SPD im Umfragetief, Rot-Rot-Grün im Stimmungstief: Mit ungewöhnlich scharfen Attacken hat Berlins Regierungs- und SPD- Chef Michael Müller seine Koalitionspartner vor den Kopf gestoßen. Auf einem Parteitag der Hauptstadt-SPD warf er Linke und Grünen am Samstag vor, ein Polizeigesetz mit mehr Videoüberwachung und den Ausbau der U-Bahn nun schon seit Monaten zu blockieren. Das werde Konsequenzen haben.
"So geht es nicht mehr weiter", sagte Müller. Linke und Grüne reagierten mit Kopfschütteln und Spott auf die Attacke.
"Seit Monaten geht es nicht voran, wird es blockiert", sagte Müller mit Blick auf das geplante neue Polizeigesetz in einer phasenweise wütenden Rede. "Ich habe jetzt im Senat ein Revanchefoul gemacht. Ich habe im Senat zwei Sachen der Grünen und der Linken blockiert. Es wird solange nicht beschlossen, bis wir zu einer vernünftigen Einigung bei Inneres und Sicherheit kommen."
"Wir brauchen einen echten Mobilitätsausbau"
Er wolle nicht auf Schritt und Tritt überwacht werden, sagte Müller. Aber wenn die Berliner sagten, es gebe 10 oder 15 Plätze, an denen sie Angst hätten, dann könnten einige Kameras dort helfen, Straftaten zu vermeiden. "Wenn eigentlich alle Leute mit gesundem Menschenverstand sagen: "dann macht's doch als Politik, macht's doch als Koalition, werdet doch als SPD sichtbar mit solchen Dingen", dann sage ich, richtig" so Müller. "Das muss auch unser Weg sein, dann müssen wir den Konflikt auch in der Koalition führen."
Müller, dem vor den Parteitagsdelegierten förmlich der Kragen platzte, sprach auch die Verkehrspolitik an. "Wir brauchen einen echten Mobilitätsausbau", sagte Müller. "Und es ist mit gesundem Menschenverstand überhaupt nicht zu erklären, dass Linke und Grüne einen U-Bahn-Ausbau blockieren, wo es nur um drei oder vier Stationen geht." Er könne nicht verstehen, dass dies aus ideologischen Gründen nicht möglich sei in einer Koalition.
Grünen-Fraktionschefin mahnte Müller und die SPD, zur Sachpolitik zurückzukehren
Linke und Grüne reagierten mit Kopfschütteln auf Müllers auf dem Parteitag bejubelte Attacke. "Hat euch jemand was in den Kaffee getan @spdberlin?", fragte Linke-Parteichefin Katina Schubert via Twitter. "Gestaltende soziale und ökologische Stadtpolitik durch Blockade? Glaubt ihr ernsthaft, damit irgendwas zu gewinnen?"
Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel mahnte Müller und die SPD, zur Sachpolitik zurückzukehren. "Die Leute wollen keine Kopplungsgeschäfte und Revanchefouls, das sagt mir mein gesunder Menschenverstand", sagte Gebel. "Sachpolitik ist in der Koalition jederzeit möglich, wir Grünen stehen dafür."
Auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh knüpfte sich die Koalitionspartner vor
Vize-Regierungschef und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) twitterte, die SPD habe ein "erstaunliches Bild von sich selbst". "Die SPD Berlin kann sich gar nicht vorstellen, dass jemand mal in irgendeiner Frage anderer Ansicht ist als sie. Also jedenfalls niemand mit Verstand." Müllers Auftritt erinnere "an einen Autofahrer, der durch lautes Hupen und sich quer auf die Fahrbahn stellen den Stau "wegmachen" will".
Auch Fraktionschef Raed Saleh knüpfte sich die Koalitionspartner vor. Beim dringend nötigen Wohnungsbau sei die zuständige Senatorin Katrin Lompscher (Linke) "bemüht", sagte er. "Aber da ist noch Luft nach oben." Und: Permanent streiten auf offener Bühne die Linken und Grünen über das Thema Obdachlosigkeit." Nun müsse endlich alles getan werden, "dass wir die Obdachlosigkeit von der Straße bekommen". Der Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft sei derzeit "beschämend".
Zwischen SPD, Linke und Grünen gibt es im Senat immer wieder Streit und Fingerhakeln
Hintergrund der SPD-Attacken ist das anhaltende Umfragetief. Zuletzt lagen die Sozialdemokraten in den Erhebungen bei 15 bis 17 Prozent und damit hinter ihren Regierungspartnern Linke und Grüne. Sie sind deshalb bemüht, mehr eigenes Profil herauszustellen. "Die Umfragen sind scheiße, ist doch keine Frage", sagte Müller dazu. Die SPD habe Konzepte, sie müssten nur wirksam und sichtbar werden.
Zwischen SPD, Linke und Grünen gibt es im Senat seit längerem immer wieder Streit und Fingerhakeln. Folge: Die Partner, die sich 2016 eigentlich Zusammenarbeit auf Augenhöhe geschworen hatten, werfen sich bei wichtigen Projekten gegenseitig Steine in den Weg.
Probleme gibt es beim Flächennutzungsplan für ein Areal am Westkreuz
Aktuell liegt dort neben dem SPD-Projekt Polizeigesetz eine von den Grünen forcierte Bundesratsinitiative mit dem Ziel auf Eis, Schwarzfahren in Bus und Bahn von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Dem Vernehmen nach könnte sich auch der neue Stadtentwicklungsplan - für den Lompscher verantwortlich zeichnet - verzögern.
Die grüne Seite wiederum blockiere den Wunsch von Innensenator Andreas Geisel (SPD), die Special Olympics nach Berlin zu holen, heißt es. Probleme gibt es überdies beim Flächennutzungsplan für ein Areal am Westkreuz und der Frage, ob dort nur ein Park oder auch Wohnungen entstehen sollen.
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