Sie treten ein gegen Rassismus in der SPD: 51 Frauen und Männer, die der SPD um Ortsverein Wehringhausen zwar beitreten wollten – aber von diesem und vom Unterbezirk Hagen nicht aufgenommen wurden. Was sie eint: alle besitzen einen Migrationshintergrund, sind Griechen, Bulgaren, Türken oder andere Landsleute – und leben und arbeiten in Hagen.
In einem ‚Offenen Brief’ an Andrea Nahles und Sebastian Hartmann, die eine Bundesvorsitzende, der andere Landesvorsitzende der SPD, melden sie sich zu Wort, wollen auf Probleme beim Namen nennen: „Wir schreiben Ihnen heute, um Sie über vorherrschende Missstände im SPDUnterbezirk Hagen aufmerksam zu machen, die uns betreffen.
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität- diese Grundwerte einen uns. Gerne würden wir daher an der Teilhabe und Mitwirkung der politischen Willensbildung innerhalb der SPD mitwirken – als Mitglieder dieser alten und stolzen Partei. Leider wurden unsere Anträge auf Mitgliedschaft in der SPD vom Ortsverein Wehringhausen und vom Unterbezirk Hagen ohne Begründung und ohne mit uns zuvor zu sprechen oder uns anzuhören abgelehnt.
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Dies bedauern wir sehr. Wir sind über diese Tatsache sehr traurig“, heißt es in ihrem Schreiben. 51 Namen stehen diesem, davon 43 mit Unterschrift. Die übrigen seien unterwegs oder im Urlaub, hätten aber zum Beispiel per E-Mail ihre Zustimmung gegeben, ist aus Kreisen der Unterzeichner zu hören.
Beitrittswillige: „Wollen freiwillig und aus Überzeugung in die SPD eintreten“
Genossen hätten sie davon überzeugt der Partei beizutreten. Dass man sie abgelehnt habe ohne mit Ihnen zu sprechen, sie angehören – das wollen die SPD-Bewerber nicht hinnehmen. „Einer von ihnen ist Ali Kerim Yavuz, der derzeit vom Vorstand der Hagener SPD denunziert wird. Dieses Vorgehen ist unserer Auffassung nach nicht mit unseren und nicht mit den Grundwerten der Sozialdemokratie vereinbar. Nach kurzen Gesprächen über die SPD, ihre Ziele und Ihre Vorhaben und Überlegungen vor allem in Hagen und in NRW, haben wir unsere Anträge ausgefüllt und Ali Kerim Yavuz überreicht“, betonen die Unterzeichner des ‚Offenen Briefs’.
Sie hätten zu ihrer großen Bestürzung der hiesigen Lokalpresse die Behauptung der Verantwortlichen der SPD Hagen entnehmen müssen, dass einige von ihnen unter Druck gesetzt worden seien sollten, damit sie in die SPD eintreten. Dies ist nicht der Fall; diese Behauptung entbehrt jeglicher Grundlage. Im Brief heißt es zu dieser Behauptung: „Sie ist schlichtweg falsch und offenkundig der Versuch viele von uns, die ausländische Wurzeln haben und ausländisch klingende Namen tragen, aus der SPD fern zu halten. Ja, unter uns Beitrittswilligen sind Bulgaren, Türken, Griechen, Deutsche und andere Nationalitäten zu finden. (…) Die Unterzeichner dieses Schreibens wollen alle freiwillig und aus Überzeugung in die SPD eintreten.“
Die Vorgeschichte: der Fall Ali Yavuz
Auf Ali Kerim Yavuz, seit 2013 SPD-Mitglied, wird im ‚Offenen Brief’ direkt Bezug genommen. Der gelernte Gas- und Wasserinstallateur ist Eigentümer und Verwalter zahlreicher Immobilien in Hagen, etwa in den Statteilen Altenhagen und Wehringhausen. Er – aber auch andere Genossen – hätten dem ‚Offenen Brief’ zu Folge um Neumitglieder geworben, vor allem um jene mit Migrationshintergrund. Denn: „Nur eine starke SPD kann etwas bewegen. Und stark ist die SPD, wenn sie viele Mitglieder hat, die sich beteiligen und einbringen“, betont Yavuz. Menschen mit Nachnamen wie Isaoglu, Tamari, Borowy, Yumer oder Yordanvo hat der 41-Jährige aktuell für die Partei begeistert – insgesamt sind es 55 Personen, die jüngst beitreten wollten. Rumänen, Bulgaren, Griechen oder Türken – sie wurden nunmehr abgelehnt, erst vom Ortsverein Wehringhausen, dann vom Unterbezirk Hagen.
Der Grund: Man vermutet Unterwanderung, Unterschriftenfälschung, gar eine Verschwörung. In Schreiben, die seitens des SPD-Unterbezirks Hagen an die Abgelehnten verschickt wurden, und von denen eines der Redaktion vorliegt heißt es: „Wir weisen in diesem Zusammenhang allgemein darauf hin, dass der Vorstand des SPD-Unterbezirks Hagen aufgrund von eklatanten Unstimmigkeiten bei zahlreichen Unterschriften sowie anderen Falschangaben bei einer Vielzahl der insgesamt vorliegenden Beitrittserklärungen und Widersprüche die Notwendigkeit sieht, sich an die Staatsanwaltschaft Hagen aufgrund des Verdachts der Urkundenfälschung in mehreren Fällen sowie möglicher weiterer damit im Zusammenhang stehender Straftaten zu wenden.“ Unterzeichnet ist das Schreiben vom 5. September 2018 von Claus Homm, Unterbezirksgeschäftsführer der SPD Hagen. Abgeschreckt sich zu Wehr zu setzen und den Weg in die Öffentlichkeit zu wagen hat es die Beitrittswilligen offenkundig jedoch nicht. Ihr ‚Offener Brief’ ist der Beweis dafür.
Kritik an der SPD-Parteiführung im Unterbezirk Hagen
Die Unterzeichner eint, dass sie im aktuellen Umgang einzelner in Ihrer SPD mit ihnen den alltäglichen Rassismus in Deutschland erfahren. „Wir hätten nie gedacht, dass dieser von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ausgehen könnte. Viele von uns haben bei den vergangenen Wahlen die SPD gewählt. Die SPD war immer für uns da. Doch leider wurden wir nun eines Besseren belehrt“, so der Wortlaut. Die 51 Bewerber wollen dazu beizutragen, dass die SPD – auch in Hagen – zu einer vielfältigen, zu einer pluralen Partei werde, die sich für alle Hagenerinnen und Hagener einsetze. Die Unterzeichner beklagen, dass mit ihnen bis heute kein offizieller Vertreter der SPD Hagen oder des Ortsvereins Wehringhausen das Gespräch gesucht habe.
Sie schreiben weiter: „Wie können diese Menschen ihre Entscheidung treffen, ohne uns zu kennen? Wie können Sie eines ihrer Mitglieder in der Presse öffentlich denunzieren? Wie können Sie Menschen mit Migrationshintergrund ablehnen, die die Werte der SPD vertreten und hochhalten? Wir können uns diese Fragen leider nicht beantworten, sehr geehrte Frau Nahles und sehr geehrter Herr Hartmann. Traurig stimmt uns die Tatsache, dass wir mehr machen müssen, um in die SPD einzutreten als deutsche Mitglieder. Diese Tatsache ist unfassbar und untragbar für uns als aufrechte Demokraten.“ Ein besonders „erbärmliches Bild“, so die Unterzeichner, würden in dieser Causa der Vorsitzende des Hagener Unterbezirks, Timo Schisanowski, und Claus Homm, Geschäftsführer des Unterbezirks, abgeben. „Ihr Vorgehen ist unfassbar für uns. Wir werden nunmehr gegen die Entscheidung den Landesverband NRW anrufen. Es ist traurig, dass es überhaupt so weit kommen muss“, heißt es ferner im ‚Offenen Brief’.
Solidarisches Grillen: Einladung an SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles
„Sie, Frau Nahles, kämpfen in Chemnitz gegen Rassismus und in Hagen gehört Alltagsrassismus in Ihrer eigenen Partei zum Alltag“, beklagen die Beitrittswilligen und fragen: „Wie passt das zusammen?“ Man wolle weiterhin in die SPD eintreten, einige sogar aktiv werden, sich mittel- bis langfristig einbringen in die Gremienarbeit. Sie wollen, dass die Stadt Hagen nicht an die AfD und andere rechte Kräfte verloren gehe. Die abgelehnten Unterzeichner des ‚Offenen Briefs’ wollen mit der Parteispitze ins Gespräch kommen – und laden diese in ihrem Schreiben ein zu einem „solidarischen Grillen für unseren Eintritt in die SPD“. Sie wollen ihr zeigen, wer sie sind, welche politischen Auffassungen sie vertreten und was sich aus ihrer Sicht in Hagen und in der Gesellschaft verändern muss.
Medien sind herzlich eingeladen – bis auf die ‚Westfalenpost’
Bereits am kommenden Samstag, 29. September, wollen sich die Beitrittswilligen mit der Parteispitze in Hagen ins Gespräch kommen. Ob diese zusagt? Auf diese Frage und jene, wie sie zu den Vorwürfen im ‚Offenen Brief’ stehen, ist seitens der Bundes- und Landes-SPD auf Rückfrage telefonisch zunächst keine Antwort zu erhalten. Man wolle sich später per E-Mail melden. Die Medien sind im ‚Offenen Brief’ ebenfalls eingeladen – alle, nur nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der in Hagen erscheinenden ‚Westfalenpost’. „Wir möchten dort den ungeheuerlichen Vorwürfen, die seitens der Parteiführung der Hagener SPD in der Westfalenpost geäußert wurden, entgegentreten“, heißt es im Schreiben.
Die Redaktion habe, so die Unterzeichner, vor der Berichterstattung über sie nicht das Gespräch mit ihnen gesucht. So heißt es dazu im ‚Offenen Brief’: „Der Westfalenpost-Journalist Martin Weiske hat – wie schon die SPD-Führung in Hagen – keinen Kontakt mit uns aufgenommen, aber über uns Ungeheuerliches geschrieben. Die Westfalenpost und Herr Weiske sind aus diesem Grund ausdrücklich nicht zu unserem solidarischen Grillfest eingeladen.“ Auf telefonische Rückfrage bestreitet Westfalenpost-Redakteur Martin Weißke die Vorwürfe und sagt: „Es hat mehrere Kontaktversuche gegeben, auch mit Ali Yavus. Doch sie sind alle abgeblockt worden. Ich habe diesbezüglich auch Chatprotokolle vorliegen.“ Auf seine weitere Vorgehensweise in der Recherche wolle er allerdings nicht weiter eingehen. Teilnehmen wird Weißke beim solidarischen Grillfest dennoch nicht können: Da haben die abgelehnten SPD-Bewerber etwas gegen.
Dieser Artikel wurde verfasst von Pascal Hesse
*Der Beitrag "Rassismus in der SPD – jetzt rufen Migranten Andrea Nahles zur Hilfe" stammt von Informer. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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