Die AfD kommt im aktuellen Verfassungsschutzbericht nur in einer Rolle vor –als Partei, die von Linksextremisten angegriffen wird. Das soll sich ändern, meinen immer mehr Politiker. Nach den Vorfällen von Chemnitz drängen sie: Verfassungsschützer sollten die AfD ins Visier nehmen.
Was am Wochenende unter dem offiziellen Etikett „Schweigemarsch“ für den in Chemnitz getöteten Daniel H. daherkam, bedeutet für viele eine neue, dramatische Grenzüberschreitung der AfD. Führende AfD-Politiker marschierten im Tross mit Aktivisten der radikal ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung. An der Spitze zogen die AfD-Landesvorsitzenden von Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz, im Schulterschluss mit Pegida-Einpeitschern wie Lutz Bachmann und Sigfried Däbritz. Einmal mehr sucht die AfD ganz offen den Bund mit der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung und anderen Gleichgesinnten - auch das ein Zeichen aus Chemnitz.
Als Frauke Petry noch an der Spitze der AfD stand, galt eine Art Sicherheitsabstand zu Pegida: Offizielle Kontakte wie Auftritte als Redner waren zum Beispiel verboten. Jetzt gab es – buchstäblich — das öffentliche Zusammenrücken. Bachmann hat ein beachtliches Vorstrafenregister. 2016 wurde er wegen Volksverhetzung verurteilt.
Reul: „Partei nicht unterschätzen“
Auch aus der Union melden sich jetzt Spitzenpolitiker, die es angezeigt finden, dass der Verfassungsschutz sich die AfD genauer ansieht. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), regt eine Art konzertierte Aktion an, um Teile der AfD ins Visier der Verfassungsschützer zu rücken. „In Chemnitz zeigt die AfD in diesen Tagen ihr wahres Gesicht. Jetzt ist endgültig klar: Diese Partei darf man nicht unterschätzen“, sagte Reul FOCUS Online. „Ich bin daher der Meinung, dass wir im Verbund der Verfassungsschutzbehörden über eine nachrichtendienstliche Beobachtung der ,Patriotischen Plattform‘ der Partei nachdenken sollten.“
Auch die Innen- und Sicherheitsexperten Armin Schuster und Patrick Sensburg (beide CDU) werben dafür, die AfD kontrollieren zu lassen. Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Union im Bundestag, Volker Kauder (CDU), deutlich gemacht, dass er einen deutlich schärferen Umgang mit der AfD für geboten hält.
Teile der Linken werden beobachtet
Seit langem hat der Verfassungsschutz Teile der Linken im Blick. Der Kommunistischen Plattform werden seit Jahren ein paar Absätze im Verfassungsschutzbericht gewidmet. Von der AfD war bisher nur in der Opfer-Rolle die Rede. 2017 habe die AFD „erneut im Fokus linksextremistischer Agitationen“ gestanden, heißt es da zum Beispiel.
Mit großer Wucht aber rückt jetzt das Treiben der AfD selbst in den Blick. Aus der SPD haben sich bereits eine ganz Reihe von Spitzenpolitikern dafür stark gemacht, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen – auch wegen der Eskalation in Chemnitz und der mutmaßlichen Aufrufe zur Selbstjustiz. Generalsekretär Lars Klingbeil und Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann zeigten sich entsetzt über die Rolle der AfD bei den Vorfällen in Sachsen. Oppermann sprach gegenüber der „Welt“ von einem „arbeitsteiligen Zusammenwirken von AfD und Neonazis“, dass der Verfassungsschutz „sehr genau beobachten“ müsse. Der Druck wächst: Die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, hat klar signalisiert, dass die Geheimdienstler die Partei in den Blick nehmen sollen. Auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hatte – im Grundsatz – Offenheit signalisiert.
Nur „friedlich demonstriert“?
Heute wurde bekannt, dass die Landes-Verfassungsschützer in Bremen die Jugendorganisation bereit seit der vorigen Woche beobachtet. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) kündigte heute an, dass seine Landesverfassungsschützer dies nun auch tun werden.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben jetzt die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der AfD die Vorwürfe der anderen zurückgewiesen. „Es gab bei unseren Veranstaltungen keine Hetzjagden gegen Ausländer, keine Ausschreitungen, keine Gewalt“, schrieben sie. „Es wurde friedlich gegen das neuerliche Versagen des Rechtsstaates und gegen einen abscheulichen Mord demonstriert.“ Die AfD sei „eine demokratische Partei, die für einen starken Rechtsstaat eintritt“.
Seehofer gegen Beobachtung der AfD „als Ganzes“
Dazu haben die meisten anderen definitiv eine andere Wahrnehmung. Viele in den anderen Parteien, die sich gegen eine Beobachtung der AfD aussprechen, tun dies auch weniger, weil sie die Partei für harmlos halten, sondern vor allem, weil sie es für taktisch-strategisch unklug halten. So warnte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther in den Zeitungen der Funke-Gruppe davor, die AfD so in eine Märtyrerrolle zu hieven. Bisher lehnt auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Beobachtung „der AfD als Ganzes“ ab.
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