In den Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition gibt es eigentlich schon genügend Knatsch. Vor allem die Migrationspolitik, namentlich der Familiennachzug, ist bislang von Misstönen zwischen Union und SPD geprägt.
Doch auf ein gemeinsames Leuchtturmprojekt, ein einendes Hauptanliegen sind Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz besonders stolz: den „Willen zu einem neuen Aufbruch in Europa“, der den Parteichefs zufolge im Mittelpunkt einer neuen Koalition stehen solle.
Doch genau dieses Herzensthema der Vorsitzenden sorgt nun für massiven Ärger. Merkel gerät in der Unionsfraktion wegen der Europapolitik offenbar unter Druck. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtet, kam es in einer Sitzung der Fraktion zu einer Frontal-Attacke auf die Kanzlerin.
Abgeordnete kritisierte vor Fraktion die Europa-Passage im Sondierungspapier
Demnach soll die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker am Dienstag die Europa-Pläne im Sondierungspapier kritisiert haben. Diese hätten zu Unruhe bei CDU-Wählern sowie Mitgliedern geführt und drohten das Profil der Partei zu beschädigen, zitiert die „FAZ“ unter Berufung auf anwesende Fraktionsmitglieder.
In den drei Seiten zur Europapolitik - prominent am Anfang der Sondierungsergebnisse platziert – legten Union und SPD fest, dass die Eurozone in enger Partnerschaft mit Frankreich gestärkt und reformiert werden solle. Die SPD schreibt sich auf die Fahnen, dass Schluss sein soll mit der Sparpolitik in Europa und deutliche soziale Akzente in der EU gesetzt werden sollen. „Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann“, heißt es im Ergebnispapier. Und: „Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit.“
Sie wundere sich sehr: Merkel reagierte auf Kritik von Ökonom
In der Fraktionssitzung der Union ging es dem Bericht zufolge auch um eine sehr kritische Analyse des Sondierungspapiers durch den früheren Chef der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing. „Das Ergebnis der Sondierungsgespräche muss man als Abschied von der Vorstellung einer auf Stabilität gerichteten europäischen Gemeinschaft verstehen“, hatte der Ökonom in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ geschrieben. Damit würden die Versprechen gebrochen, die man den Bürgern in Deutschland vor der Einführung des Euros gegeben habe.
Merkel sagte dem Bericht zufolge in der internen Sitzung, dass sie die Analyse Issings gelesen habe. Sie schätze den Ex-EZB-Chef sehr, wundere sich aber über den Inhalt seines Gastbeitrags, in dem nur Vermutungen aufgestellt würden.
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CDU-Wirtschaftsrat schrieb Brandbrief an Verhandlungsführer der Union
Doch Issing ist nicht der einzige, der die Europa-Pläne kritisch sieht. Auch der CDU-Wirtschaftsrat hatte sich mahnend zu Wort gemeldet. Die „Welt“ berichtete am Dienstag über einen Brandbrief an die Verhandlungsführer der Union, in dem beklagt wurde, dass die EU auf Druck der SPD die EU endgültig zur Transferunion umgebaut werde. „Es darf nicht länger sein, dass die Union in der Europapolitik das Feld räumt und einer SPD folgt, die unter ‚pro europäisch‘ nur mehr Umverteilung in die Krisenländer versteht“, schrieb der CDU-Wirtschaftsrat darin.
Die Kanzlerin versuchte in der internen Sitzung offenbar, die Gemüter zu beruhigen. Sie sprach laut „FAZ“ auch über den Ausbau des Euro-Rettungsschirms ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) – eine Forderung der EU-Kommission, die nun auch im Sondierungspapier festgeschrieben ist.
Merkel versucht zu beruhigen - ob das reicht?
Merkel sprach sich demnach dagegen aus, dass der EWF als Behörde unter der EU-Kommission aufgebaut werden soll. Dann werde sie „nicht mitmachen“, zitiert die „FAZ“. Denn anders als beim aktuellen ESM drohten dann die umfangreichen Kontrollrechte der Parlamente wegzufallen. Merkel sprach sich dem Bericht nach dafür aus, dass die Parlamente weiter beteiligt würden, wenn Hilfsprogramme für Krisenstaaten beschlossen werden.
Ob das reicht, um die Unionsfraktion zu beruhigen? In jedem Fall zeichnet sich ab, dass die GroKo-Begeisterung nicht nur in der SPD Grenzen hat. Selbst wenn es mit der Koalition also klappt, könnten die nächsten vier Jahre für Merkel angesichts des parteiinternen Unmuts unangenehm werden.
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