Martin Schulz wusste, bei wem er sich bedanken muss: Gerade hatten die Delegierten eines SPD-Sonderparteitages in Bonn der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union zugestimmt. Da umarmte der SPD-Vorsitzende seine Nebensitzerin und knuffte sie.
Mit ihrer mitreißenden Rede hatte Nahles die Stimmung im Saal wenige Stunden zuvor herumgerissen, nachdem Schulz bei seinem Auftritt wenig Begeisterung für die GroKo ausgelöst hatte. Spätestens seit jenem Sonntag Mitte Januar war auch für Außenstehende deutlich, dass es innerhalb der SPD eine neue Hackordnung gibt. Nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen wird diese nun auch offiziell: Andrea Nahles soll neue SPD-Vorsitzende werden.
Nahles hat sich damit in eine taktisch optimale Position manövriert. Sie ist seit der Wahl bereits Fraktionsvorsitzende, ein enorm einflussreiches Amt. Sollten die SPD-Mitglieder den GroKo-Plan beim Mitgliederentscheid doch noch vereiteln, wäre sie Oppositionsführerin. Und wenn die SPD-Basis der GroKo ihren Segen gibt, ist die Regierung davon abhängig, dass Nahles die Gesetzes-Vorhaben bei den SPD-Abgeordneten durchdrückt.
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Nahles kann attackieren
Da Nahles aber nicht Teil der Regierung ist, kann sie stets eine kritische Distanz zu derselben bewahren. Ein sowohl kurz- als auch langfristig wichtiges Detail. Sie kann so in den nächsten Wochen bei den SPD-Mitgliedern viel glaubwürdiger für die GroKo werben als Martin Schulz, der viel Rückendeckung bei den Genossen verloren hat. Nach der Abstimmung kann sie die notwendige und bereits von Schulz angekündigte Neuorientierung der SPD viel vehementer vorantreiben, als ein in die Regierungsgeschäfte eingebundener Minister.
Da sie als Parteivorsitzende auch den ersten Zugriff auf die Spitzenkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl hat, erleichtert sie sich auch langfristig die Arbeit. Denn sie gerät nicht in die Gefahr, in der Regierungsarbeit zerrieben zu werden – eine der größten Ängste und GroKo-Kritikpunkte innerhalb der SPD. Nahles kann die Union im nächsten Wahlkampf viel befreiter attackieren, als wenn sie mit den Unions-Politikern auf der Regierungsbank säße.
Scholz war großer Kritiker von Schulz
Auf der Regierungsbank Platz nehmen wird Nahles wichtigster Verbündeter: Olaf Scholz soll Finanzminister und wohl auch Vizekanzler werden. Für Hamburgs Regierenden Bürgermeister ist dies ein steiler politischer Aufstieg, obwohl er bereits als Arbeitsminister im ersten GroKo-Kabinett von Angela Merkel diente. Galt früher das Außenministerium als wichtigstes Amt neben dem des Kanzlers, ist im Zuge der Finanzkrise und durch das energische Auftreten von Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble das Finanzministerium zum zweiten Machtzentrum der deutschen Regierung geworden.
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In diesem Machtzentrum wird demnächst wohl Scholz sitzen. Während er nach der Wahl zu einem der größten parteiinternen Kritiker von Martin Schulz und dessen verpatztem Wahlkampf wurde, pflegt er mit der neuen Parteichefin Andrea Nahles seit Jahren eine gute Beziehung. Zwar kommt die ehemalige Juso-Chefin Nahles aus dem linken Flügel der Partei, während Scholz als Verbündeter von Altkanzler Gerhard Schröder eher den Konservativen in der SPD zugerechnet wird. Doch Nahles ist spätestens seit ihrer Zeit als Arbeitsministerin nicht mehr die klassische SPD-Linke.
Mit Scholz verbindet sie ein informelles Bündnis, die beiden können gut miteinander. Nach der Wahl kursierte sogar das Gerücht, Scholz könnte für den Parteivorsitz kandidieren und aus dieser Position heraus ein Tandem mit Nahles bilden. Nun fungiert er wohl demnächst als der direkte Draht der neuen Parteichefin in die Regierung, garantiert Nahles den direkten Zugriff auf die GroKo und stärkt damit deren Position zusätzlich. Auch gegenüber Angela Merkel.
Braucht Nahles bald Schulz?
In Berlin gilt als sicher, dass die CDU-Vorsitzende nun ihre letzte Amtszeit als Kanzlerin antritt. Sie ist sowohl innerhalb ihrer eigenen Partei als auch außerhalb des Konrad-Adenauer-Hauses geschwächt und wird nur zusehen können, wie sich Nahles auf den Weg macht, die mächtigste Frau Deutschlands zu werden.
Spannend wird in den kommenden Monaten, wie sich das Verhältnis zwischen Nahles und Scholz auf der einen Seite und Noch-Parteichef Martin Schulz auf der anderen entwickeln wird. Zwar verfügt das Tandem Nahles-Scholz über eine sehr solide Machtbasis. Doch Schulz hat in den intensiven Wahlkampfmonaten eine eigene Mannschaft innerhalb der SPD-Zentrale aufgebaut und dürfte auch weiterhin über gute Verbindungen in das Willy-Brandt-Haus verfügen. Zudem wird er als wahrscheinlicher Außenminister eine nach wie vor einflussreiche Position innehaben, kann mit der Europapolitik ein Thema verantworten, welches der SPD wichtig ist und dürfte in seinem Amt, wie seine Vorgänger auch, an Beliebtheit gewinnen.
Nahles könnte dann demnächst auch Schulz‘ Unterstützung brauchen. Dann könnte es wieder zu einer Szene wie in Bonn kommen. Mit vertauschten Rollen.
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