Svenja Schulze, 50, genießt diesen Moment der Attacke. Die Bundesumweltministerin trägt ihre Rede bis dahin ohne große Emotionen vor, hält sich genau an ihr Skript. Die SPD-Politikerin spricht über Milliardenzahlungen aus Brüssel an deutsche Landwirte. Wofür sollen die Subventionen künftig verwendet werden? „Weiter in Richtung Intensivierung, Höfesterben, Weltmarkt – oder erhalten die Landwirtinnen und Landwirte, die nachhaltig wirtschaften, Anreize und Unterstützung?“
Diese rhetorische Frage ist an Julia Klöckner, 46, gerichtet. Als Schulze auf die Landwirtschaftsministerin zu sprechen kommt, lächelt sie für einen kurzen Augenblick – lang genug, um zu signalisieren, wie viel Freude ihr die folgenden Sekunden bereiten. „Ich habe meine Kollegin Julia Klöckner mehrfach gebeten, hier klar Flagge zu zeigen“, sagt Schulze. Aber deren Haus sei sich nicht über die Umweltaspekte der zukünftigen gemeinsamen Agrarpolitik der EU im Klaren. Anders formuliert: Weder verstehe noch mache die CDU-Ministerin Klöckner ihren Job. Einen härteren Vorwurf gibt es zwischen Kabinettskolleginnen nicht.
Der Zeitpunkt für die Attacke ist wohlüberlegt. Schulze hält ihre Rede zwei Tage bevor die Internationale Grüne Woche Mitte Januar in Berlin beginnt. Die Messe ist für eine Landwirtschaftsministerin traditionell die wichtigste Veranstaltung im Jahr. Tagelang zieht sie von Stand zu Stand, trifft Agrarminister aus aller Welt sowie nationale und internationale Produzenten und Landwirte. Zumindest ein bisschen wollte Schulze die Klöckner-Festspiele stören.
Duell zwischen Schulze und Klöckner
Schulze gegen Klöckner, die Ministerin für Umwelt gegen die für Landwirtschaft, SPD gegen CDU. Es ist auch ein Duell der unterschiedlichen Charaktere. Hier die linke und eher unscheinbare Schulze, die in der Energiepolitik eine bemerkenswerte Kehrtwende hinlegte und erst seit Neuestem den Neubau von Kohlekraftwerken ablehnt. Auf der anderen Seite die konservative und eloquente Klöckner, über die nach der 2016 verlorenen Landtagswahl in Rheinland-Pfalz gelästert wurde, sie habe „zu viel Paris, zu wenig Pirmasens“ verkörpert.
Doch beiden geht es ständig um die Frage: Wie viel Umweltschutz darf es sein? Wo gehen die Interessen der Landwirte vor? „Das Landwirtschaftsministerium begreift sich leider als verlängerter Arm des Bauernverbands“, sagt Carsten Träger, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Albert Stegemann, der agrarpolitische Unionssprecher, hält dagegen: „Ohne die EU-Agrarsubventionen müssten Landwirte auf 50 bis 70 Prozent ihrer Gewinne verzichten. Das würde viele Betriebe in ihrer Existenz bedrohen.“
Mehrere Streitpunkte
Jüngster Konflikt: Klöckners nationale Strategie, weniger Lebensmittel zu verschwenden. In Deutschland entstehen laut Klöckner rund elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle pro Jahr. Bis zum Jahr 2030 soll die Menge halbiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will Klöckner nun vor allem aufklären und das Bewusstsein der Deutschen für das Thema schärfen. „Schauen, riechen, schmecken und noch mal testen“, empfiehlt die Ministerin. Ein abgelaufener Joghurt muss ja noch lange nicht schlecht sein.
Der SPD reicht das nicht. Oder gönnt sie Klöckner den Erfolg nicht? Bislang gibt es nur Schätzungen, wie viele Lebensmittel weggeschmissen werden. Eine Studie soll klären, wie groß das Problem tatsächlich ist, besonders im Handel. Freiwillige Maßnahmen dürften letztlich kaum ausreichen, meint SPD-Umweltpolitiker Träger. „Wir sollten darüber nachdenken, die Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, weniger Lebensmittel wegzuschmeißen.“ So wie in Frankreich.
Auch beim Artenschutz finden die Ministerinnen nicht zusammen. Schulze hatte kürzlich ein Insektenschutzgesetz angekündigt, nachdem in Bayern das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ ein großer Erfolg war. Mehr als 1,7 Millionen Menschen im Freistaat sprechen sich dafür aus, dass Pestizide reduziert, Ökobauern besonders gefördert werden sollen. Es ist das erfolgreichste Volksbegehren, das es je in Bayern gab. Schulze will sich an die Bienen-Bewegung dranhängen, muss ihre Pläne aber mit Klöckner abstimmen. Es herrscht Ungemach im Bienenstock.
Flasbarth befeuert den Ministerstreit
Eine Emnid-Umfrage zeigt, dass es große Unterstützung gibt. Demnach sind 80 Prozent der befragten Bürger dafür, dass in Deutschland bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen ökologisch bewirtschaftet werden sollen.
Doch in der Unionsfraktion sind viele sauer auf Schulze, von einem Insektenschutzgesetz sei bislang nie die Rede gewesen. „Pflanzen- und Artenschutz sind den Landwirten genauso wichtig wie den Umweltschützern“, sagt CDU-Politiker Stegemann. „Manchmal baut die Umweltseite ein Feindbild auf, die Agrarpolitiker wollten wissentlich die Umwelt mit schädlichen Stoffen verpesten.“ Das hält Stegemann für „Unfug“.
Vor allem Schulzes Staatssekretär Jochen Flasbarth wird im Klöckner-Lager als großes Problem ausgemacht. Flasbarth, der den Grünen nahesteht und vom einstigen Bundesumweltminister Jürgen Trittin protegiert wurde, gehe es mit Vorstößen und Querschlägen immer um eine neue Eskalation.
„Professionelles Nichtverhältnis“
Zu Beginn der Legislaturperiode hatten sich Klöckner und Schulze mittwochs nach den Kabinettssitzungen zusammengesetzt, um miteinander zu sprechen und Probleme zu lösen. Nettes Ritual, nun aber Geschichte. Mittlerweile pflegten die beiden ein „professionelles Nichtverhältnis“. Mittwoch vergangene Woche stellte sich Julia Klöckner eine Stunde lang den Fragen der Abgeordneten zu ihrer Strategie gegen Lebensmittelverschwendung. Svenja Schulze war nicht anwesend.
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