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Thursday, May 3, 2018

Kreuze in bayerischen Behörden - "Nicht jeder politische Unfug ist verfassungswidrig"

Kreuze in bayerischen Behörden: "Nicht jeder politische Unfug ist verfassungswidrig"
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Der Beschluss des Bayerischen Kabinetts, wonach ab dem 1. Juni 2018 im Eingangsbereich aller bayerischen Behörden Kreuze anzubringen sind, hat zu heftigen Diskussionen mit teils scharfer Kritik geführt.

Von vielen wird er mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst als durchsichtiges politisches Manöver abgewiesen. Das mag durchaus sein, aber so funktioniert Politik nun einmal. Schwerer wiegt schon der Einwand einer Instrumentalisierung der Religion zu politischen oder gar parteipolitischen Zwecken. Indes muss man auch hier konzedieren, dass die Instrumentalisierung zum alltäglichen Geschäft demokratischer Politik gehört, und zwar völlig legitim.

Man kann und darf ein Hochwasser an der Oder ebenso für Wahlkampfzwecke nutzen wie einen Tsunami an der japanischen Küste, einen Flüchtlingstreck aus Ungarn ebenso wie islamistische Terroranschläge. Über den Erfolg entscheidet der Wähler. Und hier wie in anderen Fällen gilt: nicht jeder politische Unfug ist verfassungswidrig.

Bei der Präsentation des Kreuzes als des zentralen christlichen Glaubenssymbols in staatlichen Amtsgebäuden liegen die Dinge freilich anders. Denn während es politischen Parteien freisteht, eine bestimmte Religion zu favorisieren, greifen für die Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion doch andere Maßstäbe. Und dieses Verhältnis von Staat und Religion ist in empfindlicher Weise berührt, wenn die bayerische Staatsregierung kraft ihrer Organisationsgewalt eine zwingende Anordnung erlässt, die alle Bürger bei Behördengängen mit dem Zeichen des christlichen Kreuzes konfrontiert.

Verstößt der Beschluss gegen Vorgaben des Grundgesetzes?

Dass das in religionskultureller Hinsicht gravierende Probleme aufwirft, liegt auf der Hand: und zwar sowohl für das Selbstverständnis der Christen wie auch und vor allem für die Anhänger anderer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. In verfassungsrechtlicher Perspektive lautet die ausschlaggebende Frage: Liegt in dieser Anordnung eine Verletzung des Gebotes religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates und somit ein Verstoß gegen Vorgaben des Grundgesetzes?

Über den Experten

Horst Dreier, 1954 in Hannover geboren, ist seit 1995 Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Der Jurist ist Mitglied der Bayerischen Akademischen Wissenschaften und Autor mehrerer Bücher.

Um die Frage seriös beantworten zu können, muss man sich den Gehalt dieses Gebotes vor Augen führen. Im Normtext des Grundgesetzes findet es sich nicht, es wird aber in der Judikatur aus einer Zusammenschau verschiedener Verfassungsnormen hergeleitet und gilt unumstritten als zentraler Grundsatz des Staatskirchenrechts. Sein Kerngehalt liegt im Gebot der Nicht-Identifikation des Staates mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung.

  • Das gilt einmal in institutioneller Hinsicht und bündelt sich in dem Satz „Es besteht keine Staatskirche“. Ausgeschlossen sind damit alle Formen einer organisatorischen Verklammerung staatlicher und kirchlicher Organisationen und Institutionen. Dieser Aspekt ist durch die streitige Maßnahme des bayerischen Kabinetts ersichtlich nicht berührt.
  • Das ist anders bei der zweiten Facette des Identifikationsverbotes, der sachlichen Nicht-Identifikation. Hier liegt der Akzent eindeutig darauf, dass Religion und Weltanschauung Sache der Bürger und der Gesellschaft sind, der Staat sich hingegen jeglicher Einmischung zu enthalten und sich einen eigenen Standpunkt zu versagen hat. Diese Enthaltsamkeit ist geradezu Voraussetzung für die Garantie der Religionsfreiheit. Der säkulare Staat weist die religiöse Wahrheitsfrage sozusagen als Rekurs an eine dafür inkompetente Instanz von sich. Die Beantwortung dieser Wahrheitsfrage muss er der Entscheidung des Einzelnen überlassen. Er darf den Glauben oder Unglauben seiner Bürger nicht bewerten, darf insbesondere nicht Partei ergreifen oder Präferenzen äußern, darf sich nicht mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung identifizieren.

Es gibt keine Staatsreligion oder Staatsweltanschauung

Es gibt eben keine Staatsreligion – genauso wenig übrigens wie eine Staatsweltanschauung. Um das überzeugend vertreten zu können, muss gerade auch die symbolische Identifikation durch Übernahme spezifisch religiöser Zeichen ausgeschlossen sein. Denn: Nur wenn der Staat sozusagen Äquidistanz zu den Religionen und Weltanschauungen wahrt, kann er – um die in manchen Ohren etwas altfränkisch klingende Wendung des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren – „Heimstatt aller Bürger“ sein. Er kann es hingegen nicht sein, wenn er erkennen lässt, dass er, der Staat, eine Religion gegenüber anderen vorzieht.

Genau das passiert aber, wenn von Amts wegen in allen staatlichen Gebäuden des Freistaates Kreuze aufgehängt werden. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der sachlichen Nichtidentifikation scheint evident. Oder doch nicht?

Der Text des Kabinettsbeschlusses sowie erläuternde Stellungnahmen lassen das Bemühen erkennen, den Vorwurf einer Verletzung des Neutralitätsgebotes schon im Vorfeld abzuwehren, und zwar mit zwei unterschiedlichen Aussagen.

1. Der einen zufolge werde das Kreuz gar nicht als christliches Symbol, sondern als eine Art Chiffre für die bayerische Identität und deren geschichtliche Prägung verstanden.

2. Die andere gibt vor, das Kreuz repräsentiere die grundlegenden Wertvorstellungen des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung.

Doch das erste verbietet sich, und das zweite stimmt nicht.

Religionen sind Sinnstiftungssysteme

Es verbietet sich, ein christliches Symbol von Staats wegen mit einer Deutung aufzuladen, die ihm seinen religiösen Sinn nimmt. Natürlich sind Symbole immer interpretationsoffen, was auch für das Kreuz gilt. Doch gleichviel, ob man es als Symbol des Sühnetodes Christi, als Versprechen der Erlösung der Welt, als Siegeszeichen oder als solches der Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten deutet – in jedem Fall ist es für die Gläubigen von fundamentaler Bedeutung und essentiellem Gewicht.

Wenn man das amtlich verordnete Kreuz jetzt herunterdimmt auf eine relativ unverfängliche Größe wie die geschichtliche und kulturelle Prägung Bayerns, dann beraubt man es seiner eigentlichen Substanz. Es verliert jeden existentiellen Bezug zum christlichen Glauben und degeneriert zum behaglichen Gemütswert, zum musealem Traditionsgut.

Es dürfte diese enteignende hoheitliche Vereinnahmung des christlichen Zeichens sein, die zu entschiedenem Protest gerade auch aus kirchlichen und theologischen Kreisen geführt hat – während sich die Spitzenvertreter der Amtskirchen bislang eher mit unverfänglichen „Glückskeks-Floskeln“ (R. Müller) eingelassen haben. Aber das kann sich ja bei einigem Nachdenken noch ändern.

Kirche, Menschenrechte und Demokratie - ein geschichtlicher Rückblick

Was – zweiter Punkt – nicht stimmt, ist die Identifizierung der Wertvorstellungen des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung mit dem Christentum. Ernsthaft gemeint sein kann mit diesen Wertvorstellungen nur der Gedanke der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, der Gedanke vorstaatlicher Grund- und Menschenrechte, die jedem zustehen, der Gedanke der autonomen Selbstbestimmung des Einzelnen wie der kollektiven Selbstbestimmung aller in Gestalt der Demokratie.

Niedergelegt wurden diese der Sozialphilosophie der Aufklärung entstammenden Ideen erstmals in der amerikanischen und der französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts. Nun kann man mit Fug und Recht behaupten, dass zum vielschichtigen historischen Wurzelgrund moderner freiheitlicher Verfassungen auf die eine andere Weise auch das Christentum seinen Beitrag geleistet hat. Doch haben die christlichen Kirchen ihren Frieden mit den Ideen universaler Menschenrechte und der Demokratie als der angemessenen Staatsform erst nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht.

Die epochale französische Menschenrechtserklärung vom August 1789 wurde vom damaligen Papst Pius VI. als fundamentaler Irrtum bezeichnet und als unvereinbar mit der Vernunft wie der Heiligen Schrift verurteilt. Bei dieser Ablehnung ist die katholische Kirche bis weit ins 20. Jahrhundert geblieben, und auch im Protestantismus galt ein auf das Individuum zentriertes und dessen vorrangige Stellung betonendes Grundrechtsdenken lange als Ausdruck menschlicher Hybris. Hier haben die Nachkriegsverfassungen der Länder und vor allem das Grundgesetz die Kirchen stärker geprägt als umgekehrt.

Vorschlag: Zentrale Verfassungstexte statt Kreuze anbringen

Wollte man in Bayern wirklich die gemeinsamen Wertgrundlagen von Staat und Gesellschaft in den Blick rücken, dann könnte man statt des Kreuzes zentrale Verfassungstexte anbringen: aus dem Grundgesetz würden sich Artikel 1 (Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechtsbindung) und Artikel 20 (Demokratie, Sozialstaat, Rechtsstaat) förmlich aufdrängen, und desgleichen wären dafür zentrale Artikel der Bayerischen Verfassung prädestiniert. Man würde damit einen Neutralitätsverstoß vermeiden und zugleich darauf hinweisen, wo das Gemeinsame liegt: in unserer Verfassung.

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