Einen Tag nach der fundamentalen Abrechnung Sigmar Gabriels mit der SPD-Parteispitze zeigen sich die ersten Folgen: Martin Schulz wird auf das Außenministerium verzichten. Ob Gabriel nun doch zum Zug kommt, ist noch unklar. Sicher ist nur: Aus Ärger nimmt er in Kauf, dass die Partei zerstört wird, für deren Überleben er jahrelang gekämpft hat.
Nach sieben Jahren unter Kanzler Gerhard Schröder und der Zerreißprobe Agenda 2010 war die SPD eine zerrüttete Partei. Dass Angela Merkels Union die SPD bei den von Schröder angezettelten Neuwahlen nur überraschend knapp geschlagen hatte und sich die Sozialdemokraten als Juniorpartner in eine große Koalition retten konnten, verdeckte höchstens vorübergehend die tiefen Risse in der Partei.
Mit seinem Umbau des Sozialstaats hat Schröder die Basis für Deutschlands gute wirtschaftliche Entwicklung in den folgenden Jahren gelegt – zugleich jedoch viele Genossenseelen zutiefst geschunden. Die SPD verfluchte ihren eigenen Erfolg und blickte mit tiefem Groll auf Schröder, der ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der eigenen Partei („Frauen und Gedöns“) eine stark auf seine Person aufgerichtete Basta-Politik verfolgt hatte.
Gabriel arbeitete hart und nahm sich selbst zurück
Nach der Wahl 2005 war Schröder erledigt. Und den verbliebenen Spitzengenossen stellte sich die Frage, wer die Partei nun führen könnte. Schon vorher hatte Schröder dem wachsenden Unmut Tribut zollen müssen und den Parteivorsitz an Franz Müntefering abgegeben. In schneller Folge verschoss die Partei drei weitere Vorsitzende: Matthias Platzeck, Kurt Beck und Frank-Walter Steinmeier. Nach einem kurzen Rückspiel von Müntefering übernahm 2009 schließlich Sigmar Gabriel.
Er blieb es für siebeneinhalb Jahre. In der großen Koalition hatte er als Umweltminister gedient – nun verschrieb er sich ganz dem Wiederaufbau der Partei. Gabriel suchte wieder den Austausch mit der Basis, versuchte der Partei ihre sozialdemokratische Identität wieder zu geben. Er arbeitete hart und nahm sich dabei selbst zurück, auch wenn er – wie sich später häufig zeigte – durchaus einen Hang zu Provokationen hat.
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Gabriel verschrieb sich dem Wiederaufbau seiner Partei und ließ drei Mal anderen den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur – obwohl er als Vorsitzender das Erstzugriffsrecht gehabt hätte. Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier konnten die SPD bei den Bundestagswahlen nicht zu alter Stärke zurückführen.
Ließ heimliche Umfragen zu seiner Beliebtheit erstellen
Ende 2016 stand Gabriel vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte er noch ein weiteres Mal auf die Kandidatur verzichten oder es selbst probieren? Der Vizekanzler machte sich die Entscheidung nicht leicht, ließ geheime Umfragen zu seiner Beliebtheit erstellen – und schickte schließlich Martin Schulz ins Rennen. Gabriel wechselte vom Wirtschaftsministerium ins Auswärtige Amt und soll von Schulz die Zusage erhalten haben, dass er dort auch in einer neuen GroKo würde bleiben können.
Es kam alles anders. Nach einem anfänglichen Schulz-Hype stürzte die SPD mit ihrem Kandidaten in den Umfragen ab – Gabriel hingegen gewann im neuen Amt zunehmend an Popularität. Nach der Wahlschlappe seiner Partei war der früher schwer vermittelbare Gabriel sogar plötzlich der beliebteste Politiker. Der neue Außenminister, der eigentlich nicht gerade für seine diplomatische Art bekannt ist, schlug sich gut als Chefdiplomat und genoss sein neues Amt sichtlich. Umso lieber wollte er es behalten.
Gabriel macht mit seiner Abrechnung weitere Flanke auf
Doch im dramatischen Finale der Koalitionsverhandlungen griff sich Schulz selbst den Posten des Außenministers und gab dafür den Parteivorsitz auf, Gabriel ging leer aus. Das konnte der 58-Jährige offenbar nicht auf sich sitzen lassen. Im Interview mit der Funke-Mediengruppe rechnete er am Donnerstag mit Schulz und seiner Partei ab: „Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt.“
Die Enttäuschung Gabriels ist verständlich. Trotzdem ist der Schritt, sie in die Öffentlichkeit zu tragen, bemerkenswert. Die SPD liegt am Boden. In Umfragen hat sie die magische 20-Prozent-Marke unterschritten, der Abwärtstrend bei den Wählern ist ungebremst. In der Frage ob Opposition oder GroKo ist sie zerstritten, die Jusos fahren eine aggressive Kampagne gegen eine erneute Regierungsbeteiligung. Indem er der Parteispitze die Integrität abspricht, macht Gabriel in dieser heiklen Situation noch eine weitere Flanke auf, die seiner Partei das Genick brechen könnte.
Bankrotterklärung für Schulz
Die ersten Folgen der Demontage sind bereits zu beobachten: Schulz ist in der eigenen Partei offenbar so sehr unter Druck geraten, dass er nun auf das Außenministerium verzichten will. Dass der Noch-Vorsitzende nicht in der Lage war, den Widerstand gegen seine Entscheidung im Vorhinein auszuloten und die Konsequenzen richtig einzuschätzen, ist eine Bankrotterklärung für ihn selbst. Und auch für die restliche Parteispitze, die ihn einerseits nicht vor der Bekanntmachung stoppte – aber andererseits danach nicht die Konsequenz und Disziplin hatte, sich damit zu arrangieren. Die Spitzenmannschaft, die nun alle Kraft braucht, um das bevorstehende Mitgliedervotum durchzubringen, gibt ein desaströses Bild ab.
Gabriel hat diese Entwicklung mit seinen Äußerungen bewusst befeuert. Ob ihm er dadurch doch wieder eine Chance auf das Außenministerium bekommt oder nun beide Kandidaten verbrannt sind und ein Dritter das Amt übernehmen wird, ist offen. Klar ist nur: Gabriel ist ein hohes Risiko eingegangen. Aus Ärger nimmt er in Kauf, dass die Partei zerstört wird, für deren Überleben er jahrelang gekämpft hat.
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