Nehmen wir Präsident Trump einfach einmal beim Wort. Er hat dieser Tage mit seiner Bemerkung vom Ende der Rolle der USA als so genannter Weltpolizist wieder einmal einen alten Wahlkampfschlager neu aufgelegt. Er geht so: Die Vereinigten Staaten werden seit langem von reichen und arglistigen Freunden wirtschaftlich und militärisch ausgenutzt und ausgebeutet, um im Widerspruch zu US-Interessen als "Weltpolizist" international für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Die Nutznießer dieser für sie kostengünstigen Sicherheitsleistung der USA sind Amerikas Verbündete, die Geschädigten sind die Amerikaner.
Diese ungerechte Lastenteilung, so Trumps Kernbotschaft seit dem Wahlkampf, wird durch seine "America First"-Strategie beendet. Mit den freiwerdenden Mitteln aus der Aufgabe der Weltpolizistenrolle kann dann Trumps zweites Wahlkampfversprechen, der so genannte Wiederaufbau des Landes, eingelöst werden: "Make America Great Again".
Mauer statt Infrastruktur
Ignorieren wir hier einfach einmal die fragwürdige Stilisierung der USA, des mächtigsten Landes der Welt, als Opfer. Und ignorieren wir hier ebenso die dubiose Unterstellung, die so genannte Weltpolizistenrolle, was immer dieser Begriff eigentlich genau bedeuten mag, würde amerikanischem Interesse widersprechen. Nehmen wir Trump einfach einmal beim Wort und fragen was er - zur Hälfte seiner Amtszeit, gestärkt von einer Mehrheit seiner republikanischen Partei im Kongress - konkret getan oder nicht getan hat, um das Land wiederaufzubauen.
Trumps Präsidentschaft wäre möglicherweise anders verlaufen, hätte er als erstes Gesetzesvorhaben angepackt, was er im Wahlkampf versprochen hatte: ein umfassendes, staatsfinanziertes Infrastrukturpaket. Ein seriös angelegtes und breit aufgestelltes Paket zur Sanierung des maroden Verkehrsnetzes, von Bildungseinrichtungen und zur Unterstützung klammer Kommunen. Die Infrastruktursanierung wäre gleich aus zwei Gründen klug gewesen. Erstens hätte Trump damit die Demokraten auf seine Seite bekommen. Und zweitens hätte er damit zügig ein zentrales Wahlkampfversprechen umgesetzt, dessen Sinnhaftigkeit für die Amerikaner sicht- und fühlbar war.
Trump tat das nicht. Statt ein parteiübergreifendes Infrastrukturpaket zu verabschieden, kümmert sich Trump seit Beginn seiner Amtszeit stattdessen mit Inbrunst um ein anderes Wahlkampfversprechen, eines dass die Nation spaltet: den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko.
Militärausgaben erhöhen statt zu kürzen
Trotz seiner Ankündigung vom Ende der Weltpolizistenrolle der USA hat Trump die Militärausgaben nicht gekürzt. Im Gegenteil: Der Verteidigungshaushalt für 2019, von Trump vorgeschlagen und unterzeichnet, steigt im Vergleich zum Vorjahr um rund zehn Prozent. Dabei könnte es in diesem Bereich, folgt man der Trumpschen Logik, auch etwas weniger sein. Denn bereits jetzt geben die USA nach Angaben der Peter Peterson Foundation mehr für die Verteidigung aus als die nächsten sieben Länder auf der Liste gemeinsam. 15 Prozent des Gesamthaushalts, rund die Hälfte der nicht gebundenen Mittel, wendet Washington für Verteidigungsausgaben auf.
Dagegen hat Trump, und das war sein einziger nennenswerter legislativer Erfolg in zwei Jahren republikanischer Alleinregierung, die Staatsverschuldung der USA drastisch erhöht. Und zwar durch eine Steuersenkung von der vor allem die Reichen profitieren. Zudem wird trotz Trumps Zollpolitik auch das von ihm so verhasste Handelsbilanzdefizit ansteigen. Beides dürfte den politischen und finanziellen Spielraum für den angekündigten Wiederaufbau des Landes weiter verringern.
Impulsiv statt durchdacht
Ebenfalls mit Inbrunst betrieb Trum die Zerstörung von "Obamacare", der Gesundheitsversorgung, die sein Vorgänger eingeführt hatte. Das ist bemerkenswert, weil Trump sich immer als Präsident der "vergessenen Amerikaner" geriert und Obamacare vielen Amerikanern erstmals Zugang zu einer Krankenversicherung verschaffte, die davon bislang ausgeschlossen waren.
Die Beispiele zeigen, wie ernst Trumps Sprüche vom Wiederaufbau Amerikas zu nehmen sind. Dieser Präsident hat auch nach fast zwei Jahren Amtszeit noch immer keine durchdachte Gesamtstrategie, was "America First" konkret bedeutet und wie es realistischerweise umgesetzt werden könnte. Stattdessen agiert Trump - wie beim überraschend angekündigten US-Truppenabzug aus Syrien - nur von Impulsen getrieben. Für Amerikas Verbündete und für die Amerikaner selbst ist dieses Verhalten fatal.
Autor: Michael Knigge (Washington)
*Der Beitrag "Kommentar: Donald Trumps Mär vom Wiederaufbau Amerikas" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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