Es gibt eine Koalitionsvereinbarung und den Zuschnitt für eine neue schwarz-rote Regierung. Das führt nur bei der CSU zu Zufriedenheit. Bei der CDU äußern nur wenige so direkt und offen Kritik wie der Abgeordnete Christian von Stetten. Doch der Frust sitzt viel tiefer - und es gibt eine bemerkenswerte Nähe zur SPD.
Hans Michelbach von der CSU formuliert offen, was viele in der Unionsfraktion nur hinter vorgehaltener Hand sagen: „Es ist bitter, dass das Finanzministerium für die Union verloren ist.“ Vor allem in der CDU macht sich Katerstimmung breit. Von „Offenbarungseid“ ist die Rede und von dem viel zitierten „Anfang vom Ende“.
Während Fraktionschef Volker Kauder die Koalitionsvereinbarung mit der SPD lobt, von einer „neuen Dimension von Politik für Familien“ schwärmt, davon spricht, dass Deutschland die Rolle des „Waisenknaben“ bei der Digitalisierung aufgeben werde, und Europa „nicht mehr auf uns warten“ müsse, wird im direkten Gespräche massive Kritik laut.
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Es ist in erster Linie die Verteilung der Ministerien, die für Unmut sorgt. Die inhaltlichen Vereinbarungen hält man für durchaus vertretbar. So gelten beispielsweise die Einschränkungen für die Arbeitsverträge mit sachgrundloser Befristung, um die bis zuletzt gerungen wurde, als zumutbar für die Wirtschaft. Und dass zum Bereich der Gesundheitsversorgung eine Kommission eingesetzt werden soll, die über eine Angleichung von gesetzlicher und privater Versorgung beraten soll, erscheint ungefährlich.
Den Streit um den Familiennachzug sieht man ohnehin im Sinne der Union entschieden. Doch die Ressortverteilung wird als Kniefall gewertet – vor der SPD wie übrigens auch vor der CSU. Denn kritische Stimmen sagen, der kleinere Koalitionspartner habe die größten inhaltlichen Angriffe der SPD abgewehrt. So sei es vor allem die CSU gewesen, die die harte Linie beim Thema Zuwanderung durchgehalten habe. Bei der Ämterverteilung dann haben die Bayern ihr eigenes Schäflein ins Trockene gebracht.
Schwache Ministerien für die Kanzlerpartei
Und für die CDU blieben vergleichsweise schwache Ministerien übrig. Das Verteidigungsressort hat wirklich Gewicht. Doch auch wenn das Wirtschaftsministerium einiges an Gestaltungsmöglichkeit bietet, es ist längst nicht so einflussreich wie das Finanzministerium. Unter Wolfgang Schäuble und dem kommissarisch tätigen Peter Altmaier war das ein Garant für die schwarze Null, die die CDU in den vergangenen Jahren zum Kern ihrer Politik gemacht hat. Dass das unter Olaf Scholz so bleibt, ist nicht garantiert. Zumindest würde es nicht unbedingt bei der Union weiter einzahlen.
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Denn eines ist den Abgeordneten von CDU und CSU klar: Die SPD wird in dieser Regierung mit den Muskeln spielen. Sie kann als Volkspartei nur gesunden, wenn sie aus dieser großen Koalition als Gewinner hervorgeht. Ob es dagegen gelingt, mit den Ministerien für Gesundheit, Landwirtschaft und Bildung zu punkten, gilt als fraglich. Der Wirtschaftsrat der CDU formuliert das offen: "Die Ressortverteilung spiegelt in keiner Weise das Wahlergebnis wider", erklärte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Mit den Ressorts für Arbeit und Soziales sowie für Familien, Frauen, Senioren und Jugend gingen die ausgabenträchtigsten Ministerien an die SPD.
Viele kritische Bemerkungen zu Merkel
Es ist bezeichnend, dass sich niemand offen dazu äußert. Die CDU sei nun mal keine rebellische Partei, heißt es. Deshalb blieb es am Mittwochnachmittag in der Fraktionssitzung auch weitgehend ruhig, deshalb geht man auch davon aus, dass der Parteitag, der den Koalitionsvertrag billigen muss, diesem auch zustimmen wird.
Aber es gibt viele kritische Bemerkungen nach der Devise, Angela Merkel sei es um den Machterhalt um jeden Preis gegangen. „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt“, hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting am Morgen getwittert. Der Satz wird mit bitterer Miene immer wieder erwähnt. Das Verhandlungsergebnis zeige, dass es Merkel in erster Linie darum gegangen sei, jetzt eine vierte Koalition auf den Weg zu bringen – nicht zuletzt, um die eigene Position zu festigen.
"Was wäre wenn": Frage steht im Raum
Denn das „Was wäre wenn“ steht natürlich im Raum. Wäre Merkel selbstverständlich wieder die Nummer eins im Falle von Neuwahlen? Schon bis gestern war das offenbar nicht so. Nun aber sind die Zweifel gewachsen, dass es eine erneute Kandidatur dieser Kanzlerin für das Spitzenamt geben könnte. Zwar taucht sofort die Frage nach der Alternative auf – und bleibt unbeantwortet.
Die Ressortverteilung wird allerdings nicht nur im Licht von heute gesehen, sondern auch perspektivisch: Mit Olaf Scholz habe die SPD einen potentiellen Kanzlerkandidaten, mit Andrea Nahles eine potentielle Kanzlerkandidatin. Und die Union? Wer soll sie 2021 vertreten, wenn die Koalition überhaupt so lange hält? Nicht nur die SPD steckt in einer Krise.
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