Eigentlich würde die Bundesbildungsministerin jetzt gern ihren ersten Erfolg feiern. Es ist Anfang Dezember, grau hängt der Himmel über Berlin. Und Anja Karliczek (CDU), 47, muss eine herbe Niederlage einräumen. Ihr wichtigstes Projekt, deutsche Schulen mit fünf Milliarden Euro zu digitalisieren, wurde gerade von den Bundesländern gestoppt. Die fürchten, dass sich der Bund künftig zu stark in die Bildungspolitik einmischt. Und Karliczek kann nicht verhindern, dass ihr Digitalpakt scheitert, vorerst zumindest. „Wir haben unseren Teil der Arbeit gut gemacht“, sagt sie etwas pikiert. „Jetzt liegt der Ball bei den Ministerpräsidenten. Ich mische mich da nicht ein.“
Eine Ministerin, die sich in ihr Prestigeobjekt nicht mehr einmischen will? Aus Sicht von Heinz-Peter Meidinger, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, eine Ungeheuerlichkeit. „Frau Karliczek hat bei dieser wichtigen Frage des Digitalpakts versagt“, schimpft er. Sie müsse sich das Scheitern „persönlich ankreiden lassen“.
CDU-Amtskollegin "überrascht", dass Karliczek bei Neuverhandlung nicht mit am Tisch sitzt
In den kommenden Monaten werden die Länderchefs mit der Bundesregierung verhandeln – allerdings mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Karliczek ist außen vor, was auch Parteifreunde erstaunt. „Die Bundesbildungsministerin fühlt sich nicht zuständig. Das hat mich überrascht“, sagt die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann, wie Karliczek in der CDU. Für Eisenmann macht ihre Kollegin in Berlin zu viele Fehler. Und vor allem will sie sich nicht aus der Hauptstadt ihre Bildungspolitik diktieren lassen.
Exakt neun Monate ist Karliczek jetzt im Amt. Doch Erfolge kann sie bisher nicht vorweisen. Das größte Aufsehen erregte sie bisher ausgerechnet mit einer verunglückten Aussage zur Digitalisierung: Der neue Mobilfunkstandard 5G sei „nicht an jeder Milchkanne notwendig“, dozierte Karliczek Ende November. Verbraucher und Unternehmer waren gleichermaßen empört, Parteifreunde schockiert.
Sogar Parteifreunde werfen ihr vor, sie sei schlecht gestartet
Die Zahl der Unterstützer ist seitdem nicht größer geworden. Bei der SPD und auch in ihrer eigenen Partei sagen viele, sie sei „nicht in den Themen drin“. Manche finden sogar, sie sei „überfordert“. Ist Karliczek, die jährlich 18 Milliarden Euro verteilen kann und damit das viertgrößte Ressort der Bundesregierung leitet, ihrem Amt nicht gewachsen?
Selbst ihr Wohlgesonnene sagen, Karliczek habe zu lange gebraucht, sich in den Job einzufinden. Die Hotelfachfrau aus NRW, die später Betriebswirtschaft an einer Fernuniversität studierte, sitzt erst seit dem Jahr 2013 im Bundestag. In weniger als fünf Jahren hat sie es von einer einfachen Abgeordneten zur Bundesministerin geschafft.
Woran also liegt es, dass Karliczek im Bildungsministerium nicht liefert? Der Digitalpakt wurde von Johanna Wanka (CDU), Karliczeks Vorgängerin, vor mehr als zwei Jahren angekündigt. Die Bundesländer warten seitdem auf das Geld. Wo bleiben die Wanka-Millionen, fragen Schulminister spöttisch, und ob es nicht mittlerweile Karliczek-Millionen heißen müsste.
Ärger mit früherer Staatssekretärin
Dass der Digitalpakt so lange auf sich warten lässt, hängt auch mit dem Ministerium selbst zusammen. Dort traf Karliczek im Frühjahr auf die beamtete Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen, zugleich Amtschefin und somit de facto Hausherrin. Quennet-Thielen war bereits von Annette Schavan (CDU), Karliczeks Vorvorgängerin, geholt worden. Zwischen der neuen Ministerin und der Staatssekretärin mit einer Dekade Erfahrung habe es schlicht nicht funktioniert, ist aus dem Ministerium zu hören.
Im Juli versetzte Karliczek ihre Staatssekretärin schließlich in den Ruhestand. Danach vergingen drei Monate, bis der neue Staatssekretär Christian Luft seine Arbeit aufnahm. Er war zuvor für die Themen Bildung und Forschung im Kanzleramt zuständig gewesen, habe einen „frischen Wind und neuen Ton in die Verhandlungen“ über den Digitalpakt gebracht, berichten Abgeordnete und Landesminister.
SPD-Chefin stänkert: "Warten sehnlichst" auf Gesetzesentwürfe aus dem Ministerium
Doch die Digitalisierung der Schulen ist längst nicht das einzige Großprojekt, das Karliczek bewältigen muss. Die SPD erinnert die Ministerin mit fast schon diebischer Freude daran: „Frau Karliczek, zögern Sie bitte nicht, uns ihre Gesetzesentwürfe zuzuleiten“, sagte SPD-Chefin Andrea Nahles vor einigen Wochen in einer Bundestagsrede. „Wir warten sehnlichst. In die Hufe, bitte.“ Karliczek schüttelte den Kopf und beklagte sich bei ihrem Sitznachbarn.
Bis zum nächsten Sommer soll sie das Berufsbildungsgesetz novellieren. Schon jetzt bringt sie SPD und Gewerkschaften gegen sich auf. Künftig sollen alle Auszubildenden im Land eine Mindestausbildungsvergütung erhalten, eine Art Mindestlohn für Azubis. Karliczek stellt sich 504 Euro pro Monat im ersten Jahr vor.
Die SPD ist sauer auf die Ministerin, der Vorschlag sei nicht abgestimmt gewesen. Yasmin Fahimi, Sprecherin der SPD-Fraktion für berufliche Bildung, fordert Nachbesserungen. „Ich bin mir nicht sicher, ob Frau Karliczek die politische Dimension dieser Novelle schon wirklich erfasst hat“, sagt Fahimi. Die SPD will eine deutlich höhere Ausbildungsvergütung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte 635 Euro für das erste Jahr.
"Frage mich manchmal, ob sie überhaupt unsere Expertise möchte"
Selbst die Wirtschaft ist unzufrieden mit der Ministerin. Im Oktober taten sich Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften zusammen, um gegen Karliczek zu rebellieren. Streitpunkt: der Nationale Bildungsrat, der künftig für gleiche Standards in der deutschen Bildungspolitik sorgen soll. „Wir halten es aufgrund der großen Bedeutung der beruflichen Bildung (...) für zwingend, dass die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Gewerkschaften im Nationalen Bildungsrat gleichermaßen vertreten sein werden“, heißt es in einem Beschwerdebrief an die Ministerin.
Unterschrieben haben ihn Arbeitgeber-Vizepräsident Gerhard Braun, DIHK-Chef Martin Wansleben, Handwerks-Generalsekretär Holger Schwannecke und DGB-Vize Elke Hannack. Karliczek hingegen will Experten in den Rat berufen, die nicht zwangsläufig von Verbänden und Gewerkschaften kommen. „Wir suchen den regelmäßigen Austausch mit der Ministerin. Es kommt aber wenig von ihr zurück“, sagt ein Verbandsvertreter. Er hatte schon mit vielen Ministern zu tun, erzählt er. „Bei Karliczek frage ich mich manchmal, ob sie überhaupt unsere Expertise möchte.“
Um den Nationalen Bildungsrat ist es seitdem ruhig geworden. In den Bundesländern hoffen einige bereits, dass er gar nicht erst kommt. Der Digitalpakt sollte ursprünglich zum 1. Januar 2019 in Kraft treten, damit die Schulen schon wenige Wochen später loslegen können. Daraus wird wohl nichts, glaubt Helmut Holter, der thüringische Kultusminister (Linke) und derzeitige Präsident der Kultusministerkonferenz. „Ich gehe davon aus, dass das Geld erst zum neuen Schuljahr fließen wird“, sagt er. Vielleicht mischt sich Ministerin Karliczek ja doch noch ein.
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