Populismus kommt von rechts und fake news sind eine Erfindung von Trump. An solchen Gewissheiten konnte sich, wer gern links fühlt und denkt, die Seele wärmen. Dann jedoch kam der Europäische Gerichtshof. Und schredderte, was sicher schien. Seit seinem Urteil gegen die Genschere "crisprcas9" ist klar: Es gibt einen Populismus von links und für fake news sind sogar Richter in Europa gut.
Französische Gentechnik-Gegner haben dieses Urteil erstritten: mit Hilfe der so genannten Genschere gentechnisch veränderte Pflanzen müssen selbst dann streng reguliert werden, wenn sie sich von herkömmlichen Züchtungen nicht unterscheiden. Das Erbgut von Pflanzen lässt sich mit der Crispr-Technik sehr gezielt, sehr schnell, und sehr billig verändern. Das Ergebnis ist so gut, dass es sich von natürlichen Züchtungen so gut wie nicht unterscheiden lässt.
Seit dem Richter-Urteil wissen wir wenigstens, was uns bislang verborgen geblieben war: Konventionelle Züchter dürfen schon seit Jahren mit Hilfe radioaktiver Strahlung oder Chemikalien Mutationen an Pflanzen auslösen. Diese „Mutagenese“ ist sogar im Bio-Anbau erlaubt. Das ist doch ein schöner „Sidekick“, wird aber vermutlich jene, die Natur per se für gut und Gentechnik grundsätzlich für schlecht halten, kaum beeindrucken. Den Naturfreunden gegenüber sei der Hinweis erlaubt, dass Natur an sich eine vergleichsweise gefährliche Angelegenheit ist. Wer das nicht glaubt, kann sich ja mal ohne Dosenfutter, Feuerzeug und Kalaschnikow in einen Urwald begeben. Dieses Experiment wird für Otto Normalzivilisationsmensch vermutlich binnen 24 Stunden tödlich enden.
Im Video: Forscher reparieren Gendefekt an lebendem Embryo
80 Prozent der Deutschen lehnen Gentechnik ab
Liebe Gen-Feinde: Ihr müsst jetzt mal ganz stark sein. „Gentechnisch veränderte Pflanzen sind sicher, seit 20 Jahren.“ Diesen Satz zu schreiben, hätten wir uns, aus Angst vor einem Shitstorm von Euch, niemals getraut. Abgebrühter als wir sind die Kollegen vom „Spiegel“. Von Ihnen stammt diese Feststellung, und jene auch: „Schon die Furcht vor der klassischen grünen Gentechnik hat sich im Laufe der Jahrzehnte als unbegründet erwiesen.“ Hinter diesem Befund steht eine kaum angreifbare Autorität: die Weltgesundheitsorganisation.
Über den Autor: Ulrich Reitz
Ulrich Reitz arbeitete als Korrespondent bei der Welt, war in der Startmannschaft von FOCUS, den er zuletzt führte, und war insgesamt 17 Jahre lang Chefredakteur der beiden größten deutschen Regionalzeitungen "WAZ" und "Rheinische Post". Er beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, der kulturellen Verfasstheit Deutschlands und der Performance seiner Eliten in Politik und Wirtschaft. Reitz versteht sich als wirtschaftlich ordoliberal und politisch konservativ. Er schätzt die gepflegte Kontroverse.
80 Prozent der Deutschen lehnt gleichwohl Gentechnik ab. Der Wert ist seit Jahren stabil. Als zuletzt die neue Führung der Grünen, Annalena Baerbrock und Robert Habeck, sich aufmachte, um für ein differenzierteres Bild der Gentechnik zu werben, wurden sie von den Genhassern in der eigenen Partei binnen kürzester Zeit gestoppt. Dass Gentechnik schlecht sei, ist ein urgrüner Mythos, wie der, das Atomkraft von Frankenstein erfunden wurde und Einwanderung stets eine tolle Sache sei. In der Gentechnik bündeln sich Anti-Natur plus Anti-Kapitalismus (Monsanto!) zu einem herrlichen Feindbild beziehungsweise politischen Geschäftsmodell, das sich die Traditionsgrünen nicht nehmen lassen wollen – aller Wissenschaft zum Trotz.
13 Jahre und 136 Millionen Dollar
Wenn jetzt also Genscheren-Pflanzen so streng reguliert werden wie traditionell gentechnisch veränderte Organismen (GVO), dann dauert es genauso lange und ist genauso teuer, eine neue Sorte an den Markt zu bringen: 13 Jahre, 136 Millionen Dollar. So was kann sich nur Monsanto leisten, pardon: Bayer. Die vielen aufstrebenden Biotec-Startups haben ebenso wenig eine Chance wie kleinere, experimentelle Saatgutfirmen.
Dabei würden die neuen Pflanzen vor allem helfen, die Folgen des Klimawandels abzumildern. „Es geht vorrangig darum, hitzetolerante, starkregenaffine und windfeste Sorten für Europa zu entwickeln, die am besten auch weniger Pestizide benötigen“, analysiert die „Süddeutsche Zeitung“. Für sie haben die Richter aus einem „ominösen Bauchgefühl“ heraus ein glattes „Fehlurteil“ gefällt. Geschichte kann manchmal sehr ironisch sein.
„Alternativlos“
Das EuGH-Urteil hilft den Pflanzen-Riesen, schadet Unternehmensgründern, hilft den USA und China schadet Europa und lässt eine kreative Chance im Kampf gegen den Klimawandel fahrlässig liegen. Europas Richter haben Europa im Namen eines gehegten und gepflegten links grundierten Vorurteils einen Bärendienst erwiesen.
Apropos links und grün: Bislang haben wir noch nicht davon gehört, dass ein schwer erkrankter Gentechnik-Gegner seine Behandlung aus Angst vor den Medikamenten gestoppt hätte. In der Spitzenmedizin ist der Einsatz gentechnisch veränderter Arzneien, um mit der Bundeskanzlerin zu schreiben, schon seit längerem „alternativlos“.
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