Die meisten Geschichten, die über Ralph Brinkhaus geschrieben wurden, waren Revolutionsgeschichten und hießen irgendwie so: „Revolte gegen die Kanzlerin“ - und beschäftigten sich also vor allem mit den Auswirkungen einer Spitzenpersonalie auf Deutschlands Spitzenpolitikerin Nr 1. Das ist doppelt bemerkenswert: Der neue Fraktionsvorsitzende der Union im Deutschen Bundestag ist so gar kein Revolutionär. Sondern ein Ostwestfale.
Und - ja: Angela Merkel hatte sich für den in 13 Jahren in seiner Treue zu ihr bewährten Amtsinhaber Volker Kauder eingesetzt - aber das hat auch Merkels selbst ernannter größter Konkurrent, Jens Spahn. Ebenso wie Merkels größtmöglicher Verteidiger, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet.
Jeder folgte dabei seinem eigenen Kalkül - Merkel setzte auf das Erwartbare, bei Helmut Kohl gelernte „Weiter so“, Spahn wollte einen Konkurrenten - eben Brinkhaus - von einem mächtigen Posten fern halten und dann lieber Kauder bestätigt sehen, zumal er um dessen wachsende Unbeliebtheit wusste - Spahn wollte also Merkel durch vordergründige Loyalität hintergründig schwächen.
So etwas macht man, wenn man für den offenen Konflikt nicht stark genug ist. Spahn dokumentierte also - ungewollt - seine Schwäche. Irgendwann wird er springen müssen - oder der Traum von der Kanzlerschaft wird für ihn zum Alptraum. Und Laschet sammelt Loyalitätspunkte und will auf der bundespolitischen Bühne Augenhöhe demonstrieren. Laschet hat dabei am wenigsten zu verlieren - er hält sich im Spiel, auch als denkbarer Merkel-Nachfolger, und unterstreicht seinen Einfluss als Ministerpräsident. Win-Win-Situation heißt so etwas.
Über den Autor: Ulrich Reitz
Ulrich Reitz arbeitete als Korrespondent bei der Welt, war in der Startmannschaft von FOCUS, den er zuletzt führte, und war insgesamt 17 Jahre lang Chefredakteur der beiden größten deutschen Regionalzeitungen "WAZ" und "Rheinische Post". Er beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, der kulturellen Verfasstheit Deutschlands und der Performance seiner Eliten in Politik und Wirtschaft. Reitz versteht sich als wirtschaftlich ordoliberal und politisch konservativ. Er schätzt die gepflegte Kontroverse.
Über Ralph Brinkhaus lassen sich nicht so viele Geschichten erzählen. Und das ist es ja gerade: Dem eitlen Berliner Aufmerksamkeits-Wettlauf hat Brinkhaus sich konsequent entzogen. Er hat auch nicht hinter den Kulissen für sich geworben, jedenfalls nicht lautstark, mit vielen geredet, das schon, aber Reklame hat er für sich nicht gemacht. Das ist das Neue und Bemerkenswerte und Ungewohnte - und machte deshalb bei Brinkhaus' Kollegen wohl am meisten Eindruck.
Am vergangenen Freitag war dann ein „FAZ“-Reporter bei Brinkhaus in dessen Büro exklusiv zum Gespräch, wollte wissen, wie dieser allererste Ökonom an der Spitze der Unionsfraktion über wichtige ökonomische Fragen so denkt - den Euro, die Rente, die Steuern, die Energiepolitik. Danach schrieb er sehr viele Zeilen. Der ganze große Text enthält aber nur ein einziges Zitat von Brinkhaus, der Rest ist gut dokumentierte Archiv-Arbeit. Das Zitat ist lustig, weil es erklärt, weshalb Brinkhaus nichts sagt, wenn er nichts sagen will. Es lautet: „Der Ostwestfale hat einen Spruch: Man muss ja nicht immer reden.“
Kabarettisten verulken gerne landestypische Sitten. Der Kabarettist Harald Meves sagt über den Ostwestfalen an sich, bis man mit diesem Typus befreundet sei, könne lange dauern. Auch schon einmal zehn Jahre (Rheinländer schaffen so was gerne in zehn Minuten). Wenn man dann aber seinen ostwestfälischen Freund frage, ob der einen im nächsten Jahr zu Weihnachten am Bahnhof abholen komme, antworte der nur knapp: Ja, sicher (Rheinländer haben, vermutlich aus Selbstschutz, erst gar nicht ein so weit reichendes Erinnerungsvermögen).
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Als Frankreichs Präsident Emanuel Macron weit reichende Euro-Pläne veröffentlichte, verfasste Brinkhaus mit einigen Kollegen ein Papier. Dort steht, der Bundestag müsse beim europäischen Währungsfonds mitbestimmen. Damit machte Brinkhaus mal eben die Spielräume für die Kanzlerin eng. Mehr Mitsprache der Fraktion, mehr auf die Abgeordneten hören, die direkt gewählt sind und daher die engste Brücke darstellen zwischen der Politik und dem Volk, das war die Botschaft, mit der Brinkhaus Kauder schlagen konnte.
Merkels Fehler war, diese Stimmung nicht zu kennen. Oder, sie zu ignorieren, weil sie ihr nicht in den Kram passt. Das kann man bemerkenswert finden als Journalist und darum nun über anstehende Revolutionen schreiben, was vielleicht leichter fällt, wenn man selbst so wenig am Puls der Abgeordneten war wie die Kanzlerin. Nämliche „FAZ“ hatte übrigens die Größe, das einzugestehen.
Jetzt schreiben einige, Merkel solle nicht mehr als CDU-Vorsitzende antreten auf dem anstehenden Parteitag. Dann allerdings müsste sie sogleich die Vertrauensfrage im Bundestag stellen - was sie soeben ausgeschlossen hat. Und warum auch: Die CDU will keine Neuwahl, die SPD will keine Neuwahl, der CSU reicht schon die Bayern-Wahl. Es gibt keinen Aufstand gegen Merkel.
Angela Merkel war einmal Fraktionsvorsitzende der Union. Helmut Kohl ebenfalls. Ein Fraktionsvorsitzender kann also Diener sein oder auch Bundeskanzler werden. Von nun an definiert das die Flughöhe für den bodenständigen, ostwestfälischen Herrn Brinkhaus.
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