Eigentlich sollte es am Mittwochabend in der ARD um die Frage gehen, was droht, wenn Union und SPD mit einer Regierungsbildung scheitern. Doch im Studio war auch AfD-Chef Alexander Gauland – und die anderen Gäste taten ihm den Gefallen, ihn und seine Partei einmal mehr zum Mittelpunkt der Diskussion zu machen.
Die Koalitionsverhandler Ralf Stegner (SPD) und Joachim Herrmann (CSU) hatten gemeinsam auf dem Sofa Platz genommen. Dass der missmutige SPD-Vize Stegner kein leidenschaftlicher Fan der GroKo ist, ist bekannt - trotzdem verhandelt er nun mit über den Koalitionsvertrag. Gerade Stegner als GroKo-Skeptiker hätte nun versuchen können, die SPD-Basis mit inhaltlichen Argumenten davon zu überzeugen, dass ein Bündnis mit der Union Chancen birgt.
Das soll das stärkste Argument für die GroKo sein?
Doch statt den Blick auf die Möglichkeiten in der Zukunft zu richten, griff er in der Sendung lieber auf ein ebenso bekanntes wie defizitorientiertes Argument zurück: Von einem Scheitern der Koalitionsverhandlungen und möglichen Neuwahlen profitiere vor allem „der Mann gegenüber“, so Stegner.
Gegenüber saß Gauland und konnte sich zurücklehnen, denn die Arbeit übernahmen die anderen für ihn. Auch Herrmann verwies darauf, dass Neuwahlen die AfD wohl stärken würden. 12,6 Prozent bekam Gaulands Partei bei der Bundestagswahl im September. Das ist viel – aber es gibt ihr bei Weitem nicht so viel Gewicht, wie es an diesem Mittwochabend wieder einmal schien in der ARD. Deutschland sucht eine neue Regierung – und das gewichtigste Argument, warum dies gelingen sollte, ist, dass das Gegenteil eine von vier Kleinparteien im Bundestag stärken würde?
Argumentation ist ein Armutszeugnis
Diese Argumentation ist ein Armutszeugnis – und nutzt der AfD. Nicht nur, dass die Vertreter von Union und SPD versäumten, ihr Projekt positiv aufzuladen. Sie stärkten auch noch die Opfer-Inszenierung der AfD, wonach es den etablierten Parteien vor allem darum geht, die neue, reaktionäre Kraft im Bundestag kleinzuhalten. Gauland musste dieses Muster lediglich noch unterstreichen, indem er seine Partei mehrmals als „Stachel im Fleisch“ der anderen Parteien bezeichnete.
Die einzige in der Runde der Politiker, die dieses für die AfD so bequeme Muster zu durchbrechen versuchte, war Sahra Wagenknecht. Sie sei nicht bereit, die AfD zum Dreh- und Angelpunkt ihres politischen Engagements zu machen, sagte die Linken-Politikerin, die im roten Kostüm neben Gauland platziert worden war.
Im Video: „Blindwütiger Wettbewerb mit der AfD“: SPD-Vize keilt gegen CSU
„AfD stellt bewusst Leute aus Krawallfraktion auf“
Wagenknecht, die selbst immer wieder geübt auf der Klaviatur des Populismus spielt, lenkte die Aufmerksamkeit auf ein weiteres erfolgreiches AfD-Prinzip: die Vorschläge der Partei für wichtige Posten im Bundestag. „Sie stellen sehr bewusst Leute aus der Krawallfraktion auf“, warf die Linken-Fraktionsvorsitzende ihrem Nebensitzer Gauland vor.
- Als Bundestagsvizepräsident hatte die AfD den umstrittenen Albrecht Glaser nominiert, der Muslimen das Grundrecht auf Religionsfreiheit entziehen will. Das Parlament ließ ihn durchfallen.
- Für den Vorsitz des wichtigen Haushaltsausschusses schlug die AfD Peter Boehringer vor, der wiederholt durch Islamhetze und Verschwörungstheorien aufgefallen war.
- Für den Tourismusausschuss ging AfD-Mann Sebastian Münzenmaier ins Rennen, der in der Vergangenheit wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung bei einem Angriff von Hooligans auf gegnerische Fußballfans zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden war. Münzenmaier bestreitet den Vorfall und hat Berufung eingelegt.
- Dem Rechtsausschuss sitzt künftig der Jurist Stephan Brandner vor, der mit geschmacklosen Diffamierungen Aufsehen erregte. So unterstellte er zum Beispiel Gegendemonstranten, ihre Eltern seien Geschwister, oder brachte die Grünen mit den „Drei Ks: Klimaschutz, Koksnasen, Kinderschänder“ in Verbindung.
- Während die drei Ausschussvorsitzenden trotz vieler Vorbehalte bestätigt wurden, fiel der AfD-Kandidat für das Gremium, das die Geheimdienste kontrolliert, zunächst durch. Der frühere leitende Oberstaatsanwalt Roman Reusch war in der Vergangenheit durch radikale Forderungen im Umgang mit kriminellen Jugendlichen aus Einwandererfamilien aufgefallen. Unter anderem plädierte er dafür, Gefängnisse im Ausland einzurichten, in denen in Deutschland straffällige Ausländer ihre Strafe absitzen sollten. Am Donnerstag stellt er sich erneut zur Wahl.
Mit Skandalen drückt sich die AfD vor der inhaltlichen Arbeit
Wagenknecht verwies darauf, dass es durchaus auch etwas weniger kontroverse Kandidaten in der Fraktion gebe. Die AfD jedoch suche den Skandal und die Chance, sich nach der Ablehnung ihrer Vorschläge als Opfer zu inszenieren. Gleichzeitig drücke sie sich auf diese Weise davor, wirklich mit der parlamentarischen Arbeit zu beginnen.
Doch solange die politische Konkurrenz es der AfD so leicht macht, sich vor inhaltlicher Arbeit zu drücken, wie am Mittwochabend Stegner und Herrmann, wird sich daran nichts ändern. Das merkte man auch dem tiefenentspannten Alexander Gauland an, der seine Hundekrawatte unter einem gemütlichen Pullunder versteckte. Der Parteichef muss gar nicht mehr selbst hetzen und provozieren, die AfD-Erregungs-Feindschaftsmaschine läuft von ganz alleine.
No comments:
Post a Comment