Die Euphorie war groß: Der historische äthiopisch-eritreische Frieden sorgte für Aufbruch und versprach mehr Freiheit und Wohlstand für alle. Tauwetter zwischen den beiden lange verfeindeten Bruderstaaten Äthiopien und Eritrea! Der Premier Äthiopiens, Abiy Ahmed, und der Präsident Eritreas, Isayas Afwerki, feierten im Juli 2018 die Wiedereröffnung der Botschaft von Eritrea in Addis Abeba. Ende der neunziger Jahre noch hatten Äthiopien und Eritrea einen blutigen Grenzkrieg gegeneinander geführt. Nun sollte eine neue Ära anbrechen - mit blühendem Handel, vielen Begegnungen und einem offenem Grenzverkehr.
Bereits fünf Monate später, im Dezember 2018, begann Eritrea damit, die ersten Grenzübergänge zu Äthiopien wieder zu schließen - zumeist ohne Angabe von Gründen. Im März 2019 und zuletzt im April 2019 wurde die Abriegelung der Grenze immer lückenloser.
Asmara: Kein Kommentar
Was steckt dahinter? Die DW wollte eine Stellungnahme des Informationsministers und Regierungssprecher Eritreas einholen. Doch Yemane Gebremeskel war nicht erreichbar. Das Regime in Asmara gibt sich zugeknöpft: Offizielle Statements zu Grenzschließungen werden im Allgemeinen nicht abgegeben. Die letzte offizielle Erklärung gab es am 6. April 2019. Auf der Webseite des Informationsministeriums heißt es, die Schließung sei aufgrund von "rechtlichen Vereinbarungen" beschlossen worden. Dazu folgender Kommentar: "Als unsere beiden Länder sich einverstanden erklärten, die Grenzen zu öffnen, wurde uns von den Kritikern vorgeworfen, wir würden Menschen ermutigen, das Land zu verlassen. Jetzt, da der unkontrollierte Grenzübergang in einigen Gebieten aufgrund gesetzlicher Regelungen teilweise wieder eingeschränkt wird, heulen genau dieselben Kritiker wieder auf", heißt es in der am 6. April 2019 abgegebenen offiziellen Erklärung - ein offener Angriff auf all diejenigen, die Kritik an Asmaras Politik der Grenzschließung üben.
Auch die Regierung Äthiopiens schweigt zu den Vorfällen an der eritreischen Grenze. Verschiedene Berichte in äthiopischen Medien weisen darauf hin, dass die kürzlich erfolgte Schließung der Grenzen seit dem 22. April 2019 von der eritreischen Seite erzwungen wurde. Darauf angesprochen wich Nebiyat Getachew, Sprecher des äthiopischen Außenministeriums, auf einer Pressekonferenz in Addis Abeba, den Fragen der Journalisten aus: "Der Prozess der Institutionalisierung der Menschenbewegung und des Handels über unsere gemeinsame Grenze, der seit dem Friedensabkommen begann, kommt gut voran", sagte Nebiyat, ohne die Grenzschließungen zu erwähnen.
Angst vor den Protestbewegungen in den Nachbarländern
Die Grenzschließung sei vor allem ein Zeichen von Angst auf Seiten der eritreischen Führung, die ein Überschwappen von Protestwellen aus den Nachbarländern fürchtet, sagt Meresa Tsehay, Politikwissenschaftler an der nordäthiopischen Universität Mekelle: "Isayas Afewerki ist nicht glücklich mit der Öffnung der Grenzen. Er fürchtet offene Grenzen, vor allem auch nach dem Sturz des al-Bashir-Regimes im Sudan. Immer mehr Eritreer hinterfragen die Legitimität ihres eigenen Präsidenten." Es sehe so aus, dass weder in Eritrea noch in Äthiopien ein wirkliches Interesse an einer Normalisierung bestehe, so Professor Tsehay weiter.
Ähnlich sieht es Ali Omar, Angehöriger der Oppositionellen "Eritrean Afar National Congress" (EANC): Sowohl der Präsident Eritreas, Isayas Afwerki, als auch der Premier Äthiopiens, Abiy Ahmed, fürchteten das Überschwappen von Protestbewegungen aus dem Ausland. "Wir haben das Friedensabkommen vom Juli 2018 und die Öffnung der Grenzen begrüßt, aber wir waren von Anfang an skeptisch und hatten den Verdacht, dass es beiden Führern nicht um die Menschen, sondern vor allem um Publicity und politische Dividenden ging."
Eritrea: Menschenrechtsverletzungen weiterhin an der Tagesordnung
Beobachter machen regelmäßig darauf aufmerksam, dass es vor allem in Eritrea in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte gab: Kritiker halten Eritrea nach wie vor für eines der repressivsten Regime Afrikas. So gebe es in Eritrea keine freie Presse und keine Opposition, zahlreiche Dissidenten sitzen im Gefängnis.
Eritrea belegt seit 15 Jahren einen der letzten drei Plätze auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. In der aktuellen Ausgabe schneiden nur Turkmenistan und Nordkorea schlechter ab. Seit 2001 gibt es in dem Land im Nordosten Afrikas keine unabhängigen Medien mehr. Im Zuge einer politischen Säuberungsaktion schloss die Regierung damals alle nicht-staatlichen Medien und inhaftierte zahlreiche Journalistinnen und Journalisten. Einzig die Staatsmedien dürfen seither Nachrichten verbreiten, doch auch sie sind streng zensiert.
An der prekären Lage für Journalistinnen und Journalisten hat auch das 2018 unterzeichnete Friedensabkommen mit dem Nachbarland Äthiopien nichts geändert. Aaron Berhane, eritreischer Journalist, der mittlerweile im Exil in Kanada lebt, bestätigt im Gespräch mit der DW, dass sich es trotz des sogenannten "eritreisch-äthiopischen Frühlings" keine Freiheiten in Eritrea gibt. Unabhängige Journalisten würden weiterhin inhaftiert. "Es gibt keinerlei Schutz für sie. Fünf meiner Kollegen sind im Gefängnis ums Leben gekommen. Es hat sich also seitdem in Eritrea nichts verändert, nichts verbessert."
Die aktuellen Grenzschließungen des eritreischen Regimes sind bewertet Berhane als Versuch Afewerkis, Entwicklungen aufzuhalten, die nicht aufzuhalten seien:"Die Menschen lehnen sich gegen Diktatoren auf - in Äthiopien, im Sudan, in Algerien oder in Ägypten. In Eritrea wird es nicht anders sein. Auch in Eritrea wird es Veränderungen geben, vor allem nach dem Friedensabkommen mit Äthiopien."
Autor: Antonio Cascais (Mitarbeit: Mohammed Negash)
*Der Beitrag "Ende des äthiopisch-eritreischen Frühlings" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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