Wenn am Freitag im südkoreanischen Pyoengchang das Olympische Feuer entzündet wird, dann wird die Weltöffentlichkeit Zeuge einer historischen Annäherung. Eine Delegation nordkoreanischer Sportler wird zusammen mit ihren Kollegen aus Südkorea unter der sogenannten Fahne der Vereinigung in das PyeongChang Olympic Stadium einmarschieren.
Eine Abordnung nordkoreanischer Spitzendiplomaten wird die Feier verfolgen. Unter ihnen wird keine Geringere als die Schwester des Diktators Kim Jong Un, Kim Yo Jong, sein.
Es ist das erste Mal seit Ende des Koreakrieges, dass ein Mitglied der Kim-Familie das Nachbarland besucht. Die Delegation unter Leitung des protokollarischen Staatsoberhauptes von Nordkorea, Kim Yong Nam, soll am Rande der Spiele zu Gesprächen mit dem südkoreanischen Staatsoberhaupt Moon Jea In zusammen treffen. Das Präsidialamt in Seoul hat den Termin bestätigt.
Interessen der Führung
Hinter der versöhnlichen Sportdiplomatie steckt ein durchschaubares diplomatisches Manöver. Die internationalen Sanktionen treiben den Preis für das Atomprogramm der Diktatur in die Höhe, gleichzeitig steht das Regime so isoliert wie nie auf der politischen Weltbühne. Selbst die chinesischen Verbündeten beäugen das atomare Säbelrasseln auf der koreanischen Halbinsel mit wachsendem Misstrauen und unterstützen zumindest offiziell die Sanktionen.
Die USA zeigen dem Regime weiterhin ihre Zähne, demonstrieren in Manövern mit pazifischen Alliierten militärische Entschlossenheit. Zuletzt machte US-Vizepräsident Mike Pence auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Yokota bei Tokio klar, Washington werde weiter "maximalen Druck" auf Nordkorea ausüben, um Pjöngjang zur Aufgabe seines Atomwaffenprogramms zu veranlassen.
Es ist also im Interesse der Führung in Pjöngjang, sich nun zu öffnen und zumindest den Anschein zu erwecken, sie habe ernsthaftes Interesse an einer Annäherung.
Diplomatisches Täuschungsmanöver
Die nordkoreanische Diktatur kann in zweifacher Hinsicht von einem solchen diplomatischen Manöver profitieren: Erstens entfernt sie Südkorea von seinem wichtigsten Verbündeten und schafft sich zweitens eine Art moralischen Schutzschild gegenüber den USA.
Denn einerseits nutzt Nordkorea den Wunsch des als liberal geltenden südkoreanischen Staatsoberhaupts nach Annäherung aus. Je weiter sich beide Länder aufeinander zubewegen, desto weiter bewegt sich Südkorea von seinem US-amerikanischen Verbündeten weg. Nicht von ungefähr sah sich Moon Jae In daher bemüßigt zu bekräftigen, dass seine Regierung fest zur Allianz mit Washington stehe. Das Bündnis sei die Säule für die Bemühungen, Nordkorea zum Verzicht auf sein Atomprogramm zu bringen, sagte er laut der Nachrichtenagentur Yonhap.
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Andereseits könnte sich für ein scheinbar an Frieden interessiertes Nordkorea ein zusätzlicher Effekt einstellen. Sollte sich das öffentliche Bild der kommunistischen Diktatur tatsächlich verbessern, könnte dies eine Hemmschwelle für die USA sein, einen präventiven Militärschlag zu führen. Ein Angriffskrieg gegen ein friedliches Land ist der Weltöffentlichkeit schwer zu vermitteln, selbst wenn es über Atomwaffen verfügt.
Für solche diplomatischen Schachzüge bieten die Winterspiele die ideale Bühne, ist mit Olympia doch untrennbar auch der Friedensgedanke verknüpft.
Mit Kim Yo Jong reist zudem ein Mitglied der Führungselite nach Süden, das sich auf Täuschung versteht – als Direktorin des Ministeriums für Propaganda und Agitation Nordkoreas ist sie das täglich Brot der 30-Jährigen. Die Schwester des Diktators kann zudem nach Außen ein ganz anderes Bild des Regimes vermitteln. Wo mit Kim Jong Un Arbeitslager und nukleare Drohgebärden verbunden werden, kann Kim Yo Jong mit freundlichem Auftreten punkten. Auf Fotos sieht man sie meist lächelnd im Hintergrund, während ihr Bruder Militärparaden abnimmt. Raketen, Tod und Hunger werden mit ihr nicht verknüpft.
Eine echte Chance
Doch bei allem diplomatischen Taktieren und Täuschen steckt in der bei den Winterspielen demonstrierten Annäherung auch eine Chance. Das Staatsfernsehen wird die Spiele zumindest in Ausschnitten übertragen, alleine schon um auch der eigenen Bevölkerung Friedensbereitschaft und sportliche Leistungsfähigkeit zu demonstrieren. Zwischen den Athleten der beiden Staaten können neue Kontakte, vielleicht Freundschaften, entstehen, es wird sogar eine gemeinsame Damen-Eishockeymannschaft geben.
Die Nordkoreaner, die eine Chance haben, die Eröffnungsfeier oder einzelne Wettbewerbe zu sehen, bekommen dabei die Vision eines geeinten Landes gezeigt – nicht unter der Flagge Nordkoreas sondern unter der Fahne der Vereinigung, einer hellblauen Silhouette der Halbinsel auf weißem Grund.
Dabei könnte die Idee eines friedlichen Zusammenlebens mit Südkorea, vielleicht sogar die Idee eines wiedervereinten Landes bei der Zivilbevölkerung hängen bleiben. Die Wiedervereinigung von Nord und Süd aber würde den Untergang der Kim-Dynastie bedeuten, deren Macht zu großen Teilen auf der fortwährenden Abschottung von äußeren Einflüssen und der Täuschung der eigenen Bevölkerung beruht. So könnte diese vom Regime betriebene scheinbare Annäherung tatsächlich eines Tages zu wirklichen Annäherung zwischen beiden Staaten führen.
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