Dann entscheiden die Bayern, ob sie in Söder II investieren.
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