Eine Große Koalition rückt näher, die Chancen der beiden Alternativen – Neuwahlen oder Minderheitsregierung – schwinden. Und das ist auch gut so. Neuwahlen will sowieso keiner: Der Wähler will nicht immer neu gefragt werden und regt sich auf über die Kosten.
Diese scheuen auch die Parteien und Kandidaten, denn der Wahlkampf kostet nicht dem Staat, sondern mehr noch den Parteien und jeden einzelnen Kandidaten viel Geld. Und es kostet Demokratievertrauen. Das ist das wichtigste, erst recht, wenn das Ergebnis kaum anders aussehen würde.
Minderheitsregierung so exotisch wie Jamaika
Und die Minderheitsregierung? Ist immer noch nicht ausgeschlossen. Wäre mindestens so exotisch wie Jamaika, weil unerlebt im Bund, wenn auch nicht mit einem so schönen Wort geschmückt. Viele Publizisten und sogar Wissenschaftler entdecken ihren Reiz.
Gerade Deutschland wäre für eine Minderheitsregierung sehr gut, vermutlich besser als viele andere Länder gerüstet, meint Roland Czada in der FAZ vom 29.11.17. Denn das Grundgesetz sei ja eine überstabile Verfassung. Und Deutschland sei ja sowieso wegen des Föderalismus eine „Verhandlungsdemokratie“, wo es mit dem Durchregieren nicht weit her sei.
Die Vorteile lägen bei der Kontrolle durch eine einzige Partei, damit Politik aus einem Guss und schnellere Entscheidungen im Alltagsgeschäft. Die Minderheitsregierung werte das Parlament auf und wirke so gegen die Politikverdrossenheit, weil die Parteien ihre Positionen noch mehr öffentlich begründen müssten. Damit würde dem Wähler eine besser informierte, rationale Stimmabgabe ermöglicht.
Über den Autor
Ulrich von Alemann ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Unter anderem unterrichtete er an der Universität Duisburg, der Fernuniversität Hagen und der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Seit 2014 ist lebt er diese Tätigkeit nicht mehr aus, engagiert sich aber weiterhin für Forschung und Lehre.
Gift für nachhaltige politische Vorhaben
Mir scheint hier wird ein wunderbares Luftschloss erträumt. Die intellektuellen Liebhaber von Minderheitsregierungen ignorieren die Mühen der Ebene, die eine solche verursachen würde. Denn eine Minderheitsregierung ist zunächst einmal instabil. Keiner weiß, ob sie das nächste Jahr, den nächsten Haushalt überlebt.
Planung ist dann Glücksache, denn wenn sie überlebt, weiß keiner, mit welcher Mehrheit jeweils zu rechnen ist. Wie sollen langfristige Vorhaben – beim Klima, bei der Infrastruktur, in der Sozial- und Bildungspolitik – unter solchen Voraussetzungen auf die Schiene gestellt werden?
Heute mit diesem, morgen mit jenem Partner im Parlament? Minderheitsregierungen wären Gift für nachhaltige politische Vorhaben. Das wäre eine atemlose Politik von der Hand in den Mund.
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Deutsche Politik noch schwerfälliger
Politik aus einem Guss, schnelleres Handeln im politischen Alltag? Wie denn, wenn immer neue Mehrheiten gesucht werden müssen. Im Gegenteil würde die deutsche Politik noch schwerfälliger als ohnehin schon durch die komplizierte Politikverflechtung im Bundesstaat.
Nun müssten nicht nur im Bundesrat, sondern auch im Bundestag Mehrheiten jedesmal neu hergestellt werden. Das dauert. Und das kostet, nämlich hier ein kleines Zugeständnis, dort eine Subvention, um die Zustimmung zu erkaufen. Denn so läuft das auch im Bundesrat.
Eine Minderheitsregierung wäre Dauerstress, und zwar für alle: für die Bürger, die Medien, die Politiker und besonders auch für die Verwaltungen. Die könnten nicht einen Koalitionsvertrag abarbeiten, sondern müssten sich alle paar Monate neu orientieren, wo denn zur Zeit die Mehrheit liegt.
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Andere Länder als Vorbild
Aber andere Länder schafften das doch auch. Dänemark, Spanien, Schweden, Norwegen oder die Tschechische Republik seien doch immer recht gut gefahren mit Minderheitsregierungen. Spanien und Tschechien? Klammern wir die doch mal lieber aus, ich glaube nicht, dass wir Deutschen mit diesen Ländern tauschen möchten.
Skandinavien liegt anders, dort hat man in früherer Zeit keine so schlechten Erfahrungen gemacht – aber auch da immer nur notgedrungen. In jüngeren Jahren sieht es dort, auch durch die Erfolge rechtspopulistischer Parteien, die bis in die Regierungen vorgedrungen sind, nicht so gut aus. Ein Vorbild sieht anders aus.
Wem nutzt die Minderheitsregierung?
Eine Minderheitsregierung nutzt hauptsächlich der Regierungspartei. Oft kann sich eine Minderheitsregierung bei kommenden Wahlen durchsetzen und dann eine Mehrheit gewinnen. Denn sie sitzt allein in der Regierung und an allen Hebeln der Macht. Die Opposition opponiert oder toleriert.
Was soll denn der Nutzen für den Duldungspartner sein? Er kann nicht mitregieren, sondern nur mal ad hoc mitbestimmen, wie bestimmte Gesetze aussehen sollen. Also er opponiert und regiert gleichzeitig. Das soll der Wähler verstehen und sogar honorieren? Den Kuchen essen und gleichzeitig aufheben? Und sich gleichzeitig in der Opposition profilieren und zu sich selbst finden?
Kooperationsvertrag statt Koalitionsvertrag
Ganz absurd wird es, wenn ein Kooperationsvertrag statt eines Koalitionsvertrages – wie aus Kreisen der linken SPD vorgeschlagen wurde – favorisiert wird. Man bildet zwar eine gemeinsame Regierung, vereinbart aber nur wenige wichtige Kernpunkte, die man gemeinsam durchzusetzen sich verpflichtet, das Übrige soll durch wechselnde Mehrheiten dem freien Spiel der Kräfte im Parlament überlassen werden.
Das kommt mir vor, wie Fußball mit fünf Bällen und sechs Toren. Auch das wäre Dauerstress und Frust hoch drei. Planvolles Handeln ausgeschlossen. Undenkbar, wenn man an internationale Verpflichtungen, wie gegenüber der EU, denkt.
Unterm Strich bleibt eine Minderheitsregierung ein intellektuelles Glasperlenspiel. Instabiler Dauerstress – eine Horrorvorstellung für verantwortliches Regieren (und auch Opponieren) in einer großen, europäisch verankerten Demokratie.
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