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Sunday, October 1, 2017

16 Reporter, 16 Bundesländer - Bayern - "Die Politik hat uns vergessen" - Der Überlebenskampf der kleinsten Gemeinden Bayerns

16 Reporter, 16 Bundesländer - Bayern: "Die Politik hat uns vergessen" - Der Überlebenskampf der kleinsten Gemeinden Bayerns
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    In Bayern gibt es viele Gemeinden, die nicht viel mehr als 500 Einwohner haben. Die meisten Menschen dort lieben ihr beschauliches Leben in idyllischer Umgebung. Doch eine gewisse Unzufriedenheit lässt sich nicht verbergen. Bleibt die Frage, ob die Politik dafür verantwortlich ist – und ob sie etwas ändern kann. FOCUS Online begab sich auf Spurensuche.

    Guttenberg, Oberfranken

    In Guttenberg im Landkreis Kulmbach scheint die Welt noch in Ordnung. Mit nur knapp mehr als 500 Einwohnern ist es die kleinste selbstständige Gemeinde Oberfrankens. Wer sich dort hin verirrt, sollte eine Landkarte bei sich haben. Mobiles Internet oder Netzabdeckung – Fehlanzeige.

    „Hier hat sich in den letzten Jahren eigentlich wenig verändert“, sagt Gemeinderatsmitglied Horst Bittermann und jätet Unkraut in seinem Garten. „Wir wählen hier traditionell die CSU, das hat viel mit dem Schlossherrn, Karl Theodor dem Älteren, zu tun. Aber wir haben auch viele SPD-Wähler, weil es früher viele Arbeiterfamilien gab. Das wird dann traditionsweise weitervererbt.“

    Knapp 45 Prozent der Zweitstimmen in Guttenberg gingen an die CSU, knapp 25 Prozent an die SPD. Die Ergebnisse für Grüne, Linke und FDP sind verschwindend gering. Doch es gibt noch einen dritten Gewinner in Guttenberg.

    „Dass doch so viele AfD gewählt haben, kann ich nicht verstehen“, sagt Bittermann. 13 Prozent waren es. 46 Wähler haben ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. „Das ist eine Art Protest denke ich", sagt Bittermann, "aber ich frage mich, gegen was. Eigentlich geht’s uns doch gut hier.“

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    Alles gut in Guttenberg?

    Doch schon kurz darauf muss auch das Gemeinderatsmitglied zugeben, dass nicht alles in Guttenberg wirklich gut ist. Bittermann erzählt vom „Wanderheim“, einer ehemaligen Kneipe am Dorfrand. Drei Mal in der Woche öffnen sich hier die Türen für wenige Stunden, um den Bewohnern Guttenbergs die Möglichkeit zu geben, sich bei einem Feierabendbier auszutauschen. „Dort gehen die Leute hin, wenn sie reden wollen“, sagt Bittermann. „Da wird schon mal heiß diskutiert, auch vor den Wahlen, ist ja klar. Andere Möglichkeiten haben wir hier nicht mehr. Die letzte Kneipe hat vor fünf Jahren geschlossen. Die jungen Leute zieht es weg.“

     

    „Eigentlich interessieren uns Parteien hier überhaupt nicht“

    Der demographische Wandel ist auch in den Augen des Bürgermeisters Eugen Hain das größte Problem. Der CSUler ist bereits seit 21 Jahren im Amt. Parteien, sagt er, sind in Guttenberg eigentlich vollkommen egal, wenn auf kommunaler Ebene entschieden wird. „Selbst wenn ich jetzt zur SPD wechseln würde, würde ich die nächste Wahl wieder gewinnen“, sagt er. „Hier wählt man nach Sympathie und Einsatzbereitschaft. Die Leute wissen, dass ich mich für den Ort engagiere und das ist es, was zählt.“

    Dennoch macht er sich Sorgen um die Zukunft seiner Gemeinde. „In den letzten sieben Jahren haben wir hier etwa 13 Prozent der Einwohner eingebüßt. Von etwa 580 auf knapp 500 Einwohner. Wir haben sogar schon darum gebeten, Flüchtlinge aufnehmen zu dürfen, um wieder neues Leben ins Dorf zu bringen.“

    Doch Flüchtlinge sind keine gekommen. Und auch sonst will niemand nach Guttenberg ziehen. „Wir arbeiten stetig an Verbesserungen der Dorfstruktur. Als erste Kommune in Bayern bekommen wir hier flächendeckend Glasfaserinternet. Wir engagieren uns sozial und machen bald einen neuen Dorftreff auf, um die Leute wieder mehr zusammen zu bringen und ihnen Möglichkeiten zu bieten, private Feiern oder sonstiges auszurichten. Aber es gibt hier eben keinen Arzt, keine Bank, keine Einkaufsmöglichkeiten und vor allem keine brauchbare Infrastruktur. Ohne Hilfe von ganz oben, können wir das nicht alles alleine stemmen.“

    „Die großen Parteien haben uns einfach vergessen“

    So sieht es auch Edelharda. 70 Jahre ist sie alt und ebenso lange lebt sie in Guttenberg. „Manchmal hat man das Gefühl, die großen Parteien haben uns vergessen“, sagt sie. „Hier leben ja fast nur noch alte Menschen. Für uns ist es fast unmöglich hier weg zu kommen, der Bus fährt lediglich sechs Mal am Tag. Mich wundert es nicht, dass junge Familien hier nicht leben wollen. Und die, die hierherziehen, interessieren sich nicht für unser Dorf. Diese Nachbarschaftshilfe und all das, auf was man sich früher verlassen konnte, existiert heute gar nicht mehr.“

    Die Unzufriedenheit, vor allem ihrer älteren Mitbürger kann Edelharda gut verstehen. Das Wahlergebnis allerdings nicht. „Natürlich geht es vielen nicht gut. Sie leben von einer kläglichen Rente, die oft nicht mehr als 500 oder 600 Euro beträgt. Die Leute gehen zur Tafel und schämen sich dafür.  Sie fühlen sich von ihrem Staat im Stich gelassen. Aber warum man dann eine Partei wählt, die dem Land möglicherweise schadet, das verstehe ich nicht.“

    „Wir haben das gewählt, was wir immer wählen“

    Edelharda und ihr Bruder haben SPD gewählt. „So wie immer“, kommentiert der Bruder die Entscheidung. „Ich habe auch schonmal überlegt, aus Protest etwas anderes zu wählen, die Linke vielleicht“, gibt Edelharda zu. „Aber es würde ja doch nichts ändern. Die Gesellschaft wird immer älter und gerät in Vergessenheit, grade in solch kleinen Gemeinden wie Guttenberg. Die Politiker interessiert das alles scheinbar nicht. Und ich glaube auch nicht, dass wir mit unseren wenigen Wählerstimmen, daran etwas ändern können.“

    Video: „SPD hat versagt“: Lübecker wählen nach 48 Jahren plötzlich CDU - aus guten Gründen

    Hohenaltheim, Schwaben

    Ähnlich wie in Guttenberg sieht es auch im schwäbischen Nördlingen aus. Im Verwaltungsgebiet der Kreisstadt im Landkreis Donau-Ries liegen gleich mehrere Dörfer, deren Einwohnerzahlen die 500 nur knapp überschreiten, wie etwa Forheim und Hohenaltheim. Diese können sich derzeit noch als eigenständige Gemeinden behaupten, während Orte wie das 350-Seelen-Dorf Schmähingen schon vor Jahren in die Stadt Nördlingen eingemeindet wurde.

    Klarer Wahlsieger ist auch hier mit Abstand die CSU, doch auch die AfD erreichte in den einzelnen Dörfern zwischen 12 und 18 Prozent. In Forheim konnte sie sogar doppelt so viele Stimmen für sich gewinnen, wie die SPD und das, bei einer Wahlbeteiligung von mehr als 75 Prozent.

    „Diese Wahl zeigt einfach, wie die Menschen hier sensibilisiert wurden“

    „Das ist eigentlich atypisch für uns,“ sagt Wulf-Dietrich Kavasch, der Bürgermeister von Hohenaltheim. „Eigentlich interessieren uns Parteien hier nicht. Wir haben auch im Gemeinderat keine Parteilisten. Aber an dieser Wahl sieht man jetzt, wie die letzten Monate auch unsere Einwohner sensibilisiert haben.“

    Kavasch ist 73 Jahre alt und arbeitet nebenbei noch in seiner Tierarzt-Praxis. Er hat kein Büro und auch keine Sekretärin. „Wenn die Leute den Bürgermeister suchen, wissen sie, wo sie klingeln müssen. Ich bin für jeden da, der meine Hilfe braucht. Egal ob Zweibeiner oder Vierbeiner.“

    Nächstes Jahr will er den Arzt-Beruf niederlegen. Ein junger Pole soll die Praxis übernehmen. „Ich denke bis nächstes Jahr ist er mit seinem Deutschkurs soweit, dass ich ihn alleine lassen kann,“ so Kavasch. „Darauf zu warten, einen jungen deutschen Tierarzt zu finden, der freiwillig aufs Land geht, das macht keinen Sinn. Von daher sind wir hier eigentlich froh über jeden, der von außen reinkommt.“

    Angst vor Altersarmut und Hilflosigkeit

    In Hohenaltheim leben 12 Nationalitäten in Einklang miteinander. In der alten Schule wird bald ein Heim für anerkannte Asylbewerber eröffnet, die auf Wohnungssuche sind. Von Rassismus keine Spur. „Aber hier leben eben auch viele alte Menschen, die eine gesunde Skepsis allem Neuen gegenüber haben“, meint Kavasch.

    Viele fühlen sich vernachlässigt, leben von einer winzig kleinen Rente und müssen zur Tafel gehen, um über die Runden zu kommen. „Die Angst vor der Altersarmut, die Angst davor, nicht in Frieden in seinem Heimatdorf alt werden zu können, weil die Infrastruktur katastrophal und der nächste Arzt Kilometerweit weg ist. Das ist es, was sich in den Zweitstimmen niederschlägt“, erklärt Kavasch das Wahlergebnis.

    Video: „Wir wollen Veränderung“: Parteiloser Bürgermeister sagt, warum er AfD wählte

    Schmähingen, Schwaben

    Im nahe gelegenen Schmähingen sieht Pfarrer Wilhelm Imrich die Sache ähnlich. „87 Prozent in Deutschland und auch hier um Umkreis haben die AfD nicht gewählt. Andere Staaten wären froh, wenn sie so etwas im Hinblick auf rechtspopulistische Parteien sagen könnten.“ Dennoch sieht Imrich genau, warum die AfD als einzige Partei neben CSU und SPD in seinen Gemeinden die 5-Prozent-Hürde knacken konnte.

    „Die Leute wählen AfD, weil sie sich an ihre letzte Hoffnung klammern“

    „Hier gibt es einige Probleme, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Parteien wie Grüne und Linke gibt es nun alle schon eine ganze Weile, sie alle hatten ihre Chance, sich zu beweisen. Jetzt ist es also die AfD, die gewählt wird, um die etablierten Parteien zu warnen aber auch, weil die Menschen Hoffnung auf Veränderung damit verknüpfen.“

    Während in den großen Städten wie Nördlingen besonders die Schere zwischen Arm und Reich ein großes Problem ist, leiden die Dörfer besonders unter dem Generationenproblem. „Die Kinder die hier groß werden sind sehr heimatverbunden. Trotzdem müssen sie ihre Dörfer verlassen, wenn sie studieren oder einen anderen Beruf als Landwirt ausüben wollen. Und viele kommen danach nicht wieder.“

    „Auch die Politiker können den demographischen Wandel nicht mehr stoppen“

    Dies sei der Grund, warum die Dörfer in ihrer ursprünglichen Existenz aussterben. „Nur wenige Menschen ziehen noch hierher, wenn sie eine Familie gründen wollen oder kleine Kinder haben. Wir sind mittlerweile eher ein Anzugspunkt für Großstädter geworden, die ihren Lebensabend beschaulich beschließen wollen. Sie sehen die schöne Umgebung, die Ruhe, genießen die gute Luft. Das hier ist nicht ihre Heimat, sie fühlen sich nicht mit den Dorfbewohnern verbunden und haben auch kein Interesse daran, sich in das Dorfleben oder die Vereine zu integrieren.“

    Für junge Familien sei es einfach nicht attraktiv in solchen ländlichen Gegenden zu leben, erklärt Imrich. „Alleine die Infrastruktur ist eine Katastrophe“, schimpft er. In die Politik setzt er allerdings keine großen Hoffnungen. „Was kann die heutige Politik denn noch tun, um den extremen Strukturwandel der Landwirtschaft rückgängig zu machen? Es ist einfach nicht möglich, die Dinge so zu beeinflussen, dass für unsere Dörfer wieder eine Perspektive entsteht.“

    Leere Häuser und verfallene Höfe soweit das Auge reicht

    Bei einer Tour durch den Ort wird deutlich sichtbar, was der Pfarrer meint. Die Häuser sind allesamt riesengroß, oft gehören noch ehemals landwirtschaftlich betriebene Höfe dazu. Locker könnten dort Großfamilien mit bis zu zehn Kindern bequem Platz finden.

    Doch die Bilanz des Pfarrers deprimiert. In nahezu jedem Haus leben Menschen, die ihren siebzigsten Geburtstag schon gefeiert haben. Viele von ihnen leben allein. Zudem stehen unzählige Häuser ganz leer. Die Erben kümmern sich nicht um den weiteren Gebrauch. Der Wohnraum, der in den Ballungsgebieten der Großstädte immer geringer und somit immer wichtiger wird, verfällt hier ungenutzt.

    „Die Politiker haben schon vor Jahrzehnten versagt“

    „Unsere Landwirte können auch nicht mehr von ihrem puren Ertrag leben. Heute braucht man viermal so viel Land wie vor 30 Jahren, um überhaupt noch über die Runden zu kommen. Viele suchen sich neue Herausforderungen, weg von der herkömmlichen Landwirtschaft. Sie betreiben große Mastbetriebe oder Biosgasanlagen. Aber auch das ist oft nur der letzte Zweig, an den man sich hier klammert. Daran ist auch die Politik schuld. In den Medien werden Landwirte immer nur verteufelt.“

    Für Imrich haben die Politiker schon in einem viel früheren Stadium versagt. Der demographische Verfall der kleinen Dörfer sei nicht mehr aufzuhalten, meint er, weil man einfach schon vor Jahren damit hätte anfangen müssen, die Dörfer besser in den wirtschaftlichen Wandel zu integrieren. Dass die Wahlbeteiligung hier dennoch so hoch ist und auch die CSU noch immer deutlich vorne liegt, ist für Imrich daher eher ein Zeichen der Resignation.

    „Müssen mit dem Gedanken leben, dass hier nach uns das Licht ausgeht“

    „Die Leute gehen wählen, weil sie das immer tun und wählen das, was sie immer wählen, mit eben diesen kleinen, hoffnungslosen Ausreißern Richtung AfD. Aber wir müssen die Sache einfach mal realistisch betrachten. Als Einheimische von Schmähingen und Umgebung müssen wir einfach mit dem Gedanken leben, dass hier nach uns das Licht ausgeht.“

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