Die Krise erreicht den Vatikan. Papst Franziskus hat für Ende Februar die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen weltweit zu dreitägigen Beratungen einbestellt - ein beispielloser Versuch, den sexuellen Missbrauch durch Kirchenleute anzugehen. Mit dieser Entscheidung zog Franziskus im Herbst die Konsequenz aus immer neuen Meldungen aus immer mehr Ländern über Verbrechen von Klerikern und mangelnde kirchliche Bereitschaft zur Aufarbeitung.
Was einst mit Enthüllungen in Irland, den USA und Deutschland begann, zog immer weitere Kreise. In Polen zog vor wenigen Monaten der Film "Kler" (Kleriker) Millionen Menschen in die Kinos. Und zu den dunklen Stunden im Pontifikat von Franziskus gehörte seine Fehleinschätzung von Missbrauchsvorwürfen gegen Kirchenleute in Chile, die seinen Besuch in dem Andenland Anfang 2018 überschattete. Mittlerweile hat der Skandal längst Kardinäle erreicht. In den USA, in Australien, in Chile.
Der Blick der Opfer
"Tatsächlich findet sexueller Missbrauch überall dort statt, wo katholische Kirche organisiert auftritt", sagt Matthias Katsch der Deutschen Welle. Katsch durchlitt am Berliner Canisius-Kolleg selbst Missbrauch durch einen Geistlichen und ist heute Sprecher der Betroffenen dieser Jesuiten-Schule.
Katsch formuliert die Erwartungen der "Überlebenden" sexueller Gewalt an das Treffen in Rom. Die Kirche werde hoffentlich "unmissverständlich klarmachen, dass sie verstanden hat, dass sie sich grundsätzlich anders aufstellen muss in der Auseinandersetzung mit den Betroffenen, dass Aufarbeitung notwendig ist auf allen Ebenen, auch auf der Ebene des Vatikan". Es gehe um ein "grundlegendes, systematisches Problem". Das erfordere eine neue Haltung der Kirche gegenüber den Betroffenen und ihren Erwartungen auf Hilfe und Entschädigung. "Nicht der Umgang mit der Sexualität, sondern der Umgang mit der Macht" sei der "entscheidende Faktor" für Missbrauch in der Kirche: "Wenn ich ungestraft tun und lassen kann, was ich will, dann ist jeder Art von Missbrauch Tür und Tor geöffnet."
Strukturelle Dimensionen
Kaum jemand hat auf kirchlicher Seite mit so vielen Missbrauchsopfern gesprochen wie der Jesuit Hans Zollner. Der deutsche Theologe und Psychologe ist Präsident des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Allein in diesem Jahr, so schätzt er, bereiste er rund 20 Länder, sprach dort mit Verantwortlichen und schulte kirchliche Mitarbeiter - in Mittelamerika und Ozeanien, auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Das Treffen im Vatikan wird zum ersten Mal in den Fokus rücken: die strukturelle Dimension der Vertuschung von Missbrauch, die Aufarbeitung von Missbrauch und die Prävention von Missbrauch", sagte er der DW.
Bei dem Treffen im Februar, sagt Zollner, soll es in einem Dreischritt um die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Bischofs, um die gemeinsame Verantwortlichkeit jeder Bischofskonferenz zur Transparenz und um die Gesamtkirche gehen. Das passt dazu, dass Franziskus in den vergangenen Monaten mehrere Bischöfe entlassen hat, denen Missbrauch oder auch dessen Vertuschung vorgeworfen wurde.
Andererseits bremste er ein zügiges Handeln der US-Bischofskonferenz aus, nachdem im Sommer 2018 Theodore McCarrick, über Jahrzehnte einer der wichtigsten Kardinäle des Landes und der Weltkirche, wegen zahlreicher Missbrauchsfälle aufgeflogen und entlassen worden war. Die Bischöfe der - konservativer, aber auch selbstbewusster als in Europa geprägten - US-Kirche wollten im Herbst entschlossen darauf reagieren, wurden aber in ihrem Vorgehen von Rom zunächst gestoppt.
Der Blick nach Afrika
In Rom treffen sich die Vorsitzenden aller 113 Bischofskonferenzen weltweit, zudem Ordensobere, Verantwortliche aus den sogenannten Ostkirchen und rund 70 Fachleute. Und außerhalb des Vatikan kommen mindestens 40 Missbrauchsopfer zusammen, aus verschiedenen Ländern, von mehreren Kontinenten. Auch Matthias Katsch wird dabei sein. Erwartet werden auch Betroffene aus Afrika. "Das ist mitnichten ein Ort, wo das nicht vorkommt. Im Gegenteil: Alle fürchten, was uns da noch an Auswüchsen von Gewalt und sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Frauen noch begegnen wird", sagt er. Denn in Afrika werde Priestern oft noch eine Rolle beigemessen, die nicht in Frage gestellt werden dürfe.
Ein Eingeständnis des Papstes
Ob es Kontakte geben wird zwischen denen "drinnen" im Vatikan und jenen "draußen" in Rom, erläutert Zollner, das sei noch offen. Man suche aber ein geeignetes Format: "Der Kontakt mit Betroffenen ist ganz wichtig, um zu spüren, worum es auch geht." Im Vorfeld hat Papst Franziskus allen beteiligten Bischöfen die Anordnung gegeben, in ihrer Diözese mit Opfern von sexuellem Missbrauch zu sprechen.
Und in den Mittelpunkt seiner jährlichen Ansprache an die Kurie vor dem Weihnachtsfest stellte er das Thema Missbrauch. Die Täter begingen "abscheuliche Verbrechen und üben weiter ihr Amt aus, als sei nichts gewesen". Franziskus gestand ein, dass das Problem in der Vergangenheit teilweise nachlässig behandelt worden sei. "Das darf nie wieder geschehen", mahnte der Pontifex.
Und er dankte den Medien ausdrücklich für ihre Bemühungen, die Taten aufzudecken und den Opfern eine Stimme zu geben. Die spekulieren indes seit langem darüber, ob das Pontifikat des Papst Franziskus vom Missbrauch überschattet bleiben wird.
Autor: Christoph Strack
*Der Beitrag "Der Vatikan, die Kirche und der Missbrauch" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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