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Monday, July 30, 2018

SPD - Frau an der Spitze der „Sandwich-Partei“: 100 Tage Andrea Nahles

SPD: Frau an der Spitze der „Sandwich-Partei“: 100 Tage Andrea Nahles
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Seit 100 Tagen ist Andrea Nahles Parteivorsitzende. Auch mit der ersten Frau an der Spitze setzt sich das chronische SPD-Problem fort: viel „theoretischer Zuspruch" für ihre Ideen, wenig Erfolg bei den Wählern. Nahles will ihrer Partei jetzt mehr Realismus verordnen. Nur: Reicht der Platz zwischen Union und Grünen?

Lange, sehr lange hatte sie auf diesen Tag gewartet. Kaum einer kannte die Partei so gut wie sie, kaum einer hat so viel geopfert wie sie. Doch als Andrea Nahles am 22. April 2018 in Wiesbaden zur SPD-Vorsitzenden gewählt wurde, war es ein sehr trauriger Tag. Sie bekam gerade einmal zwei Drittel der Stimmen, obwohl es nicht einmal einen Gegenkandidaten gab – das durfte man getrost eher als Misstrauensbekundung denn als Vertrauensbeweis werten.

Seither macht Nahles, was sie immer tut, wenn sie etwas erreichen will: Sie ackert und kämpft wie eine Besessene. 100 Tage Parteivorsitz, 100 Tage Kampf.

Fehleranalyse bis an die Peinlichkeitsgrenze

Die erste Frau an der Spitze der Partei hat eine schonungslose Wahlanalyse erstellen lassen. Sie hat haarklein die Fehler der Vorgänger Martin Schulz und Sigmar Gabriel aufschreiben lassen. Bis an die Peinlichkeitsgrenze. Sie will den Neuanfang. Sie will eine SPD, die deutlich mehr erreicht als die aktuell gemessenen 18 Prozent. Nur: Wo ist anno 2018 überhaupt Raum für eine solche SPD? Nahles stellt die Partei neu auf – und fängt gleich einmal bei sich selbst an.

Wohlmeinende Akademiker hier, Basis da

Am Wochenende hat die 48-Jährige dem „Münchner Merkur“ ein viel sagendes Interview gegeben. Ihr Schlüsselsatz: „Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter“.  Das Wörtchen „uns“ muss man hier offenbar wörtlich nehmen. Nahles selbst, engagierte Katholikin, hat in der Asylpolitik lange auf einen möglichst offenen Kurs gesetzt. Auf einen idealistischen. Sie hat aber erfahren, dass sich wohlmeinende Akademiker ihrer Partei wie sie selbst und die breite Basis immer weiter voneinander entfernten. Jetzt also setzt sie auf „mehr Realismus“, wie sie es nennt. Beim Flüchtlingsthema heißt das: zügigere Verfahren und dann schnellere Rückführungen, wenn kein Recht auf Asyl besteht. Völlig neues SPD-Gefühl. Oder ist es in Wahrheit das alte, das nah dran war an den Befindlichkeiten der so genannten einfachen Leute?

Sigmar Gabriel, selbst viele Jahre der oberste SPD-Funktionär, hat schon vor Monaten erkannt, dass es in der SPD eine große Kluft gibt zwischen dem, was die Funktionäre vorantreiben, und dem, was einfache Mitglieder und mögliche Wähler umtreibt. Jetzt vollzieht Nahles diesen Prozess nach. Im politischen Koordinatensystem heißt das: Die SPD rückt ein Stück weg von den Grünen und ein Stück näher hin zur Union. „Realismus ohne Ressentiments“ sei das Ziel, sagt Nahles.

Eine Art CDU in Rot?

Nur: Eine Partei, die in der Flüchtlingspolitik auf sehr begrenzte Offenheit setzt, sich aber die verbalen Schärfen der CSU versagt, die gibt es schon. Sie wird gemeinhin „CDU“ genannt.  Auch in der Russlandpolitik versucht Nahles eine – schonende – Korrektur.; es darf nun auch bei ihrer Partei mal kritischer sein. Hier allerdings ist die neue SPD dann schon wieder nah dran an dem, was Christdemokraten schon länger denken. Hinzu kommt, dass die Union ihrerseits schon über Jahre die Angleichung betrieben hat. Christdemokraten haben sich  – ob bei der Atomkraft, beim Mindestlohn oder der Brücken-Teilzeit – stetig den Sozialdemokraten angenähert. Da wird’s eng.

Eine Kernfrage also: Ist im Zwischenreich zwischen den Grünen und der Union genügend Platz für eine SPD in einstigem Volkspartei-Format, oder wird sie, als politische Sandwich-Formation, geradezu erdrückt von den Grünen etwas weiter links und der Union etwas weiter rechts? Auch Nahles selbst sieht diese Gefahr. Die Partei- und Fraktionschefin will in die Offensive kommen – mit eigenen Ideen, neuen Antworten. Im Hintergrund arbeitet Nahles an einem neuen Sozial-Konzept. Sie will konkret beschreiben, wie in Zeiten einer rasanten Digitalisierung kapitalistische Exzesse zu verhindern und humane Leitideen zu retten sind.

„Digitalisierungsdividende für alle"

Ihr großes Thema also hat sie gefunden. Die Aufgabe beschreibt Nahles so: „Ob die ,Digitalisierungsdividende‘ nur Wenigen zu Gute kommt und den Druck auf dem Arbeitsmarkt für die Mehrheit der Gesellschaft erhöhen wird, oder ob sie der Mehrheit zu Gute kommt, ist vor allem eine Frage von Teilhabe und somit eine direkte Herausforderung für die Sozialdemokratie.“ Fast alle Parteien grübeln gerade über diese Probleme. Wer als erstes mit durchdachten Ideen aus der Deckung kommt, wird hier einen Startvorteil genießen.

Auf einem Feld hat die erste Frau an der SPD-Spitze inzwischen erste Erfolge erzielt: Die Stimmung im „eigenen Laden“ wird besser. Die Partei, die in jedem zweiten Satz das Wort „Solidarität“ bemüht, scheint endlich zu kapieren, dass es auch so etwas wie Solidarität mit den eigenen Chefs (oder der eigenen Chefin) braucht. So bescheinigt Juso-Chef Kevin Kühnert, von Hause aus weiterhin erbitterter Gegner der Großen Koalition, der Parteivorsitzenden „irrsinnigen Einsatz“. Und Johannes Kahrs vom konservativen Seeheimer Kreis lobt, Nahles halte „den Laden zusammen“. Die Flügelleute sehen offenbar, dass auch der Rumpf der SPD intakt sein muss, damit die Zukunft wieder besser wird.

Schongang statt „in die Fresse"

Interessanter noch ist Nahles‘ Verhältnis zu den Mitbewerbern auf dem Berliner Parkett. Es ist nämlich – ziemlich gut. Wer Nahles verstehen will kommt bei politischen Konkurrenten womöglich weiter als bei den eigenen Leuten.

Nahles redet kernig und mit höchstem Temperament. Als es im vorigen Herbst danach aussah, als würden Schwarze und Rote künftig getrennte Wege gehen, zeige sich Nahles wehmütig und blockte ihre eigene Sentimentalität mit einem harschen Satz „Ab morgen gibt’s in die Fresse“ ab. Wer damals nicht gleich erkannt hat, dass es sich hier überdeutlich um einen Scherz handelte, konnte es in den letzten Wochen lernen. Fast täglich hätte die SPD -Frau die Chance gehabt, der Union und vor allem der CSU verbal richtig „in die Fresse“ zu geben. Sie tat es nicht. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, einer der Antreiber, als es darum ging die Forderung nach Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze notfalls auch ohne Abstimmung mit Nachbarstaaten durchzusetzen, wurde von ihr so sehr geschont, dass es viele Parteifreunde irritierte. Einige waren richtig sauer.

Immer nah am Allzeit-Tief

Keine Frage: Die SPD selbst dümpelte in diesen Wochen im Bereich ihres Allzeit-Tiefs dahin. Neuwahlen hätten auch für die Sozialdemokraten in dieser Phase ein unkalkulierbares Risiko bedeutet. Da konnte es nicht in ihrem Interesse sein, mit ungebremster Härte die Missstände in der Union anzuprangern. Nur: Sie tat es auch nicht mit dosierter Härte, sondern allenfalls im politischen Schonwaschgang.

Nahles – die oft laute, schnippische SPD-Frau – hat nämlich durchaus so etwas wie Beißhemmungen. Kollegialität ist für sie nicht etwa nur Teil der SPD-Rhetorik, sondern gelebter Alltag. Als diese Koalition wegen des erbitterten Streits zwischen CDU- und CSU-Spitze auf der Kippe stand, hat die SPD-Vorsitzende es sich versagt, Öl ins Feuer zu gießen. Und sie hat auch mit aller Kraft versucht, ihre Leute davon abzuhalten. Zudem versteht sich Nahles mit Dobrindt ausgesprochen gut. Als die Koalitionäre vor einigen Wochen zum, Team Building auf die Zugspitze fuhren, gönnten sich Nahles und Dobrindt samt Familien schon vorher ein Privatissime auf Deutschlands höchstem Berg. Die beiden ticken politisch sehr unterschiedlich, pflegen einen grundverschiedenen Stil, persönlich aber kommen „der Alex“ und „die Andrea“ gut klar.

Beliebteste Rote bei den Schwarzen?

Auch Nahles‘ Verhältnis zu Unions-Fraktionschef Volker Kauder ist sehr gut. Sie gilt als ausgesprochen professionell und äußerst zuverlässig. Gäbe es in der Union eine Abstimmung über den beliebtesten Sozialdemokraten oder die beliebteste Sozialdemokratin – die Chefin käme sicher in die Endausscheidung. Bitter für sie: Das hilft ihr im Kampf um eine stärkere SPD natürlich rein gar nichts. Für die Mutter einer Tochter ist es ohnehin mehr als frustrierend, dass ihre Partei immer nur auf den Feldern punktet, die keine Stimmen bringen.

Nahles aber will nicht immer nur säen, sondern endlich auch mal ernten. Sie macht sich keine Illusionen darüber, wie schwer das ist. Denn die zurückliegenden Jahre haben gezeigt, dass nicht einmal die Durchsetzung ihrer ureigensten Ideen (Stichwort: Mindestlohn) der SPD wirklich geholfen haben. Genau über dieses Problem zermartert sich Nahles den Kopf. Die düstere Analyse des Wahlergebnisses von 2017 hat Andrea Nahles immerhin eine Botschaft gebracht, aus der sie Hoffnung schöpft: „Das Potenzial für eine deutlich stärkere SPD ist da.“ Es muss nur noch erschlossen werden.

Im Video: Umfrage-Schock: Union fällt auf tiefsten Wert seit 2006 – Grüne auf Jahres-Höchstwert

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