Rechte Parolen, unrealistische Wahlversprechen, null Aufbruchstimmung: Der Wahlkampf in Italien verheißt nichts Gutes für die Zukunft des Landes. Muss sich Europa warm anziehen? Und kann der "ewige Untote" der italienischen Politik die Rehabilitierung feiern?
Leer. Alt. Rostig. Ein Blick auf Tafeln mit Wahlplakaten verrät viel über den Charakter des Wahlkampfes in Italien. Die Poster sind abgeschabt, zerfetzt, einfallslos - wenn die Parteien überhaupt welche aufgehängt haben. Ein Sinnbild für die traurigen Kampagnen im Ringen um die Macht in Rom. Von Nord bis Süd: miese Stimmung. "Wenn euch der Wahlkampf schrecklich vorkommt, dann mögt ihr wissen, dass es nur eine Vorspeise ist. Der Rest kommt nach der Wahl", schrieb die Zeitung "La Stampa".
Altbekannte preisen sich als Retter der Nation an
Am 4. März sind rund 51 Millionen Menschen in Italien aufgerufen, über ein neues Parlament abzustimmen - gleichzeitig soll in Deutschland der SPD-Entscheid über eine Neuauflage der Großen Koalition fallen. Beides richtungsweisende Tage auch für Europa.
Wie sehr sehnt man sich in Italien nach einem eigenen Emmanuel Macron, einem Heilsbringer, der den Menschen wieder so etwas wie Vertrauen in die Politik gibt. Doch statt eines Erneuerers preisen sich altbekannte Gesichter wie Silvio Berlusconi als Retter der Nation an, die versprechen, die bleierne Lähmung der drittgrößten Volkswirtschaft im Euroraum zu beenden. Nur sein Mitte-Rechts-Bündnis hat eine realistische Chance, eine Regierungsmehrheit zu holen und die Sozialdemokraten abzulösen. "Bunga Bunga" und Berlusconis Dauerkämpfe mit der Justiz scheinen vergessen zu sein.
Salvini: "Europa ist die Titanic, die untergeht"
Das Märchen, das der mehrfache Ex-Ministerpräsident den Wählern erzählt, beginnt schon mit dem Wahlslogan: "Forza Italia. Berlusconi Presidente". Dabei darf der 81-Jährige selbst nach einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung gar nicht für seine konservative Forza Italia kandidieren. Dem Wähler hat der "Cavaliere" noch nicht verraten, wer das Amt des Regierungschefs antritt, falls sein Bündnis gewinnt. Als Kandidaten gelten Antonio Tajani, der derzeitige EU-Parlamentspräsident, sowie der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi, dessen Amtszeit in Frankfurt im Oktober 2019 endet.
Brüssel mögen diese Personalien beruhigen - und die Forza gilt als europafreundlich. Wäre da nicht Berlusconis "Verbündeter" im Wahlkampf: Matteo Salvini, Chef der ausländerfeindlichen Lega-Partei. Für den 44-Jährigen ist Europa die "Titanic, die untergeht", er schimpft auf EU-Regeln, die Italien "massakriert" hätten, sagt: "Der Euro ist kein Dogma, er ist nicht die Bibel." Einen Europafreund wie Tajani oder Draghi als Premier würde Salvini kaum schlucken. Die Lega liegt in Umfragen ein paar Punkte hinter der Forza. Aber sollte sie stärkste Partei der Allianz werden, hat Salvini unmissverständlich klar gemacht, dass kein anderer als er Premier wird.
Die letzten fünf Jahre waren eine traumatische Zeit
Die Wähler beäugen den Schulterschluss skeptisch: Lega-Anhänger Vittorio ist Berlusconis Linie in Sachen Migration zu seicht, obwohl dieser verspricht, alle "clandestini", illegalen Einwanderer, aus dem Land zu werfen. Für Forza-Wähler dagegen steht Salvini zu weit rechts. Er hat die Lega von einer separatistischen Partei des reichen Nordens in eine Partei verwandelt, die mit ihrer fremdenfeindlichen Ausrichtung im ganzen Land punkten könnte.
Denn die letzten fünf Jahre unter dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) waren eine traumatische Zeit. Aus Libyen legten Hunderttausende Flüchtlinge in Richtung Italien ab. Jeden Tag füllten Bilder von überladenen Booten im Mittelmeer die Zeitungen - viele Menschen fühlen sich überfordert, alleingelassen von Europa. Auch wenn die Sozialdemokraten es geschafft haben, 2017 die Anlandungen um ein Drittel zu senken: Es wird ihnen nicht als Verdienst angerechnet.
Protestpartei bekommt Zuspruch
Als ein Rechtsradikaler in der Kleinstadt Macerata auf mehrere Afrikaner schoss und diese verletzte, nutzte das paradoxerweise vor allem den Rechtsextremen. Statt sich zu distanzieren, gab die Lega der Regierung die Schuld. Gehör verschaffen konnte sich weder Ministerpräsident Paolo Gentiloni, der vor einer Gewaltspirale warnte, und schon gar nicht dessen Vorgänger Matteo Renzi, der mahnte: "Wir können den Wahlkampf nicht auf der Angst aufbauen."
Viele Italiener sind über die eigene Situation extrem frustriert. Gutausgebildete verlassen in Scharen das Land, die Arbeitslosigkeit liegt bei über elf Prozent. Die Wirtschaft wuchs zuletzt zwar wieder etwas. Im europäischen Vergleich ist Italien dennoch eins der Schlusslichter. Und kaum ein anderes Land der Welt ist so hoch verschuldet wie Italien. Finanziellen Spielraum für Wahlgeschenke à la "flat tax" und eine höhere Mindestrente, wie sie Berlusconi und die Lega versprechen, gibt es nicht.
Kein Wunder, dass eine Protestpartei wie die populistische Fünf-Sterne-Bewegung Zuspruch bekommt. Sie ist in Umfragen stärkste Einzelkraft, mit 28 Prozent aber weit von der Mehrheit entfernt. Spitzenkandidat Luigi Di Maio ist für viele ein glitschiger Fisch, den man nicht greifen kann. Der erst 31-Jährige hat im Wahlkampf niemanden vom Hocker gerissen und wird von vielen für eine "Marionette" von Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo gehalten. Di Maio fuhr in Europafragen einen Schlingerkurs. Wollte die Partei einst ein Referendum über den Verbleib im Euro, hat sie es nun zu den Akten gelegt. Die Erklärung: Die Zeiten haben sich geändert.
Gentiloni mit stabilen positiven Umfragewerten
Und dann ist da noch Matteo Renzi. Der einstige Überflieger der Sozialdemokraten muss sich darauf gefasst machen, das schlechteste Ergebnis in der Geschichte seiner Partei einzufahren. Im Wahlkampf ist er mit einem Programm von 100 kleinen Schritten angetreten, seltsam zurückhaltend für den einstigen Hans Dampf in allen Gassen.
Der einzige mit stabilen positiven Umfragewerten ist Regierungschef Gentiloni, der Renzi im Dezember 2016 beerbt hat. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass der Sozialdemokrat bis auf weiteres regieren wird. Denn die letzten Umfragen, die vor der Wahl veröffentlicht werden durften, sahen weder eine Partei noch ein Bündnis bei der nötigen Mehrheit von 42 Prozent. Und so ist in diesem Wahlkampf schon vom Wahlkampf für eine Neuwahl die Rede. Eine quälende Aussicht.
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