Union und SPD gehen mit einem gemeinsamen Signal beim Familiennachzug für Flüchtlinge in die Endphase ihrer Koalitionsverhandlungen. So kommentiert die deutsche Presse den Kompromiss zum Familiennachzug.
„Es ist im Eigeninteresse Deutschlands, wenn sich Kriegsflüchtlinge gut integrieren“
„Mittelbayerische Zeitung“: Natürlich ist Zuwanderung ein ernstes Thema und braucht politische Entscheidungen. Aber den Nachzug einschränken, ist falsch. Zumal es keineswegs um den millionenfachen Zuzug geht, den die AfD alarmistisch verkündet hat. Sondern nur um 50000 bis 60000 Menschen. Migrationsforscher betonen, wie elementar das Zusammensein mit der eigenen Familie für eine gelungene Integration ist. Wer einwendet, der Nachzug würde Geflüchtete zusätzlich an Deutschland binden, übersieht, dass es sich bei den meisten um Kriegsflüchtlinge handelt. Sie können nicht nach Hause, denn in Syrien sieht es nicht nach raschem Frieden aus. Es ist also im Eigeninteresse Deutschlands, wenn sie sich hier gut integrieren.
„Krokodilstränen bei der SPD“
„Badisches Tagblatt“: Und auch wenn es in den Reihen der SPD neben ein paar echten Tränen viele Krokodilstränen gegeben haben dürfte – so ganz unglücklich dürften die Fraktion und die Mehrheit der Parteimitglieder über diesen humanitären Kompromiss nicht sein. Und er taugt allemal dazu, die schwankenden Mitglieder von der Sinnhaftigkeit einer Regierungsbeteiligung überzeugen zu können. Grundsätzlich kann man das Ergebnis zwar wieder kleinreden – und das halb leere Glas beweinen, wie es gute sozialdemokratische Tradition geworden ist. Aber es ist jetzt an der Zeit, der Nörgelfraktion das Ruder aus der Hand zu nehmen: Die SPD-Führung kann mit Recht auf das halb volle Glas zeigen, das man der Union abgetrotzt hat.
„Die Neuregelung löst kein einziges Problem“
„Lübecker Nachrichten“: Die Frage des Familiennachzugs wurde mit so viel Eifer und Borniertheit zur Zukunftsfrage dieses Landes stilisiert, dass man jetzt nur verblüfft auf das mickrige Resultat blicken kann. Das Bohei, das um dieses Gesetz gemacht worden ist, ist gewiss kein verlässlicher Indikator für seinen Nutzen. Die Neuregelung des Familiennachzugs löst jedenfalls kein einziges Problem – kein Problem von Einwanderern, kein Problem von Union und SPD und auch kein Problem des Landes.
„Schulz und Nahles können froh sein, dass sich die Union durchgesetzt hat“
„Straubinger Tagblatt“: In der SPD-Klientel sind viele nicht der Ansicht, dass Deutschland wesentlich mehr Menschen aufnehmen sollte. Selbst wenn es sich um Angehörige von Flüchtlinge handelt, die bereits hier leben. Deshalb können Martin Schulz und Andrea Nahles sogar froh sein, dass sich in dieser Frage die Union durchgesetzt hat, nicht der SPD-Linke Ralf Stegner. Dennoch müssen die Sozialdemokraten nun mit dem Makel leben, dass sie bei einem Thema, dem sie selbst eine enorme Bedeutung verliehen haben, eine krachende Niederlage einstecken mussten. Dass Schulz danach trotzig behauptet hat, seine Partei habe sich durchgesetzt, hat es nicht besser gemacht.
„Die erste Feuertaufe ist bestanden“
„Südkurier“: Das gab es so noch nie im Deutschen Bundestag: Die große Koalition beschließt Gesetze, obwohl sie noch gar nicht unter Dach und Fach ist. Mit den Stimmen von Union und SPD hat der Bundestag die Neuregelung des Familiennachzugs für Flüchtlinge auf den Weg gebracht. An dieser Frage wird ein schwarz-rotes Bündnis nicht scheitern. Die erste Feuertaufe ist bestanden. Dennoch gibt es links wie rechts Abweichler. Sie zeigen, wie weit diese Partner auseinanderliegen: Den einen geht der Entwurf zu weit, den anderen nicht weit genug. Einen echten Konsens haben die Koalitionäre nicht vorzuweisen, sondern allenfalls gemeinsame taktische Interessen: Sie bringen das Gesetz im Eiltempo durchs Parlament, um einen Stolperstein aus dem Weg zu räumen. Zugleich wächst auf beiden Seiten die Fraktion der Neinsager. Damit schrumpfen die Schnittmengen großkoalitionärer Politikvorstellungen weiter. Sollte dieses Regierungsbündnis wirklich zustande kommen, wird es sich auf dünnem Eis bewegen.
„Derart gestärkt sollten Union und SPD die wirklich brisanten Themen in Angriff nehmen“
„Fränkisches Tagblatt“: Der jetzt geschlossene Kompromiss mag den Selbstbildern von Union und SPD sogar schmeicheln. Derart in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt, sollten sie bei den Koalitionsverhandlungen die wirklich brisanten Themen in Angriff nehmen: Bildung, Wirtschaft, Pflege, Klima, Integration.
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