Ja, ich weiß: Martin Schulz hat gesagt, dass es keine große Koalition geben wird und dass er niemals in eine Regierung Merkel eintreten wird. Das war weder vorausschauend noch clever – was in der Politik allerdings noch kein Alleinstellungsmerkmal ist.
Jetzt ist alles anders. Union und SPD verhandeln seit dem 7. Januar über ein erneutes Bündnis. Nach dem mühsam erkämpften Sondierungspapier stehen sie nun kurz vor einem Koalitionsvertrag, über den dann allerdings noch die SPD-Basis abstimmen muss.
Argumentation offenbart problematische Haltung
Schon bevor es so weit ist, werden in der SPD Stimmen laut, die von Martin Schulz einen Verzicht auf ein Ministeramt fordern. Der Parteivorsitzende müsse sich nun um die Erneuerung der Partei kümmern und dürfe sich deshalb nicht durchs lästige Mitregieren einengen lassen. Das offenbart eine problematische Haltung: Offenbar denken manche Genossen, es reiche, die halbe Partei in eine Koalition zu schicken – und die andere Hälfte Opposition machen zu lassen. Aber wie soll das gehen?
Und wer sagt eigentlich, dass Erneuerung nur in der Opposition möglich ist? Müsste es nicht umgekehrt der Anspruch einer Volkspartei sein, sich selbst durch entschlossenes Handeln in der Regierung zur erneuern?
Im Video: Angeblich geheime Absprache: Will die SPD Schulz zum Außenminister machen?
Schulz hat vieles falsch gemacht – und dann hart gekämpft
Martin Schulz hat vieles falsch gemacht, sowohl im Wahlkampf als auch nach der Wahl. Aber seit sich seine Partei entschlossen hat, der GroKo noch eine Chance zu geben, hat er mit vollem Einsatz dafür gekämpft. Zunächst in den Sondierungsgesprächen, wo er Seite an Seite mit der derzeit deutlich stärkeren Andrea Nahles versuchte, so viele sozialdemokratische Inhalte wie möglich durchzusetzen.
Als das Papier vorlag, reiste er trotz offensichtlicher Erschöpfung durch das Land und warb dafür, dass die Delegierten der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen. Intern schimpfte Schulz über die Heckenschützen aus der eigenen Partei, die die Sondierungsergebnisse schlechtredeten und Nachbesserungen forderten, nach außen biss er sich auf die Zunge.
Man kann ihm viel nachsagen – aber nicht, dass er nicht alles gibt
Vor dem so wichtigen Sonderparteitag war Schulz erkältet, hatte Schüttelfrost. Trotzdem zog er das anstrengende Programm durch, auch wenn seine Rede eher schwach ausfiel. Erst nach dem denkbar knappen Sieg gönnte sich Schulz auf ärztlichen Rat ein wenig Ruhe, bevor er mit seiner Partei in die Koalitionsverhandlungen startete. Man kann ihm vieles nachsagen, aber nicht, dass er jetzt nicht alles gibt, um dieses dramatische Kapitel für die SPD zu einem guten Ende zu bringen.
Ob es ihm dabei auch um die eigene Zukunft geht? Mit Sicherheit. Aber für wen gilt das nicht? Wenn die SPD sich vor dem Mitgliederentscheid allein auf die Personalie Schulz versteift, agiert sie das nächste Mal an den Interessen der Wähler vorbei. Statt zu überlegen, wie die Partei in der großen Koalition möglichst wenig Schaden nehmen kann, sollte sie es sich zur Aufgabe machen, dort möglichst viel für unser Land zu erreichen. Angesichts dessen bleibt keine Zeit für Nebenkriegsschauplätze.
Diese Herausforderung ist gewaltig und könnte über das Schicksal der traditionsreichen Partei entscheiden. Die SPD kann sich nicht sicher sein, dass dies gelingt – aber sie sollte sich am Ende der Legislaturperiode wenigstens nicht vorwerfen müssen, dass sie es nicht versucht hat. Martin Schulz kann das zumindest für die vergangenen Wochen für sich in Anspruch nehmen.
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