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Sunday, September 2, 2018

Politik - „Ich soll vernichtet werden“

FOCUS Magazin | Nr. 35 (2018)
Politik: „Ich soll vernichtet werden“
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Der Verdacht, sie habe Asylanträge über Jahre systematisch falsch beschieden, erschütterte die Republik. Jetzt äußert sich Ulrike B., die frühere Leiterin des Bamf in Bremen, erstmals zu den Vorwürfen

Am ehesten passt auf sie vielleicht der Begriff „resolut“. Die Verwaltungsjuristin trägt eine pragmatische Kurzhaarfrisur, Jeans, spricht klar und überlegt.

Ulrike B. ist die Hauptfigur eines Skandals, der die Republik erbeben ließ. Unter ihrer Leitung soll die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Tausende Asylanträge falsch beschieden haben. Systematisch und vorsätzlich. Die 57-Jährige steht unter Betrugs- und Korruptionsverdacht. Sie sieht das anders: „In meinen Augen ist der Bamf-Skandal der Versuch, mich öffentlich zu vernichten.“

Ist Ulrike B. Opfer einer Intrige?

Zum ersten Mal äußert sich B. öffentlich zu den Vorwürfen. Sie sagt, sie sei das Opfer einer Intrige. Behauptet, einige Mitarbeiter hätten ein Komplott geschmiedet, weil sie ihnen im Weg stand.

Klingt zunächst nicht ungewöhnlich: Die Täterin stilisiert sich zum Opfer. Die eigene Schuld und Verantwortung wird unter bombastischen Verschwörungsmärchen begraben.

Oder liegt dieser Fall anders? Die Bremer Bamf-Filiale, das zeigen auch FOCUS-Recherchen, lässt sich tatsächlich als eine Art Hochleistungs-Inkubator für Neid, Verrat und Intrigen beschreiben.

Zwielicht fällt an solchen Orten auch auf strahlende Helden und Heldinnen. Josefa Schmid, ehrenamtliche Bürgermeisterin im niederbayerischen Kollnburg, gilt bislang als große Aufklärerin des Skandals. Anfang des Jahres 2018 übernahm sie die Leitung der Bremer Außenstelle und schickte im April einen 99-Seiten-Bericht über die angeblichen Missstände im Bamf an das Bundesinnenministerium.

Ihren Bericht, gespickt mit massiven Vorwürfen gegen ihre Vorgängerin Ulrike B., verfasste Schmid allerdings nicht allein. Co-Autor war der leitende Beamte Karl-Heinz Bohlmann in der Behörde.

Beamter belastete B. schwer - allerdings ohne Beweise

Bereits im Juni 2017, lange bevor Schmid nach Bremen kam und während des Bundestagswahlkampfs, der auch im Zeichen der Flüchtlingskrise stand, hatte Bohlmann wesentliche Infos des späteren Schmid-Berichts via SMS der damaligen nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten Michaela Engelmeier (SPD) gesteckt. „Wenn das bekannt wird, muss der Innenminister gehen und Merkel hat ein dickes Problem“, textete Bohlmann an Engelmeier und verlangte mehrfach ein Treffen mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Das kam jedoch nie zustande.

In seinen SMS-Enthüllungen belastete er Ulrike B. schwer. Ohne Hemmung und ohne Beweise. Es ging nicht um Aufklärung. Es ging um den Eklat, den größtmöglichen Skandal.

Bohlmann gehört zu den Vertrauten von Hans-Peter Lau, der nach Ulrike B.s Abgang zunächst kommissarisch die Leitung der Bremer Außenstelle übernommen hatte. Wie Kollege Bohlmann betätigte sich auch Lau als Sensationslieferant. Am 2. Juni 2017 verschickte der Oberregierungsrat um 18.32 Uhr eine Mail an seinen Vorgesetzten in der Nürnberger Bamf-Zentrale. Seinen Inside-Report gegen die längst entmachtete Ulrike B. begann Lau dramatisch: „Sie werden Unglaubliches lesen! Aber es ist wahr! Und ich brauche Ihren Rat und Ihre Hilfe!“ Sein zentraler Vorwurf: Ulrike B. habe im Zusammenspiel mit einem Anwalt in Hildesheim, in den sie „unheimlich verliebt“ sei, rechtswidrig in ein Asylverfahren eingegriffen.

Fatal für Ulrike B.: Damals war das Disziplinarverfahren gegen sie gerade eingestellt worden. Sie galt als unbelastet und hatte sich auf ihre alte Stelle in Bremen beworben. Auf der aber saß Lau.

Was der für sich behielt: Gegen ihn selbst waren massive Verdächtigungen geäußert worden. Nur einen Tag bevor er die Nachricht von Bremen nach Nürnberg schickte, war Martina W., eine seiner Bremer Mitarbeiterinnen, bei der zuständigen Personalrätin in der Nürnberger Zentrale zu Besuch. Die Bremerin berichtete, ihr Chef Lau habe sie wenige Tage zuvor tätlich angegriffen. Laut einem FOCUS vorliegenden Protokoll bezichtigte W. ihren Vorgesetzten, sie „am Nacken angefasst und geschüttelt“ zu haben.

Zwei Whistleblower scheinen selbst keine ganz weiße Weste zu haben

Nach FOCUS-Informationen bekam Lau kurz nach diesem Gespräch beim Personalrat Wind von den Anschuldigungen. Er wird schon sehr bald von den Vorwürfen wegen des körperlichen Übergriffs gewusst haben.

Das Bundesinnenministerium bestätigt, dass „ein entsprechender Vorwurf bekannt geworden“ sei, „dem derzeit noch nachgegangen wird“.

Eine Geschichte hinter der Geschichte scheint sichtbar zu werden. Lau und Bohlmann, die beiden ersten Whistleblower in Bremen, streuten ihre Beschuldigungen gegen Ulrike B. exakt zu einem Zeitpunkt, als diese die diszplinarischen Ermittlungen überstanden hatte – und als ein schwerer Verdacht gegen Lau, ihren Kontrahenten, laut wurde.

Und Josefa Schmid, die angebliche Lichtgestalt, die mutige und selbstlose Aufklärerin, vertraut in ihrem Bericht offenbar vollkommen den Anschuldigungen und Urteilen Bohlmanns. Warum verschwieg sie ihren Co-Autor? Weil sie sonst zugeben müsste, dass Bohlmann bereits neun Monate vorher mit denselben Vorwürfen einen Polit-Skandal auslösen wollte? Weil man nach persönlichen Motiven des Tippgebers gefragt hätte?

Für Bohlmann persönlich jedenfalls nahm der Skandal eine durchaus erfreuliche Wendung. Zwar gelang es dem eifrigen Beamten nicht, wie erhofft einen Minister zu stürzen oder die Kanzlerin in Bedrängnis zu bringen. Sein Vorgesetzter und guter Kollege aber, Hans-Peter Lau, entfernte inzwischen die Mitarbeiterin W. (die ihn des körperlichen Angriffs beschuldigt hatte) von ihrem leitenden Posten – und setzte auf diesen den verdienten Mitarbeiter Karl-Heinz Bohlmann.

Dennoch, dass jene, die Ulrike B. angreifen, ein fragwürdiges Bild abgeben, bedeutet allein noch nicht, dass die Hauptbeschuldigte des Skandals in Wahrheit ein Opfer ist.

Wer zahlte die Hotelrechnungen?

Im Oktober vergangenen Jahres tauchte in Gießen ein gefälschter Asylbescheid mit der vermeintlichen Unterschrift und dem Dienstsiegel Ulrike B.s. auf. Kurz darauf erstattete das Bamf Anzeige, und die Staatsanwaltschaft Bremen nahm ihre Ermittlungen auf. Ist dieser gefälschte Asylbescheid nicht ein deutliches Indiz dafür, dass es sich bei der Verwaltungsjuristin um eine manipulative und gerissene Frau handelt, die Mitarbeiter für ihre Zwecke benutzt und eiskalt das „System betrügt“?

Das zumindest soll Ulrike B. selbst einmal in einer Mail an einen Rechtsanwalt zugegeben haben. Auch auf weitere Indizien, die B. belasten, stießen Ermittler. „Ich habe nun mal einen lockeren und flapsigen Ton“, versucht B. abzuwiegeln.

Insbesondere das Verhältnis von B. zu dem Hildesheimer Rechtsanwalt Ç., einem Jesiden, wirft Fragen auf. Der Jurist und die Beamtin nahmen im Jahr 2014, als die Schlächter des sogenannten Islamischen Staates Tausende Jesiden ermordeten, Anteil am Schicksal der Religionsgemeinschaft. Sie wurden Freunde: „Wir sind viel spazieren gegangen“, so Ç. im Gespräch mit FOCUS. Die Unterstellung, er sei B.s Liebhaber, empfindet der Anwalt als beleidigend.

B. übernachtete öfter in Hildesheim in Hotels, die Ç. bestellt und bezahlt hat. „Ich habe das immer ausgeglichen“, beteuert Ulrike B. Bisher ist nur eine Quittung aufgetaucht, obwohl beide erklären, jede Rückzahlung sei quittiert worden. Die Darstellung von Ç., warum er sich um die Hotels gekümmert habe: „Sie ist mit mir und meiner Familie befreundet. Da ist es für uns selbstverständlich, dass wir ihr eine Unterkunft besorgen.“

Gut 800 Euro soll Ç. verauslagt haben. Deswegen gehen die Ermittler von Bestechung aus. B. streitet das vehement ab: „Ich bin als Beamtin ,Leibeigene‘ des Staates und lasse mich nicht bestechen.“ Aber hätte eine Amtsleiterin nicht trotzdem mehr Abstand zu einem Anwalt wahren müssen, der mit seinen Mandanten in ihrer Behörde ein und aus geht? „Ich weiß, dass mich da nicht jeder versteht. Aber ich bereue das nicht.“

Chronologie des Bamf-Skandals

11. Juli 2014

Der Leiter der Bamf-Außenstelle Friedland und Oldenburg informiert die Bamf-Zentrale über angebliche Missstände in Bremen.

2016

Das Bundesinnenministerium erhält anonyme Hinweise zum Bamf-Bremen. Im Juli wird Ulrike B. vom Chefposten entbunden.

Juni 2017

Ein leitender Bremer Beamter belastet in einer Mail an die Nürnberger Zentrale Ulrike B. Er wirft ihr massenhafte Manipulation vor.

Oktober 2017

In Gießen taucht ein gefälschter Asylbescheid aus Bremen auf. Die Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein.

April 2018

Josefa Schmid, die neue Leiterin des Bamf in Bremen, schreibt einen umfassenden Bericht ans Innenministerium. Mehrere Razzien in Bremen und Niedersachsen folgen.

13. Juni 2018

Bamf-Chefin Jutta Cordt wird von Bundesinnenminister Horst Seehofer entlassen (beide im Bild oben). Ein Untersuchungsausschuss ist noch immer möglich.

Video: Zugang zu sicheren Staaten: Regierungsberater fordern "Klimapass" für Migranten

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