Es kommt nicht oft vor, dass Alice Weidel, 39, einen Fehler eingestehen muss. Dass sie sich klein machen muss, dass sie zerknirscht um Vergebung bittet. Doch am Montagabend während der Fraktionssitzung der Alternative für Deutschland entschied sich Weidel ganz ungewöhnlich für ein Mea culpa, für ein Mea maxima culpa. Sie soll, so berichten Teilnehmer, ganz kleinlaut gefragt haben: „Wie konnte ich nur so dumm sein?“
Eine gute Frage. Seit Tagen berichten die Medien über die AfD-Fraktionschefin und einen ominösen Spender aus dem Ausland. Angeblich hat Weidel illegal eine Spende in Höhe von 130.000 Euro angenommen. Ausgerechnet die Partei, die anders sein wollte, die auf das politische Establishment schimpft, hat ihren eigenen Spendenskandal. Nun wollten die Fraktionäre Erklärungen von ihrer Chefin. Fünf Stunden dauerte die Sitzung.
Weidel habe sich im Umgang mit der Spende aus der Schweiz auf das Urteil der Schatzmeisterin ihres Kreisverbands und des baden-württembergischen Landesschatzmeisters Frank Kral verlassen. Sie habe, sagt Weidel, der Partei damit geschadet und viel aus der Affäre gelernt.
Amt behalten, Souveränität und Autorität verloren
Dass sie die Sitzung immer noch als Fraktionsschefin verlässt, ist ein teuer erkaufter Erfolg. Sie hat ihr Amt behalten, aber Souveränität und Autorität verloren. „Noch so ein Ding, und sie ist nicht mehr tragbar“, sagt ein ranghoher Vertreter des rechten Parteiflügels. Das sehen viele so in Fraktion und Partei. Weidel hat formal das Sagen, aber kaum noch Unterstützer, die Zahl ihrer Gegner steigt. Sie ist Chefin auf Bewährung.
Alice Elisabeth Weidel lernt gerade auf die harte Tour, mit Niederlagen umzugehen. Bisher ging es immer nach oben. Ihr Weg an die Fraktionsspitze der größten Oppositionspartei im Bundestag ist eine Geschichte von Ehrgeiz und Fleiß, von unbändigem Willen und großem Ego: Doppelstudium BWL und VWL, Promotion, Jahrgangsbeste, Begabtenförderung, Weidel ist ganz vorn dabei.
Sie kämpfte sich als lesbische Frau im Heteroladen AfD nach vorn, sie lernte Mandarin während eines längeren China-Aufenthalts. Ihr Ehrgeiz ist grenzenlos, sagen jene, die sie gut kennen.
Überall Feinde und falsche Freunde
Und jetzt das. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Druck. Überall Feinde und falsche Freunde. Es ist noch nicht absehbar, wie die Geschichte ausgeht. Aber die Vorwürfe gegen Weidel wiegen schwer. Sollte sie tatsächlich wissentlich eine anonyme Spende aus dem Ausland angenommen haben, wird es eng.
Umfrage: Wie würde die Beobachtung der Bundes-AfD oder von AfD-Landesverbänden durch den Verfassungsschutz Ihre Sicht auf die AfD verändern?
Doch was ist eigentlich passiert? Wer hat wie viel gespendet? Und warum die ganze Aufregung?
Mitte September vergangenen Jahres, als für die AfD die letzten Tage im Bundestagswahlkampf anbrachen, war Weidel in ihrem Wahlkreis unterwegs. Auf einem Bodenseedampfer übte sich die Partei in Basispflege, im Grunde war es eine politische Butterfahrt mit Wahlkampfreden und geräuchertem Saibling vom Büfett. Weidel hatte sich in einer beigen Strickjacke unter die Leute gemischt. Kreisschatzmeisterin Brigitte Hinger kam auf sie zu mit einer frohen Kunde: „Alice, jetzt sind wir reich.“ Insgesamt 130.000 Euro seien auf dem Konto des Kreisverbands eingegangen.
Der unverhoffte Geldfluss hatte Wochen zuvor begonnen. Am 17. Juli war die erste Spende mit gut 8000 Euro beim Kreisverband eingegangen. In Abständen von drei bis vier Tagen kamen weitere Überweisungen an. Das Problem: Das Geld stammte aus der Schweiz. Doch laut Parteiengesetz sind Spenden von außerhalb der EU verboten. Sie müssen unverzüglich zurücküberwiesen oder bei der Bundestagsverwaltung angezeigt werden. Deshalb hat mittlerweile die Staatsanwaltschaft Konstanz Ermittlungen gegen Weidel und drei weitere Personen aus ihrem Kreisverband aufgenommen.
"Muss ich diese Beträge irgendwo melden oder bekannt geben?"
Warum ist niemand im Kreisverband Bodensee stutzig geworden? Als im Juli und August 2017 immer weitere Spenden auf einem Tagesgeldkonto des Kreisverbands eingehen, hakte Schatzmeisterin Hinger bei der nächsthöheren Ebene, Landesschatzmeister Frank Kral, nach. In der E-Mail der Kreisschatzmeisterin vom 10. August heißt es: „Ein Gönner aus der Schweiz unterstützt Alice wöchentlich mit mehreren tausend CHF (Schweizer Franken). Was ist dabei zu beachten? Muss ich diese Beträge irgendwo melden oder bekannt geben?“
Die Antwort des Landesschatzmeisters vom 13. August war eindeutig: Wenn die Spenden auf das Konto des Kreisverbands gingen, seien es ganz normale Spenden. Diese würden als solche verbucht.
Immer mehr Geld ging auf dem Konto ein. Offenbar war der Schatzmeisterin, die ihr Geld als Yoga-Lehrerin verdient, das alles nicht geheuer. Einen Tag später fragte sie noch einmal bei Kral nach: „Alice Weidel hat einen Gönner in der Schweiz, der bereits 7 x 9.000 CHF für die BTW gespendet hat.“ Sie wollte wissen, ob sie bei diesen hohen Summen etwas beachten müsse. Die Antwort des Landesschatzmeisters fiel knapp aus: Dazu habe er bereits geantwortet.
Weidel fiel im Januar auf, dass etwas nicht stimmt
Dass etwas nicht stimmte, fiel Alice Weidel, mittlerweile in den Bundestag gewählt, erst am 21. Januar 2018 auf. Ein Formular der Bundestagsverwaltung musste ausgefüllt werden. Die Verwaltung wollte Auskunft über „Spenden und sonstige Zuwendungen für die politische Tätigkeit“. Ob darunter auch die 130.000 Euro fallen würden, wollte Weidel von ihrer Schatzmeisterin wissen.
Noch am selben Abend suchte Brigitte Hinger erneut per E-Mail Rat bei Kral: „Ich bin aktuell mit dem Abschluss meiner Buchführung beschäftigt, und da sind doch ein paar Fragen, die ich mir selber nicht beantworten kann“, begann sie. Ausführlich zitierte sie das Parteiengesetz, machte ihre Bedenken deutlich. Eine Antwort blieb aus. Schließlich entschieden Weidel und ihre Schatzmeisterin am 13. April, das Geld zurückzuschicken. Der E-Mail-Dialog liegt FOCUS vor.
Landesschatzmeister Kral stellt die Dinge anders dar. Bis Oktober amtierte der 53-jährige Kaufmann aus der Nähe von Backnang als Finanzverantwortlicher der AfD-Bundestagsfraktion, aber inzwischen liegt er mit der gesamten Partei über Kreuz. Ganz wesentlich auf Betreiben Weidels feuerte ihn die Fraktionsführung fristlos wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten, die er allerdings bestreitet. Kral klagt gegen seinen Rauswurf, demnächst steht der erste Gerichtstermin an. Nach wie vor bekleidet er sein Schatzmeisteramt in Baden-Württemberg, wo er auch im AfD-Landesvorstand sitzt.
Landesschatzmeister Krad will nicht der Sündenbock sein
Der Weidel-Kontrahent macht deutlich, dass er sich auch in der Spendenaffäre nicht in die Rolle des Sündenbocks drängen lassen will. Die Schatzmeisterin des Bodensee-Kreisverbands habe ihm telefonisch mitgeteilt, es handle sich bei dem Spender um einen Deutschen. Dann, so Krals Antwort damals, handle es sich nicht um eine Spende aus dem EU-Ausland, die illegal wäre. Frau Hinger bestreitet, dieses Telefonat je geführt zu haben, sie kenne auch den Spender nicht, heißt es aus ihrem Umfeld.
Tatsächlich lässt das Parteiengesetz diese Ausnahme zu: Stammt eine Zuwendung aus dem Vermögen eines EU-Bürgers, kann sie auch über das Ausland fließen.
Ärger und Strafzahlungen drohen der AfD vor allem wegen der verschleierten Herkunft des Geldes. Anonyme Spenden von mehr als 500 Euro sind verboten. Aber über die Identität des Spenders und den Weg des Geldes, argumentiert Kral, habe er sich als Landesschatzmeister keine Gedanken machen müssen. Empfänger der 130.000 Euro sei schließlich nicht der Landesverband gewesen, sondern der Kreisverband Bodensee. Stellvertretende Vorsitzende: Dr. Alice Weidel, die in der Zweckbestimmung des Geldsegens auch explizit genannt wurde: „Wahlkampfspende Alice Weidel Social Media“.
Will sich jemand an Weidel rächen?
Dass die ganze Sache nun Weidels Ruf ramponiert, ist ihren zahlreichen Gegnern nur recht. Vielleicht haben sie auch nachgeholfen. Die ärgsten Feinde stammen aus ihrem eigenen Landesverband. Allen voran jener Landesschatzmeister Kral. Angeblich, sagen führende Mitglieder des rechten Weidel-kritischen Parteiflügels, habe Kral den Skandal an die Medien gegeben. Motiv: Rache für seinen Rauswurf aus der Fraktionsverwaltung.
Dann ist da Jörg Meuthen. Das Verhältnis zu dem Wirtschaftsprofessor, der sich den Parteivorsitz mit Alexander Gauland teilt, ist belastet. So räumte Meuthen während einer Sitzung des Bundesvorstands ein, schon Tage vor der Veröffentlichung von den Recherchen über die Spendenaffäre gewusst zu haben. Eine Warnung, ein kleiner Hinweis an Weidel? Meuthen dachte offenbar gar nicht daran.
Schließlich ist da auch noch Ralf Özkara, der bis Dienstagabend Chef von Weidels Heimatlandesverband Baden-Württemberg war. Ihn verbindet mit Weidel eine intensive Feindschaft. Er soll sich gegenüber anderen Parteimitgliedern über Weidels Homosexualität echauffiert haben. Ihn verdächtigen Weidels Leute und selbst Weidel-Kritiker, dass er Fernsehstationen mit den Kontoauszügen über die Spenden versorgt haben soll.
Özkara hatte auch öffentlichkeitswirksam Weidels Rücktritt gefordert. Am Dienstagabend aber verzichtete er dann selbst auf seinen Job als Landesvorsitzender, angeblich aus privaten Gründen.
Weidel rechnet mit Durchsuchungen ihrer Räumlichkeiten
Weidel dagegen ist noch im Amt. Was jetzt noch kommt, kann sehr unangenehm werden. Weidel rechnet mit Durchsuchungen ihrer Privat- und Geschäftsräume, heißt es aus ihrem Umfeld. Denn die Spende aus der Schweiz ist nicht der einzige dubiose Geldstrom bei den Rechtspopulisten.
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Die Organisation "Lobby Control" kritisiert: „Die AfD profitiert seit Jahren von millionenschweren Wahlkampagnen durch anonyme Kräfte“, sagt Ulrich Müller. Es geht um den Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten, der angeblich den Aufbau der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung finanziell unterstützt hat. Im Zentrum: Hans Hausberger, ein enger Vertrauter Weidels, der die Stiftung aufbaut. Mit gespendetem Geld aus fragwürdigen Quellen.
Dann soll Geld aus einer niederländischen Stiftung geflossen sein. Empfänger: abermals der Kreisverband Bodensee. "Lobby Control"-Mann Müller mutmaßt, dass es in der AfD „einen Verschiebebahnhof für verdeckte Geldströme“ gegeben habe.
Die Bundesvorsitzende als Märtyrerin?
Ist nun der Aufstieg der AfD erst einmal gestoppt? Beginnt der klassische Selbstzerfleischungsprozess junger Parteien?
Der Dresdner Politikprofessor Werner Patzelt sagt: „Viele der AfD-Wähler, die von der CDU dorthin gewechselt sind, werden sich darüber empören, dass die Partei, die anders sein wollte als die anderen, sich jetzt auch in den Fallstricken der Parteienfinanzierung verfangen hat.“ Die Gefolgsleute, die etablierte Parteien ablehnten, meint Patzelt, würden die Vorwürfe als Lappalie im Vergleich zu Helmut Kohls schwarzen Kassen abtun und argumentieren: „Jetzt haben sie endlich etwas Neues gefunden, womit sie die AfD angreifen können.“ Weidel als Märtyrerin, das würde ihr bestimmt gefallen.
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