Manchmal sind es keine großen Reden, sondern einzelne Sätze, die die Lage des Landes bestens beschreiben. In dieser Woche kamen sie aus allen Parteien und zeigen berechtigte Sorge, unerwartete Besonnenheit und fragwürdige Strategie.
Die politische Lage lässt sich gut an einigen markanten Sätzen dieser Woche beschreiben.
Horst Seehofer: „Wir haben verstanden“
Der CSU-Chef interpretiert das Wahlergebnis als Denkzettel für die Union insgesamt, vor allem als Absage an die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Die Analyse ist richtig. Wer wollte, konnte schon im Wahlkampf hören, dass langjährige Anhänger mit der Union haderten, dass sie sich nicht ernst genommen fühlten und entschlossen waren, dieses Mal einer anderen Partei die Stimme zu geben – der FDP, aber eben auch der AfD. Sie versicherten, dass sie das schweren Herzens täten und wirkten dabei glaubhaft.
Doch die Analyse würde zu kurz greifen, wenn sie in der kompromisslosen Forderung nach einer Obergrenze endete. Denn zur Wahrheit gehört auch die Einsicht, dass nicht allein Merkels „Wir schaffen das“ ein Problem darstellte, sondern auch das permanente „Wir schaffen das nicht“ aus Bayern – und das, obwohl vor allem der Freistaat die Herausforderungen des Ansturms Hunderttausender bravourös gemeistert hat. Die verbalen Feindseligkeiten aus München in Richtung der Kanzlerin haben zur Verunsicherung beigetragen. Nachdem Seehofer ordentlich Misstrauen gegen die Schwesterpartei geschürt hatte, griff die Skepsis auch auf die CSU über. Die Folge daraus kann nur sein, dass die Union schnell zu einer gemeinsamen Linie zurückfindet. Insbesondere im Fall der Flüchtlingspolitik könnte diese in Richtung eines Einwanderungsgesetzes gehen, das die Zuwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland umfassend neu regelt.
Angela Merkel: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“
Das allerdings setzt ein Aufeinander-Zugehen voraus, das zu dem zweiten bemerkenswerten Satz dieser Woche führt. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hat Angela Merkel am Tag nach der Wahl gesagt. Damit bezog sie sich explizit auf eine Frage nach dem Wahlkampf in der Rückschau. Diese Passage aus der Pressekonferenz konnte allerdings so viel Furore machen, weil man von Merkel den Eindruck haben kann, dass sie grundsätzlich so denkt. Ein paar Worte des Bedauerns gab es zwar, aber auch die vermittelten nicht das Gefühl, dass die CDU-Vorsitzende das schlechteste Wahlergebnis der Union seit 1949 irgendwie erschüttert hätte. Im Gegenteil. Das frühe Beteuern, man habe den Regierungsauftrag erhalten, klang wie eine Bestätigung, dass es in erster Linie darauf ankomme, die Kanzlerschaft zu sichern.
Doch darum geht es nicht allein. Es ist wichtiger denn je, dass die Union als bürgerliche Kraft breit aufgestellt ist und all ihre Wurzeln zum Tragen kommen – ihre liberalen, aber auch ihre christlich-sozialen und ihre wertkonservativen. Nach dem Einzug einer rechtspopulistischen Partei in den Bundestag ist die strategische Mehrheit im Parlament zwar nicht mehr links. CDU und CSU müssen jedoch wieder erstarken, um all denen eine Heimat zu bieten, die über ein gesundes Nationalbewusstsein hinaus für ein starkes Europa und eine weltoffene und aufgeschlossene Gesellschaft stehen. Das erfordert auch eine Debatte ohne Tabus – in CDU und CSU gleichermaßen. Und es erfordert auch, jüngere Politiker in die Verantwortung zu holen, selbst wenn sie bisweilen unbequem sind. Es gibt somit einiges zu erkennen, was anders gemacht werden müsste.
Wolfgang Kubicki: „Man muss verstehen, wo die Schmerzgrenze des anderen liegt“
Die Gespräche über ein neues Regierungsbündnis bieten dafür erste Gelegenheit. Denn die Politik muss neue Wege der Zusammenarbeit finden, was zu dem dritten Satz dieser Woche führt, der Beachtung verdient. „Man muss verstehen, wo die Schmerzgrenze des anderen liegt“, hat Wolfgang Kubicki von der FDP gesagt. Was wie eine Binsenweisheit klingt, ist längst nicht selbstverständlich. Doch in den bevorstehenden Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition geht es nicht um die Durchsetzung von Maximalforderungen. Vielmehr kommt es darauf ein, Kompromisse zu finden, die allen Seiten die Möglichkeit bieten, vor der eigenen Anhängerschaft das Gesicht zu wahren.
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Cem Özdemir: „Deutschland muss gut regiert werden, vier Jahre lang"
Das wird ein hartes Ringen, weshalb auch niemand schnell mit einer Regierungsbildung rechnen sollte. Sorgfalt am Anfang ist allemal besser als ein schnelles Bündnis, das bei der ersten Belastungsprobe auseinanderbricht. Da gilt der vierte interessante Satz dieser Woche, der von Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir kommt: „Deutschland muss gut regiert werden, vier Jahre lang. Stellen Sie sich mal vor, wir machen im Schnelldurchgang irgendwas, scheitern nach einem halben Jahr, dann ist die AfD doppelt so stark.“
Alexander Gauland: „Der Wahlkampf ist vorbei“
Schließlich kann man es drehen und wenden, wie man will: Die AfD ist die große Herausforderung dieser Legislaturperiode – für die Politik wie für die Medien. Ein fairer Umgang muss selbstverständlich sein. Dass die Neulinge im Parlament dabei unbequem sein werden, ist ihr gutes Recht. Genauso ist es das Recht aller anderen Fraktionen, darauf zu verweisen, dass die AfD eben nicht den Anspruch erheben kann, die Mehrheit zu repräsentieren. 87 Prozent der Bevölkerung haben diese Partei nicht gewählt. Deshalb kann sie sich nicht ihr Volk zurückholen, wie Spitzenkandidat Alexander Gauland am Wahlabend rief, als er ankündigte, Angela Merkel zu jagen. Doch sollte man auch hier auf einen auffälligen Satz aus dieser Woche verweisen: „Der Wahlkampf ist vorbei“, sagte Gauland am Montag und fügte an, der Bundestag verlange selbstverständlich eine andere Tonlage. Das lässt zumindest hoffen.
Andrea Nahles: „Ab morgen gibt’s in die Fresse“
Auch wenn die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles mit ihrer derben Wortwahl nicht gerade für die gepflegte Auseinandersetzung sprach: „Ab morgen gibt’s in die Fresse“, ist hoffentlich nicht der Debattenstil im neuen sozialdemokratischen Selbstfindungsprozess.
Dietmar Bartsch: "Wenn wir jedes Mal fünf zulegen..."
Der Vollständigkeit halber muss nun auch noch ein Satz der Linken erwähnt werden. „Wir haben noch einmal fünf zugelegt. Wenn wir jedes Mal fünf zulegen, wissen Sie, wann wir die absolute Mehrheit haben: 2043“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch und bezog sich auf fünf zusätzliche Mandate. Die Rechnung erschließt sich irgendwie nicht. Gut möglich, dass sie schlicht ein Pfeifen im Walde ist - aus der Sorge heraus, dass den Linken in den kommenden vier Jahren die am wenigsten beachtete Rolle zukommt.
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