Beifall und Buh-Rufe: Als Michael Kretschmer sich am Donnerstagabend in Chemnitz den Fragen der Menschen stellt, prallen die Gefühle aufeinander. Gut anderthalb Stunden diskutiert der Ministerpräsident im Stadiongebäude des Chemnitzer FC mit Bürgern der sächsischen Stadt über die aktuellen Vorfälle, aber auch über Alltagsfragen. Währenddessen stehen draußen, in einiger Entfernung, mehrere hundert Demonstranten und skandieren "Hau ab, hau ab".
Rund 500 Chemnitzer folgten der Einladung der Landesregierung zum "Sachsengespräch". Seit Februar schon touren Kretschmer und seine Minister durch den Freistaat, um mit den Menschen über Probleme wie Sicherheit, Bildung oder den Breitbandausbau zu diskutieren. Der Termin in Chemnitz stand schon lange, bekam aber durch die jüngsten Ausschreitungen eine besondere Brisanz. Der Presseandrang war deshalb enorm, rund hundert Journalisten verfolgten Kretschmers Auftritt, der ein halbes Dutzend weitere Minister aus seinem Kabinett mit nach Chemnitz gebracht hatte.
Kretschmer begann die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für den am Wochenende in Chemnitz getöteten Mann, dessen Fall Auslöser für die nachfolgenden Demonstrationen Tausender war, an denen sich auch gewaltbereite Rechtsextreme beteiligten. Die Bilder davon gingen um die Welt.
"Wir sind nicht alle Nazis"
Schnell wird während der Diskussion klar, dass sich viele Chemnitzer ungerecht behandelt fühlen. "Wir sind nicht alle Nazis", sagt die Krankenschwester Monika Krause. Aber die Medien hätten die Chemnitzer gleich in die rechte Ecke gestellt. "Ein pöbelnder rechter Mob ist menschenverachtend, aber die Masse bei den Demonstrationen waren normale Menschen mit Ängsten und Unsicherheit", pflichtet ihr Andrea Lein bei.
Auch Kretschmer verwahrt sich ebenso wie sein Ministerkollege Martin Dulig (SPD) dagegen, Chemnitz pauschal als rechts abzustempeln. "Diese Stadt ist nicht rechts, ist nicht braun", sagt der CDU-Politiker. "Wenn es aber auf einer Kundgebung auch nur wenige sind, die den Hitlergruß zeigen, dann muss man auch sagen: Mit denen haben wir nichts zu tun", stellt Kretschmer klar.
Buh-Rufe
Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) äußert Verständnis "für die Wut und Bestürzung" nach dem Tod des 35-jährigen Mannes auf dem Stadtfest, ein Syrer und ein Iraker sitzen als Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Gewalt sei aber nicht die richtige Antwort, sagt Ludwig, deren Statement wiederholt durch Buh-Rufe unterbrochen wird.
Während der rund anderthalbstündigen Diskussion muss Kretschmer die hochkochenden Gefühle immer wieder beschwichtigen. Bei einigen scheint sich lang aufgestauter Frust Bahn zu brechen, ob es nun um Ausländerkriminalität oder geschlossene Kitas geht.
Schließlich bringt der Ministerpräsident, der in der Hitze des Gefechts inzwischen sein Jacket abgelegt hat, die Stimmung auf den Punkt: "Es ist die Frage, ob wir emotional abrüsten und wieder vernünftig miteinander reden oder uns immer wieder Vorwürfe machen". Das Bild der Ausschreitungen von Chemnitz sei nun einmal in der Welt, "was wir jetzt tun müssen, ist dieses Bild wieder zu korrigieren", mahnt er.
900 Menschen demonstrieren
Während es im Stadion noch hoch hergeht, zerstreuen sich die Demonstranten draußen langsam. Rund 900 Menschen folgten nach Polizeiangaben diesmal dem Aufruf der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz. Diese hatte bereits am Montag zu der Demonstration mobilisiert, die schließlich in teilweise Ausschreitungen mit mehreren Verletzten mündete.
Die sächsische Polizei, die in den Vortagen noch für ihre Einsatzplanung heftig kritisiert worden war, war diesmal besser vorbereitet und wurde durch zusätzliche Kräfte der Bundespolizei und aus anderen Bundesländern unterstützt. Am Samstag wird Chemnitz aber schon wieder im Fokus stehen. Dann wollen AfD und die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung durch die Stadt marschieren - und Bürger sich unter dem Motto "Herz statt Hetze" ihnen entgegenstellen.
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