Die Bundestagsabgeordneten der Union werden wohl in einer Kampfabstimmung über ihre künftige Spitze entscheiden: Volker Kauder bekommt einen Gegenkandidaten. Das ist für die Union etwa so kühn, als würden die Grünen sich auf einen rein männlichen Vorstand einigen. Sehr ungewohnt.
Der CSU-Finanzexperte Ralph Brinkhaus will Ende September in einer Kampfkandidatur gegen den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder antreten. Gegen den Mann, der diesen Posten so lange innehat wie Angela Merkel Kanzlerin ist. Seit Herbst 2005. Vor vier Jahren wäre das eine Sensation gewesen, in diesem Frühsommer hätte es nicht wirklich überrascht, jetzt aber wirkt die Nachricht von der Kampfkandidatur befremdlich. Denn das Rennen, das zum Beispiel im Juni keineswegs komplett aussichtslos gewesen wäre, erscheint nun ziemlich gewagt.
Volker Kauder, über Jahre Angela Merkels politischer Mehrheitsbeschaffer vom Dienst, war lange Zeit die unangefochtene Nr. 1 unter den Unionsabgeordneten. Kämpfen für Merkel bis zur Selbstaufgabe – dabei ging es ihr gut und ihm meist auch. Zuletzt allerdings nahm die Kritik deutlich zu. Einigen war Kauder zu altmodisch, anderen zu langweilig, wieder anderen zu merkelfreundlich. Kurz: Teile der Fraktion zeigten sich seiner überdrüssig. Vor allem Jüngere gaben sich zunehmend genervt. Etwas Neues sollte her, notfalls auch gegen den Willen der Kanzlerin.
Es gab Putsch-Pläne, die aber sind alt
Und es gab ziemlich konkrete Gedankenspiele, wie man einen anderen (eine andere war nicht im Gespräch) nach oben hieven könnte. Der stellvertretende Faktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hätte, angetrieben von einigen Mitstreitern des Wirtschaftsflügels, die Chance gehabt, Kauders Zukunft an der Spitze der Union zu gefährden. Jedenfalls in der „Putsch-Variante“ dieses Gedankenspiels, bei der aufmüpfige Abgeordnete davon ausgingen, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel von sich aus Kauder nicht in Frage stellen würde.
In der „Friedens-Variante“ dieses Gedankenspiels rechneten viele dem früheren Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe gute Chancen aus. In dem Fall hätte Merkel von sich aus auf eine Ablösung für Kauder gesetzt. Hierzu gab es viele wilde Spekulationen, aber niemals belastbare Anzeichen.
Revolte erwogen, Revolte abgeblasen
Doch die Phase des großen Personal-Schach-Spiels hinter den Kulissen fand ein jähes Ende. Nach dem hochdramatischen Streit zwischen Angela Merkel und den CSU-Matadoren haben viele Putschisten in Lauerstellung kalte Füße bekommen. Eiskalte Füße. Sie rollten die Fahnen wieder ein und schwärmten – etwas unvermittelt – von Kauders Qualitäten in der großen Krise der Union. „Wir können uns keinen Streit mehr erlauben“, meint ein erfahrener Stratege. „Das geht jetzt gar nicht.“ Die Sache schien gegessen. Revolte erwogen, Revolte abgeblasen.
Vor knapp zwei Wochen hatte Kauder im Interview mit FOCUS Online erklärt: „Ich habe immer gesagt, in der gesamten Wahlperiode Fraktionsvorsitzender bleiben zu wollen, um in der Koalition die Positionen der Fraktion zu vertreten, aber auch die Koalition mit zum Erfolg zu führen.“ Er werde kandidieren. Kauder gab sich kühl entschlossen, allerdings nicht siegesgewiss.
Nett, klug, nicht uneitel
„Ich habe für die anstehende Wahl des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mein Interesse angemeldet“, sagte Brinkhaus nun der Funke-Mediengruppe. „Das sollte in einer Demokratie kein ungewöhnlicher Vorgang sein.“ Der 50-Jährige gilt als sehr solider Finanzexperte, als „netter und verlässlicher Kollege“, aber auch als „nicht uneitel“, wie Kollegen es formulieren. Gesellschaftspolitisch ist der Mann aus Nordrhein-Westfalen ein ziemlich unbeschriebenes Blatt; ob er zum Beispiel zu Fragen von Integration und Zusammenhalt die passenden Worte finden kann, müsste er noch beweisen. Der Brinkhaus, den alle in der Union kennen, ist Fachpolitiker, kein Breitband-Politiker.
Dass Brinkhaus ausgerechnet jetzt aus der Deckung kommt, ist überraschend. Denn offenbar haben sowohl Merkel als auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer Amtsinhaber Kauder signalisiert, dass sie ihn weiter als Fraktionschef sehen wollen. Und: Viele Parlamentarier haben Kauder inzwischen persönlich ihre Unterstützung zugesichert. Die Union ist wahrlich keine intrigenfreie Zone, aber dass Abgeordnete scharenweise ein perfekt durchtriebenes Doppelspiel – Kauder Zustimmung signalisieren und Brinkhaus ebenfalls Zustimmung signalisieren – betreiben, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Brinkhaus im Alleingang?
„Hat der Ralph Brinkhaus kein Update bekommen“, fragt ein ziemlich wichtiger CDU-Abgeordneter. Noch vor Wochen waren in der Tat einige aufgeschlossen für die Option Brinkhaus. Der Mann ist äußerst beliebt. Bei der Wahl als Fraktionsvize bekam der Steuerberater vor einigen Monaten satte 99,5 Prozent der Stimmen. Nur: Die Lage der Union hat sich in diesem Sommer dramatisch geändert. Kauders gleichbleibende Art, vor Monaten noch von einigen verspottet, erscheint vielen nun als unersetzliche Qualität: Er verkörpert für sie genau das, was die Union jetzt braucht – Ruhe.
Und: Haben die anderen starken Figuren der Fraktion wie Jens Spahn, Carsten Linnemann oder der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, bei genauer Betrachtung wirklich ein Interesse, einen Vertreter der mittleren Generation auf eine exzellente Karriere-Startrampe zu setzen? Eher nicht.
„Viele positive Rückmeldungen"
Brinkhaus selbst berichtet, er habe „viele positive Rückmeldungen" bekommen. Das ist zweifellos korrekt. Die spannende Frage: Wann genau gab es diese Rückmeldungen? Einzelne Parlamentarier wie Klaus-Peter Willsch, Kritiker von Merkels Euro-Rettungskurs, stellten sich auch jetzt öffentlich hinter den Finanzexperten. Mächtige Mitstreiter aus seinem eigenen Landesverband Nordrhein-Westfalen aber zeigen sich sehr erstaunt über Brinkhaus‘ Plan. Er will daran festhalten.
Am 25. September wird gewählt.
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