Politik ohne Ideologien und Parteienklüngel - mit diesem Versprechen war Jair Messias Bolsonaro bei Brasiliens Präsidentenwahl angetreten. Das Ergebnis ist ein Kabinett unterschiedlichster Couleur. Sieben "waschechte" Politiker sitzen am Kabinettstisch, zudem sieben Militärs und acht "Technokraten". Auch die verschiedenen Weltanschauungen wird man kaum unter einen Hut bekommen.
Liberale Chicago-Boys gegen nationalistische Militärs
Der offensichtlichste Graben verläuft zwischen den "Chicago-Boys" und den Militärs, zu denen auch Bolsonaro und sein Vize, General Hamilton Mourão, zählen. Die liberalen Ökonomen um den Finanz-Guru und Superminister Paulo Guedes wollen den Staat auf ein Minimum herunterstutzen und so vor dem Finanzkollaps retten. Findet Brasilien nicht rasch zurück auf den Wachstumsweg, droht die Regierung zu scheitern.
Guedes will bei Subventionen für Unternehmer sowie den hohen Renten im öffentlichen Dienst kürzen, Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Damit liegt er auf Konfliktkurs mit den Militärs, die strategische Sektoren wie die Ölförderung und die Stromversorgung nicht in ausländischer Hand sehen wollen. "Im Bereich der Wirtschaftspolitik gibt es große Differenzen", so der Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Allerdings wissen auch die Militärs, dass die Chicago-Boys unheimlich wichtig waren, um die Wahlen zu gewinnen. Denn dadurch haben Banken und Investoren die Bolsonaro-Kandidatur unterstützt."
Der Politikwissenschaftler Sérgio Praça von der Fundação Getúlio Vargas sieht auch Sprengstoff bei der drängenden Rentenreform, ohne die der Staatshaushalt kippt. "Es scheint mir unwahrscheinlich, dass die Militärs bei der Rentenreform Federn lassen. Da wird Paulo Guedes wohl Zugeständnisse machen müssen." Laut Expertenberechnungen erhalten pensionierte Militärs bis zu 16 mal mehr an Rente als sie einzahlen. Hier würde Paulo Guedes gerne ansetzen.
Freihändler versus Globalisierungs-Gegner
Eine weitere Sollbruchstelle liegt zwischen Guedes Wirtschaftstruppe und den "Anti-Globalisten". Außenminister Ernesto Araújo plädiert für eine "christliche Allianz" mit den USA und Russland gegen die "marxistisch-kommunistische Weltverschwörung", zu der in ihren Augen China und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen zählen. Auch Bolsonaro selber gehört diesem Lager an, das in dem Journalisten Olavo de Carvalho seinen Guru hat, einem biederem Tropenverschnitt des ultra-rechten "Alt-Right"-Vordenkers Steve Bannon, der US-Präsident Donald Trump beraten hat.
Besonders der kritische Diskurs gegen China sei ein Problem für die Ökonomen, so Stuenkel, schließlich ist der Handel mit China wichtig fürs Wachstum. Rund ein Viertel aller Exporte Brasiliens gehen dorthin, beim Bergbaugiganten Vale sind es sogar ein Drittel. Auch die angekündigte Verlegung der brasilianischen Botschaft nach Jerusalem, die arabische Länder erzürnt, sehen die Ökonomen kritisch.
Doch der Anti-Globalismus trifft auch Guedes Privatisierungspläne. Staatsbetriebe dem internationalen Finanzmarkt anzubieten - das hat in Brasilien wenig Freunde. "Die Militärs wissen, dass die Bevölkerung generell nicht pro-Globalisierung ist. Auch Bolsonaro ist im Herzen ein Anti-Globalist, er glaubt, dass es wichtig ist, dass der Staat die wichtigen Sektoren kontrolliert, wie den staatlichen Ölförderer Petrobras", so Stuenkel. "Deswegen glaube ich, dass die Militärs sich weitgehend durchsetzen werden. Sie bilden für mich das entscheidende Machtzentrum innerhalb der Regierung."
Ein Kollateralschaden des Anti-Multilateralismus ist Brasiliens Abschied aus der Klimapolitik, der einzige Bereich, in dem man bisher global führen konnte. Allerdings ist trotz Bolsonaros Absage, 2019 die Klimakonferenz COP25 in Brasilien auszutragen, wohl noch nicht alles verloren. "Noch ist nicht klar, ob Brasilien die desaströse Entscheidung der Trump-Regierung kopiert und aus dem Pariser Klimavertrag aussteigt. Ich hoffe nicht, denn ich mag mir nicht vorstellen, was die internationale Reaktion darauf wäre", so der Umweltjournalist André Trigueiro im Gespräch mit der DW. "Aber ich möchte daran erinnern, dass es in den USA eine Differenz gibt zwischen dem, was Trump angekündigt hat, und dem, was er durchsetzen kann."
Allianz mit Trump - Chance oder Gefahr?
Fraglich bleibt, was Brasilien von einer Allianz mit den USA erwarten darf. Donald Trumps "America first"-Doktrin wird zusätzliche Exporte aus Brasilien blockieren. Zudem sind die USA und Brasilien bei bestimmten Handelswaren Konkurrenten, und der Handelskrieg zwischen den USA und China könnte Brasilien hart treffen. Sollten die Chinesen demnächst mehr Waren in den USA einkaufen, verliert Brasilien.
"Die Pro-Trump-Gruppierung möchte den USA nahestehen, hat aber keine genaue Vorstellung, was genau man von dieser starken Partnerschaft haben möchte. Es geht wohl hauptsächlich darum, nach innen zu projizieren, dass diese Regierung der Trump-Regierung sehr ähnlich ist", urteilt Stuenkel. "Denn viele Bolsonaro-Wähler sind überzeugt, dass Trump in den USA gute Arbeit leistet."
Freie Bahn für die Evangelikalen
Am leichtesten dürfte es Bolsonaro mit der Agenda des "Kulturkampfs" haben, mit dem er links-progressives Denken zurückdrängen und eine konservative, religiös geprägte Agenda voranbringen will. Hinter seiner "Kulturagenda" stehen potente evangelikale Prediger wie Edir Macedo und Silas Malafaia, die den ihrer Ansicht nach zu großen Einfluss von "Minderheiten" wie die LGTB-Gruppen ablehnen. Die Unterstützung der Evangelikalen gab bei der Wahl den Ausschlag. Nun haben sie das strategisch wichtige Familienministerium inne.
"Im Bereich der Kulturkriege und des klassischen konservativen Denkens im sozialen Bereich werden wir große Veränderungen sehen, hauptsächlich deshalb, weil es keine Gruppierung innerhalb der Regierung gibt, die versucht, eine moderatere Strategie durchzusetzen", glaubt der Politologe Stuenkel. "Den Ökonomen oder Militärs ist es jedenfalls egal, was die Regierung im Bereich der Minderheiten macht."
Abschaffung von Quoten für den Universitäts-Zugang, weniger Sozialstaat und mehr Kontrolle der Lehrer und Professoren, die unter dem Verdacht stehen, "linke Kommunisten" zu sein; gemeinsam mit einer "Stärkung von Familienwerten" sind dies Politikfelder, die den Bolsonaro-Wählern am Herzen liegen - und die deshalb bespielt werden müssen. "Besonders wenn das Wirtschaftswachstum nicht schnell anspringt und es ein oder zwei Korruptionsskandale geben wird", so Stuenkel. "Bolsonaro weiß, dass es deshalb wichtig ist, an die konservativen Werte zu appellieren."
Regieren ohne Parteien - geht das gut?
Kern seiner Wahlversprechen war, die Parteien aus der Regierung zu halten. Denn sie waren für die Korruptionsskandale hauptverantwortlich. "Das wird nicht nur scheitern, sondern ich bezweifle, dass das überhaupt versucht wird", so Politologe Praça. "Klar gibt es den Wunsch, anders zu regieren als bisher. Zudem ist das eine Art, den Parteichefs klarzumachen, dass die neue Regierung nicht alles mitmachen wird, was früher gelaufen ist."
Doch in der Realität wird es wohl weiterlaufen wie bisher. "Zu sagen, dass das Geben und Nehmen ein Ende hat, ist bloße Rhetorik", so Praça. "Man kann nicht regieren, ohne Konzessionen an die Parteien zu machen. Vielleicht könnte man es über ein oder zwei Monate durchhalten, aber als Regierungsstrategie funktioniert das nicht", so das Fazit. "Der Lernprozess wird rasch erfolgen."
Autor: Thomas Milz
*Der Beitrag "Sollbruchstellen in der neuen brasilianischen Regierung" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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