2003 stritt Fereshta Ludin um ihr Recht, als Lehrerin im Staatsdienst ein Kopftuch tragen zu dürfen. Sie war die erste Muslima, die das in Deutschland tat. In Baden-Württemberg, wo Ludin einst lehrte, gilt das sogenannte Neutralitätsgebot. Es verbietet Staatsbediensteten das Tragen religiöser Symbole.
Ludin weigert sich bis heute aus Glaubensgründen, im Unterricht ihr Kopftuch abzunehmen. Eine Anstellung als Lehrerin wurde ihr deshalb in Baden-Württemberg verweigert. Vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte die Lehrerin mit ihrer Klage, die Richter bestätigten damals das Kopftuchverbot. 2015 kippte das Verfassungsgericht ein pauschales Verbot.
„Ich will meine Menschenwürde zurück“
Die heute 45-Jährige wurde zum Symbolfigur des Kopftuchstreits, der nach dem Urteil von 2015 immer wieder an deutschen Schulen aufflammt. In einem offenen Brief, den der „Tagesspiegel“ nun veröffentlicht hat, schreibt Ludin über die Diskriminierung, die sie und andere Muslimas ihrer Meinung nach im Rahmen der Kopftuchdebatte erlebt hat. Die Pädagogin klagt an: „Ich will meine Menschenwürde zurück“.
Ihren Brief richtet Ludin an alle Befürworter des Neutralitätsgesetzes, die ihrer Ansicht nach ein falsches Verständnis von Kopftuchträgerinnen haben. „Die Muslima unter diesem Stück Stoff steht für alles Niedere, Minderwertige, sie ist unterdrückt, nicht gleichberechtigt, arm, ungebildet, altmodisch, hilfsbedürftig, orientalisch, hinterwäldlerisch, zurückgeblieben, fanatisch und altertümlich. Also all das, wovon man/frau sich gern distanziert, um nicht in falschem, seltsamen, bedrohlichen Licht zu erscheinen“, schreibt Ludin in Richtung der Kopftuchgegner – und räumt gleichzeitig mit diesen Vorurteilen auf.
Ludin prangert doppelte Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen an
Die Pädagogin schreibt, dass die meisten Frauen aus freien Stücken ein Kopftuch tragen würden, es Teil ihrer Selbstbestimmung sei. „Wir sind Menschen mit einem hohen Anspruch an Emanzipation, Würde und Liberalität. Wir glauben an die Demokratie. Wir glauben an die Verfassung. Und wir glauben an die Grundrechte darin, die auch uns zustehen und auch für uns, für dich und mich geschaffen sind. Unser Körper gehört uns“, so die Lehrerin. Sie prangert an, dass Muslimas ihrer Meinung nach Opfer einer doppelten Diskriminierung seien.
Ludin schreibt: „Bedrohlich ist vor allem, dass eine Gruppe von Frauen, die bereits als Frauen Diskriminierungen erfahren, noch mehr Diskriminierung erleiden, weil sie mit Kopftuch, egal ob sie kulturelle oder religiöse Gründe dafür haben, nicht arbeiten dürfen und schon gar nicht als Vorbilder oder Repräsentantinnen eines Staates toleriert und geduldet werden.“ Bedrohlich sei es, wenn eine Gesellschaft in ein Tuch derart viel projiziert, „dass die Trägerin nicht mehr als Mensch wahrgenommen wird“.
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Deshalb wünscht sich die Muslima offenbar ein Ende des Neutralitätsgebots – aber noch viel mehr ein Umdenken der Menschen. „Ich möchte in Würde leben und arbeiten, als Teil der Gesellschaft gleichberechtigt und gleichgestellt mitwirken. Auf Augenhöhe“, lautet Ludins eindringlicher Appell.
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