Emmanuel Macron war bei der Präsidentschaftswahl 2017 mit der Vision angetreten, Frankreich und Europa zu reformieren. Mit seiner Bewegung „La République en Marche“ eroberte er die Gunst vieler Wähler im Sturm.
Er verbreitete Optimismus und lange vermisste Aufbruchsstimmung und wurde von einer Welle der Euphorie in den Élysée-Palast getragen. Kaum im Amt des Präsidenten angekommen, krempelte er das Land um: Arbeitsrecht, Vermögenssteuer, Sozialabgabe – alles überarbeitet, alles neu.
Ein weiteres großes Anliegen Macrons ist der Umweltschutz. Er wollte als Gegenpart zu US-Präsident Donald Trump wahrgenommen werden, der den menschengemachten Klimawandel für Humbug hält und aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen war. Doch nun droht der französische Präsident gerade über sein Lieblingsthema zu stolpern: Sein beliebter und respektierter Umweltminister Nicolas Hulot hat vor laufenden Mikrofonen im Radio seinen Rücktritt erklärt.
Nicolas Hulot als Vorzeigeminister Macrons
Aber halt – ein Minister-Rücktritt, na und? So einfach ist das nicht. Denn Hulot war nicht nur irgendein Minister: Er kann mit Fug und Recht als Galionsfigur des französischen Umweltschutzes gesehen werden, als Don Quijote, der tapfer gegen die Windmühlen der Umweltzerstörung kämpft. Der ehemalige Fernsehmoderator verkörperte genau jenen frischen Wind, den Macron in die verkrustete französische Politik zu bringen gedachte: Ein leidenschaftlicher Experte aus der Gesellschaft, der frei von Parteiengeplänkel und eingefahrenem Links-rechts-Denken sein Spezialgebiet voranbringt.
Dieser Mann sagte am Dienstagmorgen live im Radio: „Ich kann nicht weiter lügen“. Die Kompromisse zwischen dem von Macron verordnetem Wirtschaftsaufschwung einerseits und dem Schutz der Umwelt andererseits scheint Hulot als so nachteilig für sein Ressort empfunden zu haben, dass er sein Amt nicht mehr ausüben wollte. Der 63-Jährige nahm nach etwas mehr als 16 Monaten im Amt seinen Hut, ohne diesen Schritt vorher angekündigt zu haben.
Umfrage: Hat der Rechtsstaat Ihrer Meinung nach versagt, als er die jüngsten Ausschreitungen in Chemnitz nicht verhindert hat?
Rücktritt als Symbol des Scheiterns
Der Rücktritt kann als Fanal eines Idealisten gedeutet werden, der sich in der Politik aufgerieben hat und aufgerieben wurde. Er kann aber auch anders gedeutet werden: Als Symbol, das Macrons Anspruch, Fortschritt und Umweltschutz zusammenzubringen, krachend gescheitert ist.
Hulots Schritt löst ein politisches Erdbeben aus, das den Élysée-Palast erschüttert. Denn: Es ist nicht der erste Vorfall in der jüngeren Vergangenheit, der einen Schatten auf Macrons so strahlend gestartete politische Karriere wirft.
Macrons Beliebtheit fällt
Erst im Juli war ein Video aufgetaucht, dass einen Mitarbeiter Macrons bei einer heftigen Attacke auf einen Demonstranten zeigt. Der Präsident schwieg lange zu den Prügel-Vorwürfen, für viele Beobachter zu lange. Die öffentlichen Statements waren dürftig, ehe der Druck zu groß wurde und der Leibwächter schließlich Ende des Monats entlassen wurde. Das Image des Präsidenten war angekratzt, der Wind im Land wurde rauer.
Das zeigt auch eine Erhebung des französischen Meinungsforschungsinstituts Ifop. Laut dieser Umfrage sind Macrons Zustimmungswerte um fünf Punkte gefallen: Nur noch 34 Prozent der Befragten sind mit ihrem Präsidenten „zufrieden“. Das ist der tiefste Stand seit Amtsantritt.
Hier den Politik-Newsletter abonnieren
Berichte, Videos, Hintergründe: FOCUS Online versorgt Sie täglich mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Politik-Ressort. Hier können Sie den Newsletter ganz einfach und kostenlos abonnieren.
Auftritte auf großer Bühne
Zu diesem Vertrauens- und Beliebtheitsverlust haben nicht zuletzt die von Beobachtern oftmals als arrogant wahrgenommenen Auftritte des Präsidenten beigetragen. Er scheint die große Bühne, den großen Auftritt oftmals geradezu zu suchen und sich im Glanz der Kameras zu sonnen. Das ließ sich auch bei seinen Auftritten auf europäischem Parkett beobachten. Auch hier galt Macron als Hoffnungsträger, ja als Posterboy der EU-Befürworter. Getan hat sich trotz hochfliegender Pläne nur wenig.
Der Kredit der Wähler ist beinahe aufgebraucht
Kritiker werfen ihm weiter vor, die Reichen durch die Abschaffung der Vermögenssteuer zu bevorzugen. Gleichzeitig hat er in einem Video die französischen Sozialausgaben als zu hoch bezeichnet oder sich abfällig und derb über Arbeitslose geäußert. Auch die Tatsache, dass in einem Ferienhaus am Meer, das Macron als Präsident zur Verfügung steht, aus Staatsmitteln ein Swimmingpool gebaut werden soll, nährt das Bild des abgehobenen Politaufsteigers. Macron droht, seine Basis aus den Augen zu verlieren und den Kredit, den ihm die Wähler im Mai 2017 entgegengebracht haben, zu verspielen.
Daran werden auch die nun anstehenden Reformen kaum etwas ändern können. So steht etwa das aufwändige, komplexe und konfliktträchtige Mammutprojekt einer Modernisierung des Rentensystems noch auf Macrons Agenda. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Franzosen diese Umstellung aufnehmen werden.
Die bisherigen Versuche, das System gerechter zu gestalten, stießen auf wenig Gegenliebe aus der Bevölkerung: So führte beispielsweise der Anlauf von Präsident Jaques Chirac, das Rentensystem zukunftsfähig zu machen, im Jahr 1995 zu ausufernden Streiks, die das ganze Land gelähmt haben. Einen solchen Ausgang könnte sich Emmanuel Macron momentan kaum mehr leisten.
No comments:
Post a Comment