Rechercher dans ce blog

Friday, September 29, 2017

Streit um Lebensmittel - Die EU-Kommission hat die "Nutella-Krise"entschärft - gebannt ist sie noch nicht

Streit um Lebensmittel: Die EU-Kommission hat die "Nutella-Krise"entschärft - gebannt ist sie noch nicht
Danke für Ihre Bewertung!
0

Wegen angeblich schlechterer Qualität von Markenprodukten begehren die östlichen EU-Länder auf. Der Konflikt könnte zu einer neuen Welle des Protektionismus führen.

„Ich werde nicht akzeptieren, dass Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen […]“. Adressiert war dieser Teil der Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der EU an die Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Diese erheben seit vergangenem März immer wieder den Vorwurf, dass international vertriebene Markenprodukte in ihren Ländern eine niedrigere Qualität hätten, als in westeuropäischen EU-Staaten. Nutella soll etwa weniger Schokolade und Iglo-Fischstäbchen weniger Fisch enthalten.

Ob die Vorwürfe begründet sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Manche der Befunde von Verbraucherschützern und nationalen Behörden – etwa, dass Nutella in Ungarn weniger „schokoladig“ schmecke als in Österreich und Markenwaschmittel dort billiger sei als in der Slowakei – erwecken eher den Eindruck, dass eine Skandalisierung des Themas das eigentliche Ziel dieser Akteure ist. So geht es in beiden Fällen gar nicht um Qualität, sondern um Geschmack bzw. um unterschiedliche Preise für Produkte gleicher Qualität.

Zur Person

Till Brombach ist seit August 2016 als Wissenschaftlicher Referent in den Fachbereichen Wirtschafts- und Fiskalpolitik sowie Binnenmarkt und Wettbewerb am CEP tätig. Vor seiner Tätigkeit für das CEP arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Wirtschaftskanzlei im Bereich IT- und Datenschutzrecht.

Die Produkte unterscheiden sich durchaus

Einige der Markenhersteller geben hingegen zu, dass sich ihre Produkte je nach EU-Staat aufgrund der unterschiedlichen Geschmäcker voneinander unterscheiden. Unabhängig von den einzelnen Vorwürfen ist die Qualität von Lebensmitteln abseits der Mindeststandards zur Lebensmittelsicherheit aber ohnehin kaum messbar.

Aus diesem Grund haben nationale Behörden auch kaum Möglichkeiten, die angeprangerten Unterschiede zu sanktionieren. Die EU-Verordnung zu Informationen über Lebensmittel verpflichtet nämlich nur dazu, bestimmte Mindestangaben zu Produktinhalten zu machen, nicht aber über eine in den Mitgliedstaaten variierende Produktzusammensetzung zu informieren. Ein Regelungsdefizit gibt es deshalb aber nicht. Denn eine vollständige EU-weite Harmonisierung von Produkten wäre weder mit EU-Recht vereinbar noch sinnvoll. Unterschiedliche Produktzusammensetzungen lassen sich nämlich gerade bei Lebensmitteln zumeist nicht qualitativ einordnen.

Was steckt wirklich hinter dem "Nutella-Skandale"?

Handelt es sich beim „Nutella-Skandal“ also nur um einen zu vernachlässigenden Versuch der Visegrád-Staaten, von innenpolitischen Problemen abzulenken? So einfach ist es nicht. Zwar sind unterschiedliche Produktzusammensetzungen kein Phänomen, das nur neue und alte EU-Mitglieder voneinander trennt. Die französische Nutella etwa ist dünnflüssiger, als die deutsche, damit sie sich besser auf Weißbrot schmieren lässt. In der Politik ist Wahrnehmung aber bekanntermaßen alles. Und im Gegensatz zu westeuropäischen EU-Mitgliedern befeuern die Vorwürfe in den Visegrád-Staaten die dort ohnehin schon gängige Wahrnehmung, EU-Bürger zweiter Klasse zu sein.

In vielen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas ist zudem die Ansicht weit verbreitet, der EU-Beitritt habe zu einer einseitigen Integration in den Binnenmarkt geführt. Während die eigenen Märkte von der westeuropäischen Exportwirtschaft überschwemmt worden seien, würden ältere EU-Mitglieder sich weigern, ihre Arbeitsmärkte vollständig für Arbeitnehmer der Beitrittsländer zu öffnen. Dieser Vorwurf ist nicht unbegründet. Deutschland etwa setzt sich nach wie vor vehement gegen eine vollständige Öffnung des eigenen Dienstleistungsmarktes zur Wehr.

Protektionismus wird wieder hoffähig

Sollte sich diese Wahrnehmung nun – ob im Einzelfall berechtigt oder nicht – weiter verstärken, könnten sich die dortigen Regierungen ermutigt fühlen, mit protektionistischen Maßnahmen auf Wählerfang zu gehen. In Mittel- und Osteuropa lassen sich schon vermehrt Versuche beobachten, die heimische Landwirtschaft und den heimischen Lebensmittelhandel gegenüber ausländischen Handelsketten zu protegieren.

Eine Forcierung dieses Protektionismus wäre gerade für die deutsche Wirtschaft, die besonders stark von der EU-Osterweiterung profitiert hat, schadhaft. Hinzu kommt, dass Deutschland von den ost- und mitteleuropäischen EU-Mitgliedern auf anderen politischen Feldern – etwa bei der Umverteilung von Flüchtlingen – Solidarität fordert. Dieser moralische Anspruch wirkt umso weniger überzeugend, je mehr sich die dortigen Bürger gegenüber den alten EU-Mitgliedern systematisch benachteiligt fühlen.

In diesem Kontext hat Deutschland ein starkes Interesse daran, dass der „Nutella-Konflikt“ nicht weiter eskaliert. Die EU-Kommission wiederum sitzt zwischen den Stühlen. Sie kann sich einerseits nicht vor den Karren einer weiteren populistischen Kampagne der Visegrád-Staaten spannen lassen. Andererseits kann sie nicht einfach untätig bleiben, da dies genutzt werden könnte, um die EU-Skepsis im Land weiter anzuheizen.

Kluger Zug der EU-Kommission

Insofern hat die Kommission nun einen klugen Weg eingeschlagen. Sie hat sich öffentlich mit den Verbrauchern der Visegrád-Staaten solidarisiert und dies mit konkreten Maßnahmen untermauert. Hierzu hat sie Richtlinien vorgelegt, die nationalen Verbraucherschutzbehörden Orientierungshilfe geben, wann Unterschiede in der Zusammensetzung von Produkten in verschiedenen EU-Ländern eine EU-rechtswidrige unlautere Handelspraktik darstellen.

Entscheidend soll dabei sein, ob der Verbraucher eine andere Kaufentscheidung getroffen hätte, wenn er darüber informiert wäre, dass das gleiche Markenprodukt sich in anderen Mitgliedstaaten anders zusammengesetzt ist. Das werden nationale Behörden jedoch kaum beurteilen können. Schließlich kauft ein Verbraucher in der Slowakei die slowakische Nutella nicht, weil er glaubt, dass sie genauso zusammengesetzt ist wie die deutsche, sondern weil ihm die slowakische Version offenbar schmeckt und er dazu bereit ist, den verlangten Preis zu bezahlen. Er würde in Kenntnis der unterschiedlichen Zusammensetzung wohl kaum einen Schokoladen-Nuss-Aufstrich einer anderen Marke kaufen, der ihm weniger schmeckt.

Nichtsdestotrotz ist dieser Ansatz richtig. Die Kommission reduziert das Thema so auf die – praktisch kaum vorkommenden – Fälle, in denen eine national abweichende Produktzusammensetzung tatsächlich fragwürdig ist. Noch wichtiger ist aber, dass die Kommission den politischen Diskurs so auf eine fachliche Ebene verlagert.

Den Regierungen der Visegrád-Staaten dürfte es nun schwerer fallen, das Thema mit pauschalen Anschuldigungen und teilweise sachfremden Befunden für sich zu vereinnahmen. Sie werden sich mit den Kommissionsrichtlinien nun im Detail auseinandersetzen müssen. Die Kommission hat also einen guten Weg gefunden, einerseits die Wahrnehmung ost- und mitteleuropäischer Bürger ernst zu nehmen und sich andererseits nicht auf das populistische Spiel der Regierungen der Visegrád-Staaten einzulassen.

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

No comments:

Post a Comment

Search

Featured Post

Granblue Fantasy: Relink's Demo Will Make a Believer Out of You - Kotaku

depolitikblog.blogspot.com Before multiple friends of mine went out of their way to sing the praises of Granblue Fantasy: Relink to ...

Postingan Populer