Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks legten Schreckliches offen: In zwei Flüchtlingsunterkünften in Sachsen-Anhalt sollen Betreuer ihre Schützlinge angegriffen haben – verbal und körperlich.
Davon angeblich betroffen: eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bad Suderode sowie eine Asylunterkunft in Wendefurt.
„Haben mich so heftig geschlagen, dass ich nicht mehr aufstehen konnte“
Dort schilderte ein ehemaliger Bewohner dem Sender: „Sie haben sofort angefangen, mich zu schlagen, es waren zwei bis drei Leute von der Security, sie haben mich so heftig geschlagen, dass ich nicht mehr aufstehen konnte.“ Mitarbeiter und Heimbetreuer der beiden Unterkünfte leugnen die Anschuldigungen bislang.
Hemmungen, Gewalttaten zu melden, sind groß
Kommt es zu Gewalttaten, zeigen Flüchtlinge sie so gut wie nie an. Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat in Sachsen-Anhalt nennt dem MDR mögliche Gründe dafür: So seien die Hürden für Anzeigen nach Gewalt durch Heimmitarbeiter zu hoch – vor allem weil die Flüchtlinge in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Betreuern stünden.
Mürbe verlangt deshalb „verbindliche Gewaltschutzkonzepte“ für die Unterbringung von Flüchtlingen. Ihrer Forderung haben sich die Flüchtlingsräte in Sachsen-Anhalt und Thüringen laut Bericht angeschlossen.
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NRW-Schutzkonzept als Vorbild für andere Bundesländer
Tatsächlich existiert ein solches Schutzkonzept bereits: Im März 2017 legte die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein „Landesgewaltschutzkonzept“ vor. Es sieht unter anderem unabhängige Beschwerdestellen in den Aufnahmeeinrichtungen vor – und soll als Vorbild dienen, wie ein Sprecher des sächsischen Flüchtlingsrates dem MDR erklärte.
Das NRW-Schutzkonzept, das für alle Unterkünfte im Land verbindlich ist, soll Flüchtlinge vor allem durch präventive Maßnahmen vor Gewalt schützen.
• Info-Center als erste Anlauf- und Beschwerdestelle
Um das Risiko gewaltsamer Übergriffe – auch von Seiten der Betreuer – zu minimieren, setzt das Schutzkonzept auf Meldesysteme. Eine Art Info-Center oder auch Rezeption soll unter anderem auch erste Anlaufstelle für Notfälle jeglicher Art sein und als Beschwerdestelle fungieren. Doch auch in Wach-, Dusch-, und Umkleideräume gebe es Notrufsysteme, über die sich die Flüchtlinge bemerkbar machen können. Schlafräume sollen, sofern möglich, zum Schutz vor Angreifern abschließbar sein.
• Regelmäßige Schulungen für das Heimpersonal
Das Personal in den Heimen werde „durch den jeweiligen Betreuungsverband durch Schulungen oder Fortbildungen“ für den Umgang mit Flüchtlingen qualifiziert. Im Rahmen der Ausbildung finden laut Konzept Supervisionen für die Mitarbeiter statt, man wolle die Betreuer für Abhängigkeitsstrukturen sensibilisieren – und ihnen den richtigen Umgang damit vermitteln.
• Enge Zusammenarbeit mit der Polizei
Der Sicherheitsdienst soll die Asylunterkünfte „vor Angriffen von außen“ schützen, „aber vor allem zum Schutz der Bewohner innerhalb der Einrichtung“ wirken. In NRW arbeitet das Sicherheitspersonal eng mit der Polizei zusammen – sie müssen „in regelmäßigen Abständen“ ein Führungszeugnis vorlegen, um so Körperverletzungen, den Missbrauch von Betäubungsmitteln, Sexual- und Staatsschutzdelikte auszuschließen. Gleiches gilt für ehrenamtliche Helfer.
Schutzkonzept kann das Abhängigkeitsverhältnis nicht vollständig auflösen
Damit all diese Maßnahmen zur Gewaltprävention greifen, ist und bleibt Voraussetzung, dass die Mehrheit der Mitarbeiter angedrohte oder bereits stattgefundene Gewalt ernst nimmt und entsprechend meldet. Schließlich lässt sich das Abhängigkeitsverhältnis von Flüchtlingen zu ihren Betreuern nicht vollständig auflösen. Ein Schutzkonzept, das auf Meldesysteme setzt, kann, wie jeder andere Plan, nur dann wirken, wenn es auch beachtet wird.
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