Es sind erschreckende Bilder, die am Sonntag aus der Chemnitzer Innenstadt gesendet werden. Rechtsextreme Randalierer stürmten auf jeden los, der nicht Deutsch aussah. Und auch am Montag nutzt die extreme Rechte den Tod eines 35-Jährigen, um ihrer Wut auf offener Straße freien Lauf zu lassen.
Die Debatte über Konsequenzen aus den Ausschreitungen hält indes an. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kündigt entschiedene Antworten der Behörden an. „Der sächsische Staat ist handlungsfähig - und er handelt“, sagte er am Dienstag in Dresden. „Straftäter auf allen Seiten werden dingfest gemacht.“
Die Polizei muss sich jetzt kritische Fragen gefallen lassen: Warum waren nicht mehr Einsatzkräfte vor Ort? Wer trägt die Verantwortung? Und warum wurden Probleme in der rechten Szene über Jahre kleingeredet?
Verantwortliche finden lobende Worte
Doch bislang wollen die Verantwortlichen auf diese kritischen Fragen nicht eingehen, finden vielmehr lobende Worte für den Einsatz an den beiden vergangenen Abenden. So betonte der sächsische Landespolizeipräsident, Jürgen Georgie, dass es gelungen sei, rechte Demonstranten und Gegendemonstranten auseinanderzuhalten. Zu den Vorwürfen, die Polizei habe nicht genug Kräfte bereitgestellt, sagt er lediglich: Man sei von vornherein von der doppelten Anzahl von Demonstrationsteilnehmern ausgegangen, als jene, die angemeldet war.
Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) geht sogar noch einen Schritt weiter mit seinem Lob: „Es war die größte Lage jemals mit einem solchen Gewaltpotenzial“, sagt er. Die Polizisten hätten „einen verdammt guten Job gemacht“, so Wöller.
Im Video: „Schrecklich alltägliche Angriffe“: Ausland reagiert entsetzt auf die Schande von Chemnitz
Fakten sprechen eine andere Sprache
Die Fakten sprechen dagegen eine andere Sprache: Denn die Polizei in Chemnitz sowie weitere sächsische Polizeibehörden waren offenbar über einen größeren Zustrom von Extremisten informiert. Nach Informationen des „Tagesspiegel“ hatte der sächsische Verfassungsschutz in einer „Lagebewertung“ gewarnt, aus ganz Sachsen und anderen Bundesländern würden Rechtsextremisten, Hooligans, rechte Kampfsportler und weitere Angehörige der rechten Szene nach Chemnitz kommen. Es werde eine Teilnehmerzahl im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich erwartet. Der Nachrichtendienst berichtete den Sicherheitsbehörden auch von Erkenntnissen, dass 200 Autonome aus Leipzig, Thüringen und Niedersachsen in Chemnitz zu erwarten seien.
Laut sächsischer Polizei standen am Ende 600 Polizisten 6000 Menschen auf der Rechten-Demo und 1000 Gegendemonstranten gegenüber.
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Die verklärte Sicht der Sicherheitsbehörden muss ein Ende haben
Warum trotz der Warnungen des Verfassungsschutzes nicht genügend Kräfte im Einsatz waren, ist nicht nachvollziehbar. Die Polizei ist überfordert, hat aus den früheren Ausschreitungen rund um die Asylbewerberheime in Heidenau, Clausnitz und Freital scheinbar nichts gelernt. Die rechte Szene hat sich dagegen weiter radikalisiert und vernetzt. Den Tod eines 35-Jährigen nahmen sie zum Anlass ihrem Gedankengut auf offener Straße Gehör zu verschaffen.
In den Behörden will man das alles scheinbar nicht wahrhaben – kein Wort zur überforderten und unterbesetzen Polizei, kein Wort zu womöglich vorangegangenen Warnungen. Stattdessen eine verklärte Sicht auf den Großeinsatz am Montagabend. Zwar kündigt Ministerpräsident Kretschmer Konsequenzen an, lässt aber völlig offen, wie die aussehen sollen.
Kretschmer, seine Regierung und die Sicherheitsbehörden müssen endlich begreifen, wie groß die Bedrohung durch den Rechtsextremismus in Sachsen ist. Diese Bedrohung gilt es mit aller Macht zu bekämpfen.
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