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Saturday, March 30, 2019

Verschiedene Modelle - Deutsche Unternehmen lassen Mitarbeiter selbst über Gehalt entscheiden

Verschiedene Modelle: Deutsche Unternehmen lassen Mitarbeiter selbst über Gehalt entscheiden
Das sagt dein Chef vielleicht demnächst zu dir. Diese deutschen Unternehmen denken das Thema Gehalt neu – und lassen die Mitarbeiter mitentscheiden.

Gehaltsverhandlungen sind zäh und werden nicht selten mit harten Bandagen geführt. Nicht umsonst heißt das Ganze bei den Gewerkschaften auch »Arbeitskampf«, und wenn Piloten, Lokführer oder Klinikpersonal streiken, dann ziehen sie zusätzlich zum Unverständnis des Arbeitgebers meist auch noch den Zorn des ganzen Landes auf sich.

Dabei ist ein als fair empfundenes Gehalt wichtig – für alle. Denn eine unfaire Bezahlung kann Arbeitnehmer auf Dauer sogar krank machen, belegt eine Studie. Und Arbeitgeber verlieren schneller wertvolle Mitarbeiter, denn unfaire Bezahlung steht ganz oben auf der Liste potenzieller Kündigungsgründe.

Gibt es also einen Weg, den Konflikt rund ums Gehalt friedlich zu lösen, ganz ohne Gebrüll, Zurückweisungen, Scham und Verletzungen?

Ja, gibt es, sagt Eugen Friesen. Er arbeitet bei der Kommunikationsagentur Wigwam in Berlin-Wedding, zusammen mit 19 Kollegen und Kolleginnen. Seit dem Jahr 2016 wird hier ein »Wunschgehalt« gezahlt, das alle gemeinsam beschlossen haben.

Das ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Gehalt heute ganz neu zu denken.

Auch »Wünsch dir was« ist kein Ponyhof

Wigwam macht Kommunikation, aber nach eigenen Angaben nur für »das Gute«. Was das ist, bestimmen die Mitarbeiter untereinander von Fall zu Fall – vom Flüchtlingshilfswerk der UNO über Wahlkämpfe der Grünen bis hin zu Projekten für das Rote Kreuz.

Damit, auch den Verdienst von Fall zu Fall zu bestimmen, fühlte sich das Team aber nicht wohl, weil es dann zu sehr auf die Verhandlungsstärke jedes Einzelnen angekommen wäre. Früh entschloss sich die genossenschaftlich geführte Firma deshalb,[*] beim Gehalt etwas grundsätzlich anders zu machen. Das führte zu langen Debatten – die auch für die Mitarbeiter sehr lehrreich waren, erinnert sich Eugen Friesen. Das Ergebnis: ein Wunschgehaltsmodell. Jeder Mitarbeiter überlegt sich, was er oder sie am Ende des Monats auf dem Konto haben möchte und schreibt es in eine Tabelle. Alle können sehen, wie sich die anderen einschätzen und sich auch daran orientieren. Rechtfertigen muss sich aber niemand für seinen Wunsch. Das hat die Wigwam-Belegschaft ganz bewusst so festgelegt. Nach der ersten Wunschrunde gab es dann eine Überraschung.

»Wir haben festgestellt, dass wir nur 20% über dem Betrag lagen, den wir in unserem Gehaltstopf hatten«, sagt Eugen Friesen. Also entschieden alle, dass jeder erst mal 80% seines Wunschgehaltes bekommt. Und wenn mehr Geld in den Wigwam gespült wird, rückt auch jeder Mitarbeiter ein paar Prozent näher an seine gewünschte Summe heran. Bisher ist noch keiner angekommen. So wird aus dem Wunschgehalt ein Zukunftsgehalt.

Denn Wigwam hat wie viele Unternehmen mit klaren moralischen Vorstellungen schmale Budgets. Die Gefahr einer Selbstausbeutung für die gute Sache ist dem Team dabei klar. Deshalb war Eugen Friesen und seinen Mitarbeitern auch eine Gehaltsuntergrenze wichtig: »Das waren 2.700 Euro brutto für eine Vollzeitstelle, weniger sollte niemand bekommen.«

Immer wieder wägt Wigwam in Teambesprechungen ab, ob sich die Mitarbeiter mit dem Verdienst gerecht bezahlt fühlen und ob das Geld für ein gutes Leben reicht. Ein Ergebnis dabei: Einfach Werbung für Großkonzerne machen wie alle anderen wollen sie nicht – auch wenn das Wunschgehalt dann noch etwas weiter weg ist.

Eugen Friesen sieht das so: »Es spielt auch viel Selbstreflexion mit rein. Man stellt fest, dass es eben nicht nur um Geld geht. Es ist ein entscheidender, wichtiger Faktor für die Zufriedenheit, aber es gibt auch andere Dinge, die hinzukommen, wie die eigenen Aufgaben und der Wertekontext.«

Gehör zu finden, Reflexion und Mitgestaltung gehören also zum Wunschgehalt dazu. Sind diese Faktoren am Ende vielleicht sogar wichtiger als das, was wirklich auf dem Gehaltszettel steht? Untersuchungen belegen jedenfalls, dass die Sinnhaftigkeit der Arbeit eine extrem wichtige Rolle bei der Zufriedenheit im Job und der Gesundheit spielt.

Mancher wird jetzt einwenden: Klar, bei einer jungen, hippen Agentur geht das vielleicht »sinnhaft«, aber funktionieren alternative Gehaltsmodelle auch bei größeren Unternehmen in anderen Branchen? Ja tun sie, das zeigt sich im schwäbischen Leutkirch.

Der Bauchladen der Möglichkeiten

In Leutkirch stellt die Firma elobau Sensortechnik her und beschäftigt mehr als 700 Mitarbeiter. Ein klassischer deutscher Mittelständler, der aus der Provinz Technik in alle Welt liefert und vor einigen Jahren vor einem Problem stand: Eine interne Umfrage brachte zutage, dass sich 65% der Mitarbeiter in der Produktion mit dem alten Akkordlohn ungerecht bezahlt fühlten. 18 Monate tüftelten 56 Mitarbeiter an einem neuen Modell. Heute gibt es ein Basisgehalt, das für alle gleich ist; wer besonders pünktlich ist, kann einen Bonus bekommen. Zudem gibt es eine Erfolgsbeteiligung für alle, wenn es der Firma gut geht. 96% der Mitarbeiter sind seitdem zufrieden.

Und die Deutsche Bahn ist in diesem Bereich ausnahmsweise mal nicht mit Verspätung unterwegs, sondern manch anderen sogar eine Loklänge voraus. Nach neueren Tarifabschlüssen gibt es hier schon seit dem Jahr 2016 etwas mehr Selbstbestimmung für die Angestellten. Hier können sich Mitarbeiter zwischen mehr Geld, mehr Urlaub oder weniger Wochenarbeitszeit entscheiden. Der Grundstein für dieses Modell wurde in Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften gelegt. Über die Hälfte der Mitarbeiter wählte für das Jahr 2018 übrigens die Option von 6 Tagen mehr Urlaub aus.

Das zeigt: Alternative Entlohnungsmodelle funktionieren auch für größere Unternehmen und sind bereits weiter verbreitet, als mancher denkt. Und die Möglichkeiten sind im Prinzip unbegrenzt. Dennoch gibt es einige Varianten, denen man immer wieder begegnet, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Wunschgehalt oder Zukunftsgehalt: Das Modell von Wigwam. Jeder Mitarbeiter legt für sich ein Wunschgehalt fest, auch wenn es zum gegebenen Zeitpunkt vielleicht unrealistisch ist. Das Gehalt kann dann mit wachsendem Firmenerfolg nach oben angepasst werden – etwa als prozentuale Steigerung, die an den Unternehmensgewinn gebunden ist. Vorteil für das Unternehmen: Jeder hat dann ein konkretes Interesse am Erfolg der Firma. Transparenz ist wichtig in diesem Prozess, so wissen Mitarbeiter auch, welche Lohnansprüche realistisch sind. In jungen und kleinen Unternehmen kann der Mitarbeiter gemeinsam mit der Firma wachsen. Der Erfolgsbonus ist also gleich mitgedacht. Der Nachteil: Das Gehalt lässt sich meist nur Stück für Stück realisieren. Dauert es zu lange, bis das Wunschgehalt wahr wird, könnte der Ansatz auch nach hinten losgehen.
  • Selbst gewähltes Gehalt: Dieses Modell ist eine Schwester des Wunschgehalts. Einige Unternehmen geben ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ihr Gehalt selbst festzulegen. In der Praxis ist dies eine Einschätzung eines jeden in seinem Bildungs- und Erfahrungskontext. Wichtig ist hierfür klare Transparenz aller Gehälter. Denn irgendwie muss der Arbeitnehmer ja wissen, was im Unternehmen üblich ist und was die Kollegen verdienen. Außerdem hilft es, wenn alle wissen, wie das Unternehmen finanziell aufgestellt ist. Am Ende möchte kein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber in den Ruin treiben. Manche Firmen setzen hier auf Gespräche der Mitarbeiter untereinander. Das soll bei der Einordnung helfen. Das selbst gewählte Gehalt zielt aber im Gegensatz zum Wunsch- oder Zukunftsgehalt darauf ab, dass es von Anfang an ohne Abstriche gezahlt werden kann. In Verbindung mit maximaler Transparenz birgt es, wie auch das Wunschgehalt, eine effektive Möglichkeit, ein Gender-Pay-Gap in einer Firma zu verhindern.
  • Gehaltsformel- oder Baukastenmodell: Das Unternehmen legt ein Basisgehalt fest sowie Kriterien, die es bestimmen und eventuell erweitern. Üblich sind dabei Ausbildung, Berufserfahrung, Arbeitsleistung, aber auch Pünktlichkeit oder Umweltbewusstsein. Welche Kriterien maßgeblich sind, entscheiden die Unternehmen mit ihrer Belegschaft gemeinsam. Die Vorteile: Ein Mitarbeiter kann klar nachvollziehen, welches persönliche Verhalten sich wie auf das Gehalt auswirkt. Es gibt klare Regeln, die man befolgen kann, was sich dann wiederum direkt auf den Lohn auswirkt. Bei Arbeitnehmern mit Kindern ist allen klar, warum sie mehr Geld benötigen als jemand, der alleinstehend ist. Die Nachteile: Das Modell setzt eine gewisse Solidarität voraus. Wenn jemand mehr Leistungen erhält, weil er oder sie beispielsweise einen Familienangehörigen pflegt oder aber Kinder hat, muss der Rest der Belegschaft das mittragen. Ein solcher Baukasten benötigt außerdem viel Arbeit bei der Erstellung und der Pflege. Bei elobau dauerte der Prozess hin zu einem baukastenartigen Gehaltsmodell 18 Monate.
  • Einheitsgehalt: Jeder verdient exakt das Gleiche. Das setzt voraus, dass die Hierarchien sehr flach sind und jeder diese Art der Bezahlung als gerecht empfindet. In manchen Varianten ist der Firmeninhaber davon ausgenommen. Auch das kann eine Belegschaft als fair empfinden, wenn man sich einig ist, dass der Unternehmer mehr Verantwortung trägt und deswegen auch mehr verdienen sollte. Allerdings kann ein solches Einheitsgehalt allein nicht flexibel auf spezialisierte Arbeitsbereiche oder schwankende Wochenstundenzahlen eingehen.
  • Wahlmodell: Das Modell der Deutschen Bahn (DB) wird im Tarifvertrag als Wahlmodell bezeichnet. Mitarbeiter haben die Möglichkeit, statt einer Gehaltserhöhung mehr Urlaub oder eine geringere Wochenarbeitszeit zu wählen. Auf diese (hier im Tarifabschluss) festgelegten Verbesserungen hat jeder gleichermaßen Anspruch und kann sich in festgelegten Abständen neu entscheiden. Das eigentliche Basisgehalt ist im Fall der DB aber so wie im jeweiligen Arbeitsvertrag vereinbart. Es ist also kein komplettes Modell, sondern eine Überlegung, wie der Tarifabschluss individueller nach den Bedürfnissen des Einzelnen umgesetzt werden kann. Die Zeiten, in denen ein Tarifvertrag auf alle Arbeitnehmer gepasst hat und diese damit zufrieden waren, sind auch nach Ansicht vieler Gewerkschaften vorbei. Eine ähnliche Regelung gibt es auch im Tarifabschluss der IG Metall.

Die Modelle tauchen selten in Reinform auf. Versatzstücke des einen mischen sich mit denen von anderen Varianten, manche gehen fließend ineinander über, wie selbst gewähltes Gehalt und Wunschgehalt. Welches Modell für welchen Betrieb passt, kann jedes Unternehmen dabei nur selbst entscheiden. Manchmal können auch Komponenten unterschiedlicher Modelle sinnvoll sein, oder ganz neue, kreative Wege und Möglichkeiten werden entdeckt.

Gut, dass es Experten gibt, die Unternehmen dabei auf die Sprünge helfen können.

Der Weg zum Glück ist entscheidend

Nadine Nobile begleitet Firmen bei Veränderungsprozessen und veröffentlicht im Juni 2019, gemeinsam mit zwei Co-Autoren, ein Buch zum Thema »New Pay«,[*] also zu alternativen Vergütungsmodellen.

»Es gibt nicht die perfekte Lösung oder die gerechte Lösung«, sagt sie. »Es gibt nur ein Höchstmaß an gefühlter Fairness, das ein Vergütungsmodell erreichen kann. Die Frage nach Gerechtigkeit ist eine philosophische Frage, die jeder Mensch und jede Organisation sich anders beantworten wird.«

Um diese Antwort zu erhalten, ist es wichtig, viel miteinander zu sprechen. Es braucht Klarheit darüber, was jeder Einzelne unter Fairness versteht, welche Bedürfnisse jeder Mitarbeiter hat. Eine Beteiligung am Prozess ist zentral, damit sich möglichst jeder im Ergebnis wiederfindet. Wichtiger als das tatsächliche Gehalt ist dabei laut Nadine Nobile der Prozess, mit dem man dort hinkommt.

»Wenn es ums Gehalt geht, dann wird es persönlich. Dann geht es um die Werte und dann musst du dich damit auseinandersetzen: Warum glaube ich, dass jetzt beispielsweise mein Master oder mein Diplom mehr wert ist als die Ausbildung eines anderen?«

Die Antwort, die am Ende steht, ist nicht in Stein gemeißelt. Unternehmen, die es wirklich ernst mit alternativen Gehaltsmodellen meinen, werden ihre Ergebnisse immer wieder auf den Prüfstand stellen, sagt die Unternehmensbegleiterin, wie sich Nadine Nobile selbst bezeichnet.

Dass dieser ständige Dialog um Fairness auch sehr anstrengend sein kann, ist klar. Wie viel Zeit ein Unternehmen in diesen Prozess investieren kann und möchte, ist ganz unterschiedlich. Doch Nadine Nobile sieht in alternativen Gehaltsmodellen die Zukunft:

Organisationen, Mitarbeiter, aber auch die Gesellschaft verändern sich über die Zeit und damit verändern sich auch die Bedürfnisse. Hierarchien werden unbedeutender. Man arbeitet mehr auf Augenhöhe miteinander und damit wird auch der Aspekt der Fairness meiner Ansicht nach viel wichtiger. – Nadine Nobile, Unternehmensbegleiterin und Autorin

Das findet auch Wigwam aus Berlin. Die Agentur wagte noch weitere Schritte für mehr Fairness: Hier ist fast jeder Arbeitnehmer gleichzeitig auch Teilhaber des Unternehmens (Genossenschaft), der Männer- und Frauenanteil ist ausgeglichen und ein Gender-Pay-Gap existiert nicht.

Trotzdem geht auch in Berlin die Arbeit am Modell weiter, wie Eugen Friesen berichtet: »Wir stellen immer wieder fest, dass es Baustellen gibt, die wir noch nicht geschlossen haben. Zum Beispiel wenn neue Mitarbeiter hinzukommen, die den Prozess hin zum Wunschgehalt nicht mit uns durchlebt und mitgestaltet haben. Oder es gibt manchmal eine Person, die ein wichtiges Anliegen hat, und dann liegt es an der Eigenverantwortung, das auch zu artikulieren, selbst wenn andere gerade keine Notwendigkeit sehen, drüber zu sprechen.« Möglichkeiten dazu gibt es beim monatlichen Teamtreffen.

Das zeigt: Auch wenn alternative Gehaltsmodelle wie »Wunschgehälter« teils paradiesisch klingen, zum Nulltarif sind sie nicht zu haben. Die Beispiele aus Deutschland zeigen aber auch: Jedes Unternehmen kann sich diesem Prozess auf unterschiedliche Art öffnen und es zu einem echten Pluspunkt für sich und die Mitarbeiter machen.

Dieser Text ist Teil unserer Serie »So arbeiten wir 2029«

Alle mit einem [*] markierten Stellen sind im Original mit mehr Informationen versehen.

Dieser Artikel wurde verfasst von Benjamin Fuchs

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*Der Beitrag "Deutsche Unternehmen lassen Mitarbeiter selbst über Gehalt entscheiden" stammt von Perspective Daily. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.

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