Der Theologe Frank Richter war einer der maßgeblichen Vermittler, als die Pegida-Bewegung Dresden und Deutschland spaltete. In einem Buch will er nun vermitteln, dass die Spirale der Eskalation durch Kommunikation angehalten werden kann. FOCUS Online hat mit ihm über seine wichtigsten Thesen gesprochen.
FOCUS Online: Herr Richter, Ihr bald erscheinendes Buch heißt „Hört endlich zu“. Haben Sie zu Beginn der Pegida-Demonstrationen die Anliegen der Menschen ernst genommen, ihnen zugehört?
Frank Richter: Ja, ich habe den Dialog gesucht. Dennoch habe ich – wie viele andere auch - einen großen Fehler gemacht: Das äußere Erscheinungsbild, die Teilnahme von bekannten Rechtsextremen, die aggressive Stimmung, haben mich dazu gebracht, die Unterschiedlichkeit der Demonstranten zu übersehen und ihre Motive falsch einzuschätzen. Ich sah Pegida in Gänze als den Aufmarsch von Neonazis. Das stimmte nicht.
FOCUS Online: Wieso?
Richter: Im Januar 2015 demonstrierten 25 000 Menschen durch Dresden. Das waren nicht 25.000 Neonazis, wahrlich nicht. Es haben gerade in der ersten Phase höchst unterschiedliche Menschen teilgenommen, so genannte „normale“ Leute: die Zahnarzthelferin, der Handwerker, der Akademiker. Mich überraschte, wie intensiv sie ihren Unmut gegenüber Politik und Medien zum Ausdruck brachten, sich dabei auf die Montagsdemonstrationen von 1989 beriefen und gemeinsam Slogans benützten wie „Wir sind das Volk“. Es war aber keine einheitliche Gruppe.
Frank Richter
Frank Richter, geboren 1960 in Meißen, ist ein deutscher Theologe. Seit Februar 2017 ist er Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche in Dresden. In der Friedlichen Revolution in der DDR wurde er als Gründer der Gruppe der 20 in Dresden bekannt. Richter war von 2009 bis Anfang 2017 Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Seit die Pegida-Bewegung demonstrierte, setzte er sich für Gespräche mit der Führung und den Unterstützern der Bewegung ein. Sein Buch „Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet. Eine Streitschrift“ erscheint am 9. März 2018 beim Ullstein-Verlag.
FOCUS Online: Was genau haben Sie erfahren?
Richter: Die Menschen fühlten sich nicht unbedingt von der Politik im Allgemeinen, sondern konkret von der Verwaltung herablassend behandelt. Sie beklagten zum Beispiel, nicht einbezogen zu werden bei Standort-Entscheidungen für Asylbewerberheime.
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FOCUS Online: Sie plädieren in Ihrem Buch für Kommunikation als Lösungsstrategie gegen aufkommenden Rechtsextremismus. Können Sie ein Beispiel nennen, wie das konkret funktionieren soll?
Richter: In der sächsischen Stadt Schneeberg gab es 2013 deutlich rechtsextrem gefärbte Demonstrationen, Fackelmärsche mit eindeutiger Konnotation. Der Protest richtete sich gegen Zuwanderung. Bürgermeister Stimpel bat mich, Veranstaltungen zu organisieren, um mit den Schneeberger Bürgern ins Gespräch zu kommen. Es gab insgesamt sieben Versammlungen. In diesen konnten die Bürger ihre Ängste, ihre Fragen und auch ihren Frust loswerden. Wir von der Landeszentrale für politische Bildung haben Klagemauer gespielt. Letztlich ging es in vielen Fällen gar nicht um das Thema Asyl, die Menschen haben sich etwa auch über Unterrichts-Ausfälle an den Schulen beschwert.
FOCUS Online: Und was ist nach dem Zuhören passiert?
Richter: Nachdem sich negative Gefühle und die Haltung der Destruktion abgebaut hatten, entwickelten sich das zivilgesellschaftliches Bewusstsein und das bürgerschaftliches Engagement. Manche sagten: ‚Wie gut, dass wir diesen Konflikt hatten, so engagiert war unser Ort noch nie.‘
FOCUS Online: Wie sah dieses Engagement aus? Haben sich Rechte ehrenamtlich um Flüchtlinge gekümmert?
Richter: Das sicher nicht. Aber viele, die vorher zur schweigenden Mehrheit gehörten, äußerten sich zunehmend selbstbewusst und engagierten sich konstruktiv in der Integrationsarbeit.
"Rechtspopulisten suchen und brauchen den Kampfmodus"
FOCUS Online: Das unterstreicht die These aus Ihrem Buch, „Wut kann zur konstruktiven Kraft werden“.
Richter: Genau. Nur wenn man Wut unterdrückt, entwickelt sie sich zu Hass. Das ist möglicherweise eine einfache Hausfrauen-Psychologie; aber sie trifft zu.
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FOCUS Online: Es gibt eine ideologische Schnittmenge zwischen Pegida und der AfD. Und auch in der Diskussion um die AfD geht es viel um die Frage: Wie geht man am besten mit ihren Vertretern um: Offen konfrontieren oder ignorieren?
Richter: Der Einzug der AfD in die Parlamente, auch in den Bundestag, belegt im Prinzip die Funktionsstärke unserer politischen Ordnung. Wenn Probleme von den Etablierten nicht aufgegriffen werden, suchen sie sich alternative politische Orte. Aus Stimmungen werden Stimmen; aus Stimmen werden Mandate.
FOCUS Online: Aber auch wenn Sie für einen entspannten Umgang mit dem Einzug der AfD in die Parlamente plädieren, sehen es viele als Problem, dass die AfD dort eine große Plattform für ihre oft feindseligen Äußerungen haben.
Richter: Rechtspopulisten suchen und brauchen den Kampfmodus. Demokraten müssen sich nicht provozieren lassen. Manche Auseinandersetzung freilich müssen sie annehmen, um zu zeigen, dass Populisten Probleme zwar benennen, meistens aber keine tragfähigen Lösungen anbieten können.
"Beheimatung ist etwas sehr Wichtiges"
FOCUS Online: Geht der gerade beschlossene Koalitionsvertrag von Union und SPD in die richtige Richtung? Zeigen die Parteien, dass sie die Sorgen der Bürger, die Sie beschrieben haben, verstanden haben?
Richter: Ich brauche nicht die AfD um festzustellen, dass es zu wenige Polizisten und zu wenige Lehrer in Deutschland gibt. Der Staat hat sich aus wichtigen Funktionen zurückgezogen und Vertrauen verspielt. Deshalb geht die Politik hier in die richtige Richtung. Sie sollte es aus eigener Autorität tun, nicht getrieben von Rechtspopulisten. Jede Konnotation, die ins Rechtspopulistische geht, sollte vermieden werden.
FOCUS Online: Gilt das auch für den Begriff „Heimatministerium“, wie das neue Ressort von Horst Seehofer heißen soll?
Richter: Ich persönlich halte nichts davon, den Begriff Heimat für ein Ministerium zu verwenden. Aber in der Substanz ist es richtig: Politik muss zeigen, dass Beheimatung etwas sehr Wichtiges ist. Wir brauchen in einer komplexen, unübersichtlichen und konfliktgeladenen Welt Orte der Sicherheit und der Vertrautheit, überschaubare Verantwortungsbereiche.
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