„Steckt Erdogan das Mittelmeer in Brand?“ fragt vor wenigen Tagen der „Stern“. Den Hintergrund dafür bilden Konfrontationen zwischen türkischen und griechischen Kampfjets im Luftraum des Grenzgebiets zwischen den beiden Staaten.
Dem griechischen Generalstab zufolge haben im vergangenen Jahr solche Vorfälle um 200 Prozent, auf See sogar um 600 Prozent zugenommen. Türkische Kampfjets hätten sogar jüngst versucht, einen Hubschrauber des griechischen Armeechefs abzudrängen.
Die griechische Seite beklagt Luftraumverletzungen über der Ägäis durch türkische Kampfjets. Ob diese „Luftraumverletzungen“ innerhalb von sechs oder zwölf Seemeilen vom griechischen Festland aus stattgefunden haben, ist jedoch unklar. Auch die Abschlusserklärung nach dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU in der bulgarischen Stadt Warna, die die „illegalen Aktionen“ der Türkei verurteilte, blieb hier unklar.
Worum geht es Ankara?
Warum legt sich Ankara mit Griechenland an, wo es doch in Nordsyrien den syrischen Ableger der Terrororganisation PKK bekämpft und mit den USA im Streit liegt? Die in den deutschen Medien favorisierte Erklärung lautet, dass der Autoritarismus im Inneren sich in der Demonstration militärischer Stärke nach außen ausdrückt. Erdogan sei bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr auf die Stimmen der türkischen Nationalisten angewiesen, die mit dem Status quo auf der Ägäis nicht einverstanden sind.
Dass Erdogan nach außen Macht demonstriert, um im Inneren Stimmen zu generieren, ist bekannt. Doch wer seinen aktuell offensiven Auftritt gegenüber Griechenland als Ergebnis eines innenpolitischen Kalküls deutet, der ignoriert Interessengegensätze zwischen der Türkei und Griechenland, die lange zurückreichen.
Über den Experten
Dr. Yasar Aydin lehrt an der Evangelischen Hochschule in Hamburg und schreibt Kommentare zu tagespolitischen Entwicklungen in deutschen und türkischen Zeitungen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in Türkei, Internationale Beziehungen und Migration.
Einer dieser Gegensätze betrifft den Disput über die Hoheitsgewässer und den nationalen Luftraum in der Region. Athen möchte diese Zone auf zwölf Seemeilen vor der Küste erhöhen. Ankara lehnt das ab, weil damit der Anteil des internationalen Gewässers in der Ägäis auf 19 Prozent, der des türkischen Gewässers auf zehn Prozent zurückgehen würde. Somit wäre die Ägäis ein griechisches Meer (mit einem Anteil von 70 Prozent), was die Durchfahrt türkischer Schiffe zum Mittelmeer wesentlich erschweren würde. Dass Ankara damit nicht einverstanden ist, ist kaum verwunderlich.
Ein zweiter Disput betrifft die griechischen Inseln, die entgegen ihres rechtlichen Status seit den 1960er Jahren bewaffnet werden. Ein weiterer Konflikt betrifft den Status der türkischen Minderheit in Westthrakien, die sich nicht „türkisch“ nennen darf, weil Athen sie primär als muslimisch kategorisiert.
Auch wird die türkische Minderheit dort daran gehindert, ihren eigenen Mufti zu wählen. Dieser Punkt war beim Griechenland-Besuch Erdogans im Dezember 2017 Gegenstand von Verhandlungen. Der türkische Staatspräsident sprach sich daher für eine Revision des Lausanner Vertrages aus, um den Status der türkischen Minderheit und die Grenzverläufe neu zu bestimmen.
Krieg unwahrscheinlich
Könnte es sein, dass die Türkei die Situation weiter eskalieren lässt, um eine Änderung des Status quo mit militärischen Mitteln herbei zu führen, die viele Griechen fürchten? Es ist denkbar, dass es zu einem Zusammenstoß kommt. Doch gegen einen militärischen Eingriff spricht schon die Machtverschiebung zugunsten der Türkei – was dazu führen könnte, dass die USA Griechenland zu einer Verhandlungslösung drängt, um weitere Verwerfungen innerhalb der NATO zu verhindern.
Auch wenn die Türkei Griechenland wirtschaftlich, demographisch und militärisch überlegen ist, würde ein Krieg sich negativ auf die türkische Wirtschaft auswirken und den außenpolitischen Handlungsspielraum Ankaras einengen.
Der Disput mit Griechenland und zuvor der Einmarsch in Afrin zeigen jedoch, dass die Türkei nunmehr verstärkt auf einen Hard-Power-Ansatz setzen und nicht davor scheuen wird, ihren außenpolitischen Zielen auch militärisch Nachdruck zu verleihen. Wenn Deutschland und die EU zu einer Lösung beitragen wollen, ist es weniger hilfreich, mit zweierlei Maß zu messen und Ankaras Forderung nach Anerkennung des anatolischen Kontinentalsockels von vornherein auszuschließen.
Dass Ankara damit nicht einverstanden ist, dass die Seegrenze weniger als drei Kilometer entfernt von der türkischen Küste verläuft, ist aus sicherheitspolitischen Gründen verständlich.
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